Rundreise auf vier Rädern durch Südafrika – Teil 1 Reise-Special | 03.12.2017 | Lars Bargmann

Der Freedom Park auf dem Salvokop in Pretoria. Von hier oben lässt sich die Stadt gut überblicken, man sieht das Union Building, in dem Nelson Mandela 1994 als erster schwarzer Präsident Südafrikas vereidigt wurde. Ich stehe auf einer Mauerkrone und blicke nach unten.

Den erhabenen Mauerfuß haben Schwarze zur Rückwand für ihre Baracken aus Sperrholz und Wellblech umfunktioniert. Ein Mittzwanziger sitzt auf einem Stein. Vor ihm steht eine Literflasche Bier. Es ist 11 Uhr. Hinter der Mauer erkunden Touristen aus aller Welt die Geschichte Südafrikas. Nur eine Mauer, vielleicht einen halben Meter stark, trennt die Erste von der Dritten Welt.

Genau das ist, auch gut 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid, immer noch das typische Merkmal für dieses von der Natur so reich beschenkte Land. Zwei Tage vorher waren wir in Johannesburg gelandet, Joburg oder Jozi, wie die Einheimischen sagen. Eine Millionenmetropole. Alleine in der Town­ship Soweto leben zwei Millionen Menschen. Die Nummernschilder tragen ein GP. Steht für Gauteng Provinz, sagen die einen, steht für Gangstas Paradise, die anderen. Eine seltsame Stadt. Man fährt durch ein schickes Viertel, dann über eine Kreuzung – und landet in einer komplett anderen Welt. Im Reiseführer steht, man soll bei Rot nicht halten, zu gefährlich. Man soll nur mit geschlossenen Fenstern fahren. Und man hat tatsächlich irgendwie ein mulmiges Gefühl.

Gerard Mareis hat Zeit für einen guten Kaffee. Der Mann hat im Stadtteil Rivonia mit seinem Bed&Breakfast eine kleine Insel geschaffen. Erst hat er ein Haus gekauft, dann ein zweites, heute vermietet er mehr als 50 Zimmer an Touristen. Er spricht über Einwanderer aus Mozambique, Nigeria, Schwarzafrika. „Es kamen einfach viel zu viele hierher. Die Regierung hat es nicht mehr geschafft, für Sicherheit zu garantieren.“ Um 8 auf 56 Millionen stieg die Einwohnerzahl allein in den vergangenen zehn Jahren. In Südafrika könne man auf der Straße sehen, wer in den Regionen regiert. In Kapstadt ist es die DA, die Democratic Alliance, in Jozi hat der ANC das Sagen.

Sandstrand am Indischen Ozean bei Sodwana Bay

Die Partei von Jacob Zuma, der sich nahezu jede Woche mit neuen Korruptionsvorwürfen konfrontiert sieht. Wenn es nach Mareis geht, dessen Großvater aus Leipzig stammt, ist es bald Zeit für einen Regierungswechsel. Der ANC hat es nach den Wahlen von 1994 nicht geschafft, das Land wirtschaftlich nach vorne zu bringen. Oder die immer noch zersplitterte Bevölkerung zueinander zu bewegen. Die grausame Politik, die jahrzehntelang alles in Rassen und Gruppen und Untergruppen trennte, wirkt bis heute nach. Zulus, Xhosa, Coloureds, Weiße, Inder, Afrikaans. Irgendwie alle gegen alle.

In seiner lesenswerten Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“ beschreibt Mandela, wie sich der Widerstand gegen dies Unerträgliche formierte. Wie sich politisch Engagierte in der Liliesleaf Farm in Jozi, einem Bauerngehöft, trafen und Pläne schmiedeten, wie sie am 11. Juli 1963 von Polizisten verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wurden – weil sie verraten worden waren. Walter Sisulu und seine Mitstreiter wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Auch Mandela war oft hier, saß zu der Zeit aber schon wieder im Knast. Eine besuchenswerte Gedenkstätte.

Wir fahren weiter nach Graskop, eine 4000-Seelen-Gemeinde im Hochland. Von hier aus läuft die Panorama Route durch den Blyde River Canyon. Vergessen sind Politik und Rassen, die Natur erschlägt sie mit einer majestätischen Geste. Die Route 532 ist eine der schönsten des ganzen Landes, vielleicht des ganzen Kontinents. Am God’s Window schaut man 700 Meter runter ins Lowfield, es liegen Wasserfälle an der Route, die spektakulären Bourke’s Luck Potholes (benannt nach einem Goldfinder), der atemberaubende Blyde River Canyon mit den drei Rondavels, eine Bergformation, die wie die traditionellen Hütten der Zulu und Xhosa aussieht.

Freiluft-Theater im Freedom Park, Pretoria

Die Route 532 ist ein Traum aus Felsen und Hügeln, Abgründen und Weitblicken. Es ist nichts anderes als faszinierend, wenn die Nachmittagssonne die Felsformationen in Farbenspiele taucht und neben dir plötzlich ein Hagedasch landet. Ein Abstecher in Pilgrims Rest ist dagegen für Nostalgiker ein Muss. 1873 ließen sich dort die ersten Goldsucher nieder, anders als anderswo wurde hier ein volles Jahrhundert nach Nuggets gebuddelt. Nach einer General-Restaurierung sieht der Ort, ein nationales Denkmal, heute aus wie aus der Zeit gefallen.

Wir sind mittlerweile am Rand des Kruger Nationalparks in Hoedspruit. Sander, ein belgischer Einwanderer, betreibt hier mit seiner südafrikanischen Frau Juliet die African Rock Lodge. Von hier aus lassen sich Tagesausflüge im privaten Game Reserve unternehmen. Dann fahren wir weiter mitten in den Busch. Im Buffelshoek Camp stehen wir eines Morgens auf der Terrasse unseres aufgeständerten Zeltes, als plötzlich – vielleicht 40 Meter entfernt – ein Dutzend Löwen auftaucht. Einen Zaun gibt es nicht. Unser Fahrer Tiger kommt gerade von der Frühpirsch zurück, wir springen auf und stehen kurz darauf direkt vor dem Rudel. Auge in Auge. Momente, die man nur mit Demenz vergessen kann.

Im Kruger geht es weiter südlich aber deutlich tierischer zu. Von Lower Sabi bis zum Crocodile River kreucht und fleucht es nur so, von den big five sehen wir nur das Nashorn nicht. Dafür gleich zwei Dutzend Nilpferde, für die die Krokodile eher Spielzeug sind. Die Tageszeitungen berichten an dem Tag von der ersten offiziellen Hornversteigerung im Land. Gegen vielstimmige Kritik aus dem In- und Ausland. Der Züchter John Hume hat sich vor Gericht erstritten, dass er eine halbe Tonne Horn versteigern darf. Auf dem Schwarzmarkt bringt ein Kilo Hornpulver bis zu 70.000 Dollar.

Mahlzeit: Giraffe im Kruger-Nationalpark

Mehr als Gold. Mehr als Kokain. 35 Millionen Euro winken dem Mann, der das Geld nach eigener Aussage nur für die Rhinos verwenden will. Die Wilderei ist ein Riesenproblem in Südafrika. 1000 Rhinos werden jedes Jahr geschlachtet. Das Horn ist vor allem in China und Vietnam gefragt. „Wenn ein Chinese eine Party macht und hat kein Nashornpulver, dann zählt er nicht zur Oberschicht“, erzählt der Inhaber unserer Lodge. Hume darf nur im Inland versteigern, warum die Auktion auf seiner Website auch auf Chinesisch und
Vietnamesisch angepriesen wird, sagt er nicht. Auf einem Jeep sehe ich einen Aufkleber: Keep our rhinos horny.

Erst in Swaziland, im Hlane National Park, entdecken wir eine Breitmaulnashorn-Mutter mit einem Jungen. Das Land ist – wie Lesotho – eine Enklave in Südafrika. Wir sind die letzten, die um 18 Uhr den Grenzpunkt Mananga passieren. Hinter uns macht das Land seine Stahltore zu. Es regiert der absolutistische Monarch König Mswati III. Der sucht sich nach Belieben Jungfrauen aus und heiratet auch häufiger Mal eine. Politische Aktivitäten jeder Art sind verboten. Die örtliche Zeitung macht am nächsten Tag auf mit einer Geschichte über ein sehr schön gelungenes Tanzfest.

Der König hat Dutzende von Millionen Euro, der Großteil seiner Bevölkerung muss mit einem Euro pro Tag auskommen. Als wir im Dunkeln in einem Waldstück vor unserer mittlerweile geschlossenen Unterkunft stehen, versuchen drei junge Männer, die offenbar auch nur diesen einen Euro haben, ihre Kasse aufzubessern. Nur das Gaspedal hilft uns noch, ungeschoren davonzukommen. Fünf Minuten später haben wir eine Unterkunft gefunden, sind in Sicherheit. Die Anspannung weicht. Es ist wie in Südafrika: Entweder du bist ein Habender oder ein Habenichts. Dazwischen gibt es kaum etwas. Die Habenden leben auf First-world-Islands in a Third-world-Sea.

Ein Nashorn in Südafrika

Wir fahren weiter an die Ostküste, über Sodwana Bay (Tauchen!) nach Durban. Bevor man zur Golden Mile fährt, lohnt sich ein Abstecher zum schönen Moses-Mabhida-Stadion, wo man mit dem SkyCar oder zu Fuß eine Plattform hoch über dem Rasenrechteck erreicht und eine beeindruckende Sicht auf die Stadt und den Indischen Ozean hat. Am anderen Ende der Bucht lohnt sich ein Besuch der Landzunge The Point. Und wer sich für Kunst interessiert, der kann an den Hafen fahren und sich dort bei der Non-profit-Organisation im coolen The BAT Centre die Arbeiten von Nachwuchskünstlern anschauen, wer viel Glück hat, kommt zum Live-Jazz.

Raus aus der 3,5-Millionen-Metropole, ab in die für Südafrika-Urlauber unerlässlichen Drakensberge. Wir fahren zum Cathedral Peak auf 3000 Meter Höhe. Hier wird gewandert, hier gibt es für jeden eine geeignete Route, um aber auf den Peak zu kommen, muss man sehr früh unterwegs sein. Ambitionierte können bei Mehrtagestouren auch in Höhlen oder Schutzhütten übernachten.

Ich treffe zwei Zulus,
mit Worten können wir uns nicht verständigen, aber einer hat so etwas wie das Unterteil eines Campingtischs auf dem Rücken, der andere einen großen Sack, aus dem Zeltstangen herausschauen. Eine halbe Stunde später höre ich Schreie, über mir fliegen die beiden Youngster von vorhin im selbst gebastelten Drachen durch die Drakensberge und zaubern ein Lächeln in mein Gesicht. Von wegen Camping. Freiheit.

Fotos: © bar, mos, Unsplash.com