Berufsberater Heiko Treyer über die hohe Zahl der abgebrochenen Ausbildungen KARRIERE & CAMPUS | 12.05.2018

Jeder vierte Azubi bricht seine Ausbildung ab. Damit ist die Quote so hoch wie seit den 1990er Jahren nicht mehr. Das geht aus einem Entwurf des aktuellen Bundesbildungsberichts hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Gewerkschaften fordern daher einen Mindestlohn für Lehrlinge. Doch bringt das tatsächlich etwas? Wie lassen sich Abbrüche vermeiden? Berufsberater Heiko Treyer von der Freiburger Agentur für Arbeit hat mit chilli-Redakteurin Tanja Senn über falsche Vorstellungen, lange Arbeitszeiten und die Generation Praktikum gesprochen.

chilli: Wie oft ist bei den Abbrechern, die Sie beraten, der Lohn der Knackpunkt?
Treyer: In Branchen, in denen die Vergütung nicht hoch ist – etwa bei Friseuren – brechen Azubis tatsächlich vermehrt ab. Doch meist gibt es mannigfaltige Gründe. Viele Probleme entstehen im zwischenmenschlichen Bereich, weil zum Beispiel die Chemie zwischen dem Arbeitgeber und dem Azubi nicht stimmt. Ein weiterer Punkt sind die Arbeitszeiten.

chilli: Die sind wahrscheinlich auch für die hohen Abbruchquoten in der Gastronomie verantwortlich: Bei Restaurantfachleuten bricht jeder zweite ab, Köche liegen mit 48,6 Prozent knapp darunter. Dabei weiß man doch vorher, dass man als Koch auch am Wochenende arbeitet.
Treyer: Viele Jugendliche sind einfach froh, wenn sie einen Ausbildungsplatz haben. Was dahinter steckt, das kriegen sie vielmals erst mit, wenn sie mitten in der Ausbildung sind. Deshalb plädieren wir dafür, den Beruf vorher in einem Praktikum zu testen. Damit man sieht: Wie geht’s in einer Küche eigentlich zu? Was macht man als Friseurin?

chilli: Ist das nicht mittlerweile Usus? Man spricht doch schon von der „Generation Praktikum“.
Treyer:Das ist schon so. Aber das eine ist, ein Praktikum über eine oder zwei Wochen zu machen, das andere, sich danach zu überlegen: Kann ich mir das auch drei Jahre lang vorstellen? Darüber hinaus gibt es viele weitere Möglichkeiten, sich zu informieren: die Web-site Berufe.TV, die Arbeitsagentur, Ferienjobs …

chilli: Wenn man die Ausbildung dann doch angefangen hat und merkt: Das passt nicht. Sollte man sie dann trotzdem durchziehen? Schließlich macht sich ein Abbruch nicht gut im Lebenslauf …
Treyer: Es kommt darauf an, wo der Azubi gerade in seiner Ausbildung steht. Bei einem halben oder viertel Jahr vor der Abschlussprüfung würde ich raten: Zieh das noch durch. Wenn der Azubi aber ganz am Anfang steht, schlaflose Nächte hat, Angst in den Betrieb zu gehen, dann muss man schauen, wie man die Situation beenden kann. Das muss nicht gleich ein Abbruch sein. Wir haben zum Beispiel bei der Arbeitsagentur die assistierte Ausbildung, bei der Sozialpädagogen während der Ausbildung begleiten.

chilli: Wie kommt das beim Arbeitgeber an?
Treyer: Das wird unterschiedlich gesehen. Manche Arbeitgeber sind froh, dass es einen Begleiter gibt, der sich zum Beispiel um das Berichtsheft für die Berufsschule kümmert oder Gespräche zwischen Ausbilder und Azubi führt. Aber es gibt auch vereinzelt Arbeitgeber, die das nicht gerne sehen – weil sie weniger Interesse an einer erfolgreichen Ausbildung, sondern mehr an einer billigen Arbeitskraft haben.

chilli: Wenn ein Azubi merkt, dass er ausgenutzt wird – wie sollte er reagieren?
Treyer: Der beste Weg ist, vor Ort zu klären, ob man die Probleme eigenständig lösen kann. Wenn die Situation so verfahren ist, dass man mit dem Arbeitgeber nicht mehr reden kann, sollte man sich an die zuständige Kammer wenden. Und dann kann man schauen, ob man hierher kommt und die Hilfsmöglichkeiten nutzt. Die Ausbildung abbrechen sollte man möglichst erst dann, wenn man weiß, wie es danach weitergeht.

Infobox

Am häufigsten brechen Azubis die Lehre als Fachkraft für Schutz und Sicherheit ab (50,7 Prozent). Ebenfalls sehr hoch sind die Quoten bei Gebäudereinigern (49,7 Prozent), Friseuren (49,6 Prozent) und Berufskraftfahrern (46,2 Prozent).

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