„Papa ist nicht nur Sidekick“: Freiburger Paar zieht Kind gleichberechtigt groß Erziehung | 10.03.2023 | Philip Thomas

Philine Sauvageot und Till Neumann mit dem Fahrrad unterwegs Gerne mit dem Rad unterwegs: Philine Sauvageot und Till Neumann - Sohn Mikis ist im Radanhänger

Kindererziehung ist Frauensache. Oder nicht? Ein Freiburger Paar hat beschlossen, die Verantwortung zu teilen und das Kind gemeinsam großzuziehen. Mutter und Vater nahmen je sieben Monate Elternzeit. Das Modell hat zahlreiche Vorteile, birgt aber auch Risiken.

„Bei uns ein großes Thema“

„Wir sind unkonventionelle Typen und denken oft out of the box. Da ist das unkonventionelle Familienmodell nicht weit“, erklärt Philine Sauvageot in ihrem Wohnzimmer. Neben dem Sofa steht ein Spielzeug-Tipi, davor türmen sich Bauklötze zu einer kleinen Skyline. Seit drei Jahren sind Sauvageot und ihr Freund Till Neumann zu dritt.

Sohn Míkis gemeinsam großzuziehen lag für die Radiomoderatorin und den Musiker und Journalisten auf der Hand. „Es geht ums Prinzip und um Gleichberechtigung. Auch das Private ist politisch“, erklärt die Mutter. „Das ist bei uns ein großes Thema, wir sprechen viel darüber“, kommentiert Neumann. Er stellte Kind über Karriere und meldete – genau wie Sauvageot – sieben Monate Elternzeit an. „Es wäre unfair gewesen, dir zu sagen: Du machst jetzt mal ein Jahr Pause“, sagt er zu seiner Freundin.

Männer 4 Monate, Frauen 15

Bei den meisten Familien in Deutschland läuft das anders. Drei von vier Väter (72 Prozent) bezogen im Jahr 2020 bloß zwei Monate Elterngeld – das Minimum. Die meisten Mütter (62 Prozent) beantragen Elterngeld für einen Zeitraum von zehn bis zwölf Monaten. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes meldeten Männer im Schnitt 3,7 Monate Elterngeld an, Frauen hingegen 14,5 Monate. Insgesamt war nur jeder vierte Elterngeldbeziehende (462.300) männlich.

Die Reaktionen auf das gemeinsame Modell der Freiburger Familie waren gemischt. In der Kita gelten die beiden eher als Exoten. Der Mutter klopfte niemand auf die Schulter. „Von der Frau wird erwartet, dass man sich ums Kind kümmert“, kommentiert Sauvageot. Für den Mann gab’s indes viel Lob. Oft ist er allein unter Müttern. „Auf Spielplätzen und Treffs bekomme ich immer mal wieder Komplimente für Engagement und Einsatz“, berichtet Neumann.

Sauvageot und Neumann bei einem Ballspiel mit ihrem Sohn

Kindererziehung mit Köpfchen: die Freiburger Familie beim Ballspiel.

„Für uns easy machbar“

Dabei liegen die Vorteile der gleichberechtigten Elternschaft auf der Hand. „Seit dem siebten Monat haben wir regelmäßig Phasen, die Míkis ohne Mama verbringt. Er ist das gewohnt und davon profitieren wir“, betont Neumann. „Privat oder beruflich kann auch ich mal weg sein, wir sind nicht ans Haus gebunden“, so Sauvageot. Frühdienst in Baden-Baden oder Freunde besuchen – „für uns easy machbar.“ Das Paar kennt kaum eine Familie, in der die Mutter auch mal länger ohne Kind weg ist. Neumann ergänzt: „Wenn Míkis mal eine Krise hat, hat er keine bevorzugte Person. Papa ist nicht nur der Sidekick.“

Die Rolle musste sich der Vater allerdings verdienen. „Am Anfang war es schon kribbelig, mit ihm alleine zu sein“, erinnert sich Neumann an die Zeit nach der Geburt. Die Bedenken seien jedoch unbegründet gewesen: „Außer Stillen konnte ich alles machen.“

„Ständig muss man verhandeln“

Um die Last gleichermaßen verteilen zu können, pflegen beide Eltern einen gemeinsamen Terminkalender. „Der Tag ist bei uns durchgetaktet“, sagt Neumann, der deswegen oft sein Handy checkt. Der Wechsel im Wohnzimmer sei oftmals fliegend. Hinzu kommt eine zeitlich flexible Babysitterin. Aber auch die muss man sich leisten können. Neumann und Sauvageot sind 39 und 34 Jahre alt, stehen mit beiden Beinen fest im Berufsleben. „Mit 18 Jahren wäre unser Modell wohl schwieriger umzusetzen“, merkt der Vater an.

Und die Planung sei nicht immer einfach. Tasche packen, Gummistiefel kaufen, Geburtstage planen, „wir müssen uns ganz anders abstimmen“, erzählt Sauvageot. Es habe auch Vorteile, wenn stets klar ist, dass sich die Mutter um solche Dinge kümmert. „Ständig muss man verhandeln. Das ist auch anstrengend“, sagt sie. Das birgt auch Konfliktpotenzial.

„Wir machen beide alles“

Die Alternative, eine klassische Kindererziehung, sei für die beiden trotzdem nicht infrage gekommen. „Ich sehe, dass sich viele Mütter bei der Erziehung ihres Kindes aufopfern. Bei uns muss jeder weniger geben“, berichtet Sauvageot, die andere ermutigen will, es ihr gleichzutun: „Die Frau muss das einfordern.“ Rollenbilder will die Familie aufbrechen. „Wir machen beide alles“, sagt Neumann. Fußball gespielt wird auch mit der Mutter, Plätzchenbacken geht auch mit dem Papa.

Neumann ist froh, den Schritt in die längere Elternzeit gegangen zu sein: „Es war wichtig zu merken, dass Kindererziehung auch Arbeit ist. Und das muss wertgeschätzt werden.“ Auch Sohn Míkis profitiere. „Er entwickelt sich sehr gut“, sagt die Mutter, die das Modell nicht mehr missen möchte. Beide sagen: „Wir würden es wieder so machen.“

Fotos: © privat