„Wir kriegen den Sack nicht mehr zu“: Interview mit Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag Politik & Wirtschaft | 11.02.2018 | Lars Bargmann

Draußen vor dem neuen Rathaus werden noch die letzten Arbeiten an den Außenanlagen gemacht, drinnen im fünften Stock hat sich Baubürgermeister Martin Haag (parteilos) nun eingerichtet. Auf dem Tisch steht am 11. Januar noch ein Adventskranz. 1032 neue Wohnungen hat das Dezernat im vergangenen Jahr genehmigt. Das könne sich sehen lassen. Im Gespräch mit chilli-Chefredakteur Lars Bargmann spricht der 53-Jährige auch über zehngeschossige Hochhäuser, Säcke, die man nicht mehr zumachen kann, das neue Stadion und einen modifizierten Beschluss zum sozialen Mietwohnungsbau.

chilli: Beim geplanten neuen Stadtteil Dietenbach zögern immer noch viele Eigentümer, ihre Grundstücke an die Sparkasse zu verkaufen, obwohl die 50 Euro mehr zahlt, als das Rathaus angeboten hat. So richtig überzeugend ist es nicht, wenn ein Jahr nach dem Angebot noch nicht einmal zwei Drittel der Eigentümer mitmachen.

Martin Haag: Ich bewerte das dennoch als Riesenerfolg. Die Eigentümer sehen, dass das ein sehr gutes Angebot ist und die Zahlen steigen ja weiter. In den nächsten Monaten geht es darum, dass die Sparkasse die Optionsverträge mit den Eigentümern abschließt und das ist rechtlich nicht ganz einfach. Abgesehen davon reden wir von wohl einer Milliarde Euro an Investitionsvolumen mit erheblichen Unsicherheiten. Wie sieht der Wohnungsmarkt denn 2020 und darüber hinaus aus?

chilli: Ein neuer Stadtteil ist eine Wette auf die Zukunft?

Haag: Was das wirtschaftliche Risiko betrifft, ein Stück weit ja. Und dafür braucht eine Bank natürlich ihre Sicherheiten. Wir können aber heute noch nicht alle Fragen beantworten.

chilli: Wird Dietenbach wirtschaftlich für das Rathaus wirklich ein Nullsummenspiel?

Haag: Ich glaube, dass wir das hinkriegen.

chilli: Sie rechnen bei der Finanzierung mit 15 Euro für den Quadratmeter. Die Sparkasse braucht aber 50 Euro mehr. Wenn alle 82 Hektar der Privaten gekauft werden, summiert sich das Delta auf fast 40 Millionen Euro …

Haag: Wenn 50 Prozent der Fläche Bruttobauland werden, dann braucht die Bank 100 Euro mehr auf den Quadratmeter. Die Frage ist, ob das über den Gutachterwert darstellbar ist. Heute würde ich das mit „Ja“ beantworten.

chilli: Befürworten Sie einen klimaneutralen Stadtteil Dietenbach, obwohl damit die Kosten für die Nutzer steigen?

Haag: Nur billig zu bauen, halte ich nicht für richtig. Wir müssen Klimaneutralität, Qualität, Wirtschaftlichkeit und sozialen Wohnungsbau unter einen Hut kriegen. Momentan sind bei der Klimaneutralität Mehrkosten im Raum, das wird sich aber entspannen, weil die Gebäudetechnik sich immer weiter entwickelt. Ob es am Ende ganz kostenneutral wird, da habe ich meine Zweifel.

chilli: Nach aktueller Beschlusslage müssen 50 Prozent der Wohnungen, das sind 2750, als soziale Mietwohnungen gebaut werden. Halten Sie das für realistisch?

Haag: 50 Prozent nur für sozialen Mietwohnungsbau hielte ich für keine gute Entscheidung. Es muss aber günstigen Wohnungsbau geben, nur dazu zählt für mich auch preisgebundener Mietraum und auch der geförderte Bau von Eigentumswohnungen. Davon mit dem Gemeinderat den richtigen Mix zu finden, ist unsere Aufgabe.

chilli: Der Erfolg des 50-Prozent-Beschlusses ist bisher stark überschaubar. Wieso spricht das Rathaus nicht noch mal mit den Stadträten, die das durchgeboxt haben?

Haag: Das tun wir. Genau anhand von Dietenbach müssen wir das jetzt klären. Politisch geht es bei dem Beschluss ja um preisgünstiges Wohnen für breite Bevölkerungskreise. Und das ist auch preisgebundener Wohnungsbau und gefördertes Eigentum. Mein Eindruck ist, dass wir eine Mehrheit dafür kriegen können, den Beschluss auf diese Weise zu erneuern. Das würde die Wirtschaftlichkeit für die Bauträger verbessern. Ansonsten müssten wir die Grundstücke wahrscheinlich verbilligt zur Verfügung stellen und das ginge zulasten des Stadthaushalts.

chilli: Wird es im Dietenbach zehngeschossige Hochhäuser geben?

Haag: Das ist nicht ausgeschlossen. Schauen wir mal, was wir Anfang Februar aus den Ergebnissen des Wettbewerbs zum Städtebau im Dietenbach zu sehen bekommen.

chilli: Oberbürgermeister Dieter Salomon hat sich vor einigen Wochen im Alleingang von Mooswald-West und den Dreisamwiesen als neue Wohnungsbauflächen verabschiedet. Hoffen Sie, dass der Gemeinderat diese Flächen trotzdem zur Planreife bringen wird?

Haag: Bei den neuen Wohnbauflächen müssen wir uns auf Zähringen und den Stühlinger konzentrieren, die haben die höchsten Erfolgschancen, was die schnelle Realisierung und die Akzeptanz der Planung anbelangt. Im Mooswald machen wir einen Rahmenplan und warten auf Gutachten. Mitte des Jahres können wir dann Diskussionen führen, der Gemeinderat wird im Laufe des Jahres dazu eine Entscheidung treffen.

chilli: Ob in Zähringen Raum für 1400 neue Wohnungen geschaffen wird, hängt von privaten Eigentümern ab.

Haag: Ja, aber es ist hoch wahrscheinlich, dass das klappt.

chilli: Die Eigentümer des Real-Markts werden ihre Flächen eher nicht verkaufen, wie sieht es bei Mömax aus?

Haag: Es geht für Mömax um einen neuen Standort und die Art und Höhe der Entschädigung. Die Firma will den Wohnungsbau nicht selbst entwickeln.

chilli: Die Stadt kauft?

Haag: Das wäre eine Option. Wichtiger ist aber, dass auf der Fläche das städtebauliche Konzept in guter Qualität umgesetzt wird. Wir brauchen aber auch die Flächen im Stühlinger als Übergang, bis im Dietenbach gebaut werden kann. Die trennende Sundgauallee in diesem Bereich wird auf jeden Fall verändert. Entweder wird sie ganz oder teilweise zurückgebaut oder in eine neue Lage gebracht. Weil das komplex ist, könnte Zähringen schneller kommen.

chilli: Geplant war, dass die Freiburger Stadtbau (FSB) beim zweiten Bauabschnitt rund 400 Wohnungen bauen soll. Steht das noch?

Haag: Ja, wir haben großes Interesse, mit der Stadtbau dort zu bauen, nicht zuletzt, weil wir neben dem geförderten Wohnungsbau auch Beschäftigtenwohnungen brauchen, das ist Teil unserer Personalbindungsstrategie. Die öffentliche Hand ist beim Gehalt nicht so flexibel wie die freie Wirtschaft. Wohnen ist da ein zentraler Punkt. Alles wird die FSB aber nicht bebauen.

chilli: Eine weitere Fläche ist die Wendeschleife im Vauban.

Haag: Da warten wir auf eine Machbarkeitsstudie, das ist aber ein sehr kompliziertes Grundstück. Nicht zuletzt sollte eine künftige mögliche Erweiterung der Straßenbahn nach St. Georgen berücksichtig werden.

chilli: Beim 1. Bauabschnitt fürs Rathaus gab es eine Baukostenexplosion um bis zu acht Millionen Euro. Wie sieht die Schlussrechnung aus? Wie blau ist das Auge?

Haag: Wir prüfen die Schlussrechnungen derzeit, ermitteln aber auch den Schaden durch die Bauzeitverzögerungen und bereiten uns auf juristische Auseinandersetzungen vor. Mehr kann ich dazu heute nicht sagen. Solange das aber nicht restlos geklärt ist, gehen wir auch nicht an den zweiten Bauabschnitt.

chilli: Stress gibt es auch beim Baugebiet Zinklern in Lehen, wo heftig um den städtebaulichen Vertrag gerungen wird …

Haag: Es geht hier um die Frage, was wir in diesen Vertrag alles reinpacken müssen und wollen. Wir haben steigende gesetzliche Anforderungen an Hochwasser- und Artenschutz, an Kindergärten und Gruppen für unter Dreijährige. Die U3-Gruppen gab es etwa beim Rieselfeld noch gar nicht. Das führt dazu, dass das Volumen in den Verträgen an einen Punkt kommt, an dem wir den Sack nicht mehr zu kriegen. Zinklern zeigt die Quadratur des Kreises. Die Eigentümer verfolgen stringent ihre Interessen. Ich hoffe aber, dass wir bis Ende Juni ein Ergebnis verkünden können. Wenn über die Verträge nicht alles abgebildet werden kann, brauchen wir eine politische Entscheidung.

chilli: Die Stadiongesellschaft hat den Bauantrag für die neue Arena eingereicht. Anders als zu Beginn formuliert der Sportclub nun auch selber nicht mehr den Saison-beginn 2019/2020 als Eröffnung. Was ist realistisch?

Haag: Die Eröffnung wird zum Saisonbeginn 2020/2021 angestrebt. Wir bearbeiten derzeit den Bauantrag und bereiten den Bebauungsplan zur Satzung vor. Das wird ein sehr umfangreiches Dokument mit vielleicht 1000 Seiten, sicher die dickste Vorlage, die der Gemeinderat je bekommen hat.

chilli: Und dann wird man sehen, was juristisch alles aufs Rathaus zukommt.

Haag: Es wird sicher Klagen geben, die Frage ist aber, wie substantiell die sind und welche Qualität sie haben.

chilli: Was war für Sie der Aufreger 2017?

Haag: Die Debatte um den Platz der Alten Synagoge haben wir so nicht erwartet. Der Platz hat eine tolle Qualität und ist ein Riesengewinn. Und auch die Diskussion ist ein Gewinn. Vorher gab es eine Gedenktafel, die kaum wahrgenommen wurde. Jetzt ist das Gedenken an die Synagoge zentral in der Innenstadt präsent.

chilli: Präsent wird auch die Sanierung der Leo-Wohleb-Brücke sein, wenn gleichzeitig die Höllentalbahn von März bis Oktober ausfällt und zig Ersatzbusse nach Freiburg fahren müssen …

Haag: Das kollidiert, aber da müssen wir durch. Uns bleibt keine andere Wahl, als das an Pfingsten zu machen. Wenn wir das aufschieben würden, müssen wir am Ende nicht nur den Asphalt, sondern die ganze Brücke sanieren. Ich hoffe, dass die Autofahrer die massiven Einschränkungen mit nur einer Spur stadteinwärts als nötiges Übel annehmen.

chilli: Herr Haag, vielen Dank für dieses Gespräch.

Fotos: © HPP-WillMore, Lars Bargmann