Leere Lehrerzimmer: Zu Schulbeginn fehlen in Südbaden noch Pädagogen 4family | 03.01.2018 | Tanja Senn

Vor ein paar Wochen hat für rund 1,5 Millionen Kinder in Baden-Württemberg wieder die Schule begonnen. Bei einigen häufen sich aber schon jetzt die ausgefallenen Stunden. Der Grund: Zu Schulbeginn sind im Land noch mehr als 600 Lehrerstellen unbesetzt, allein im Bereich des Regierungspräsidiums (RP) Freiburg fehlen 180 Pädagogen.

In der Bächlestadt selbst ist die Situation entspannt, Lehrermangel herrscht vor allem auf dem Land. Doch bei den ersten Grippewellen könnte sich die Lage zuspitzen.


„Viel Orangensaft trinken“,
sagt RP-Sprecher Markus Adler. Sein scherzhafter Rat an Südbadens Lehrer hat einen ernsten Hintergrund: „Die Chancen, Ausfälle zu kompensieren, sind gering. Die Unterrichtsversorgung ist auf Kante genäht.“

Vor allem an den Grundschulen könnte es dieses Jahr eng werden: 150 Stellen sind im Regierungsbezirk zwischen Offenburg, Lörrach und Konstanz noch unbesetzt. Zu Unterrichtsausfall komme es dadurch nicht, sagt Adler. Um den Bedarf zu decken, arbeiten einige Pensionäre nun länger. Teilzeitkräfte haben ihre Stunden aufgestockt. Und Klassen, die leicht über dem Klassenteiler liegen, werden zusammengelassen.

Anders als noch vor einem Jahr, als das Schuljahr mit Unterrichtsausfall und Notfallplänen begonnen hatte, konnten durch diese Maßnahmen in Freiburg alle Beamtenstellen besetzt werden. Lehrermangel herrscht dagegen auf dem Land – vor allem in den Kreisen Tuttlingen, Waldshut und Rottweil. Doch auch in der Stadt wird sich die Lage zuspitzen, wenn die ersten Grippewellen über die Schulen rollen: Da bereits alle Lehrer im Einsatz sind, gibt es keine Kräfte mehr für Krankheitsvertretungen.

Das Regierungspräsidium rechnet damit, dass die angespannte Lage noch zwei, drei Jahre anhalten wird. Die Gründe sind vielfältig: Überdurchschnittlich viele Lehrer werden momentan pensioniert. Ein Studien-Jahrgang fehlt, da das Lehramtsstudium verlängert wurde. Zudem wollen immer mehr Studenten ans Gymnasium statt an die Grundschule.

Dass sich diese Situation bereits in wenigen Jahren entspannt, hält Peter Fels, Freiburger Vorstand der Lehrergewerkschaft GEW, nicht für realistisch: Schließlich sei der Lehrermarkt nach der Pensionierungswelle erst einmal leer gefegt. Helfen würde nur, die Ausbildungszahlen zu erhöhen – doch selbst wenn das von heute auf morgen gelingen würde: „Die ersten zusätzlichen Lehrer wären erst in sieben Jahren auf dem Markt.“

Verschärft wird die Situation dadurch, dass die Zahl der Schüler nicht – wie bisher angenommen – sinkt. Im Gegenteil: 2025 wird es laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung 300.000 Schüler mehr geben als noch 2015. Das sind eine Million mehr als die Kultusministerkonferenz in ihrer aktuellsten Prognose aus dem Jahr 2013 annimmt.

Die Studie sorgt für Aufsehen – schließlich sollten bislang allein in Baden-Württemberg zwischen 2018 und 2020 noch 700 Lehrerstellen gestrichen werden. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) reagierte prompt und kündigte an, den Abbau der Stellen ab 2018 auszusetzen.

Es ist nur eine der Reaktionen in einem bunten Strauß von Maßnahmen: So will die Ministerin Einstellungsverfahren flexibler gestalten, Ausbildungsschulen im ländlichen Raum schaffen oder Lehrer aus der Stadt aufs Land versetzen. „Die Bemühungen sind da“, sagt Fels. „Doch sie lindern nur das Problem, sie beheben es nicht.“ Müsste er ein Zeugnis ausstellen, würde darin wohl stehen: Sie war stets bemüht.

Der Gewerkschafter hat einen anderen Vorschlag: die Ausweitung sogenannter Handschlaglehrerstunden. Bislang darf jede Grundschule – unabhängig von ihrer Größe – 70 dieser Stunden vergeben. Heißt: Fällt kurzfristig ein Lehrer aus, dürfen auch Nicht-Pädagogen unterrichten. Das könne selbst der Jugendtrainer des örtlichen Fußballvereins sein – für maximal 70 Stunden im Jahr. „Das reicht selbst der kleinsten Schule nicht aus“, kritisiert Fels. Sein Vorschlag: 70 Handschlaglehrerstunden nicht pro Schule, sondern pro Klasse. Und das auch für weiterführende Schulen: „Es ist besser als gar kein Unterricht. Und es ist die einzige Maßnahme, die sofort helfen würde.“

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