»Höchste Frustration«: St. Josefskrankenhaus und Uniklinikum Freiburg streiten um Neugeborenen-Intensivstation Schwangerschaft | 13.07.2024 | Till Neumann

Ein Frühchen in einem Inkubator im Krankenhaus Versorgt: Bisher gibt es in Freiburg zwei Intensivstationen für Neugeborene.

Wer in Freiburg ein Kind zur Welt bringt, hat die Wahl: Mit dem Uniklinikum, dem St. Josefskrankenhaus, dem Diakoniekrankenhaus, dem Lorettokrankenhaus und dem Geburtshaus ist das Angebot groß. Bei Risikogeburten bleiben die Uniklinik und das St Josefs. Das könnte sich mit der Eröffnung der Kinderklinik dieses Jahr ändern. Der Neugeborenen-Intensivstation am St. Josefs droht dann das Aus. Hinter den Kulissen tobt darum ein Streit. Möglicherweise geht es sogar vor Gericht.

Bisher haben Eltern die Wahl

Vertragsbruch. Monopolstellung. Unterversorgung. Überlastung. Spiel mit Ängsten. Die Vorwürfe, die beim Zoff zwischen Uniklinikum und St. Josefskrankenhaus erhoben werden, wiegen schwer. Aussicht auf eine Einigung gibt es kaum.

Worum geht es? In Freiburg bestehen zwei sogenannte Neonatologien. Diese Intensivstationen für Neugeborene braucht es beispielsweise bei Hochrisikogeburten und extremen Frühgeburten. Eine Neonatologie ist an der Uniklinik, eine am St. Josefskrankenhaus. Beide werden vom Uniklinikum betrieben, bieten Eltern jedoch eine Wahlmöglichkeit.

»Viele wünschen Geborgenheit«

Das St. Josefskrankenhaus setzt auf familiäre Atmosphäre und natürliche Geburten. „Seit vielen Jahren steht die Geburtshilfe in unserem Hause für eine selbstbestimmte und interventionsarme Geburtserfahrung für Mutter und Kind“, so Pressesprecherin Theresa Scheible. Und weiter: „Wir sind nicht starren Abläufen und Vorgaben untergeordnet, vielmehr stellt sich unser Team mit Wissen und Erfahrung, vor allem aber auch mit Empathie und allen Möglichkeiten eines modernen Krankenhauses mit angeschlossener Kinderklinik in den Dienst jeder einzelnen Gebärenden.“ Vereint würden dort „sehr hohe Qualitätsstandards mit der Atmosphäre eines kleineren, traditionsreichen Hauses“. Und das komme an: „Viele wünschen sich für die Geburt eines Kindes eine Intimität, Familiarität und Geborgenheit, die in dieser Form in einem sehr großen Krankenhausbetrieb nicht zu gewährleisten wären.“

In der Beschreibung schwingt eine Abgrenzung zum Uniklinikum mit. Das ist sich offenbar bewusst, dass der Ruf bei werdenden Eltern ausbaufähig ist. Im Januar eröffnet die Klinik einen Hebammenkreißsaal, um Geburten umfassender betreuen zu können. Weniger Schmerzmittel und Kaiserschnitte könne das ermöglichen, erzählte die leitende Hebamme Carolina Fink der chilli-Redaktion im Juni.

Alles gut gegangen: Der Fuß eines Neugeborenen im Freiburger Uniklinikum

»Verein­barung wird gebrochen«

Die Uniklinik verfügt über vier Kreißsäle, das St. Josefskrankenhaus über sechs. Im kleineren der beiden Häuser kommen damit mehr Kinder zur Welt als im großen. Dass sich das ändern könnte, erhitzt die Gemüter. Die Aufregung belegt auch die Petition „Rettet die individuelle Freiburger Geburtshilfe im St. Josefskrankenhaus“. Sie ist im März gestartet und hat rund 6200 Unterstützende gefunden.

Schon 2015 war die Zukunft der Neonotologien Thema. Damals stimmten sich die Uniklinik und das St. Josefskrankenhaus mit einer schriftlichen Vereinbarung ab. Das Schriftstück zur „Weiterentwicklung der pädiatrischen Versorgung in Freiburg“ vom 26. November 2015 liegt dem chilli vor. Es beinhaltet, dass das Josefs seine Neonatologie in die Kinderklinik verlegt, sobald diese am Start ist. Die Uniklinik sichert aber zu, dass das Josefs auch danach eine neonatologische Versorgung anbietet. Die Vereinbarung wird dort als wechselseitig unkündbar genannt.

„Keine freie Wahl mehr“

Doch das ist für das Josefs-Team hinfällig. „Die Vereinbarung wird nun von der Uniklinik Freiburg ohne erkennbaren Grund gebrochen“, berichtet Theresa Scheible. Die Uniklinik werde die Neugeborenen-Intensivstation am St. Josefskrankenhaus nicht, wie vertraglich vorgesehen, fortführen. Die Konsequenzen seien dramatisch. Gleich zehn Punkte führt Scheible an. Dazu zählen:
Keine freie Wahl des Geburtsortes mehr für geschätzt 600 Schwangere, die bis jetzt durch das St. Josefskrankenhaus betreut werden konnten.
Ein Abweichen vom nationalen Gesundheitsziel einer interventionsarmen und individuellen Geburtshilfe mit Senkung der Kaiserschnittrate.
Keine Alternative zum Kaiserschnitt mehr bei Beckenendlagen, mehreren vorangegangenen Kaiserschnitten usw. in der gesamten Region.
Die maximale Strapazierung der Uni­klinik-Kapazitäten mit fraglicher Auswirkung auf die Versorgungsqualität.
Eine geringere Aussicht für Mütter von verlegten Neugeborenen, mit ihren Kindern zusammen verlegt zu werden – mit den entsprechenden Konsequenzen für Bindung und Stillen, von der emotionalen Zumutung für die von ihren Babys getrennten Mütter ganz abgesehen.

„Die Zähne ausgebissen“

Die Vorwürfe teilt auch Frank Löscher. Er ist Geschäftsführer der Artemed Kliniken Freiburg (AKF), zu denen das Haus zählt. Seit Oktober 2020 betreibt Artemed das Josefs- und das Lorettokrankenhaus. „Wir haben den Fall übernommen, schon der Vorträger hat sich an der Uniklinik die Zähne ausgebissen“, berichtet Löscher. Die Uniklinik müsse nun eigentlich einen Vertrag unterschreiben, der die Zukunft der Neonatologie regele. „Die Uniklinik weigert sich“, betont Löscher.

Verständnis hat er dafür wenig. Auch vor dem Hintergrund, dass das St. Josefskrankenhaus der Uniklinik mehrfach entgegengekommen sei: „Wir haben extreme Zugeständnisse gemacht“, sagt Löscher. Das Josefs habe angeboten, selbst Betreiber zu sein, habe ein Sonderkündigungsrecht offeriert oder vorgeschlagen, Räumlichkeiten kostenlos zu überlassen. Ohne Erfolg. Löschers Fazit: „Wir haben getan, was wir konnten, damit die Klinik es so einfach wie möglich hat, sich an die damalige Vereinbarung zu halten. Aber ich glaube, die haben übergeordnet andere Ziele.“ Einen Kommunikationsfaden gebe es nun nicht mehr.

Eine Option: ein Kreißsaal in der Freiburger Uniklinik

Zivilrechtliche Klage?

Daher fährt Löscher zweigleisig. Zum einen lässt sich das Team juristisch beraten. Es geht um kartellrechtliche Dinge, weil so eine „völlige Monopolstellung entstehe“. Und um zivilrechtliche, „weil wir der Meinung sind, dass Verträge nicht eingehalten werden“. Die zweite Schiene ist ein Antrag an die Landesregierung für den Betrieb einer eigenen Neonatologie am Josefs. Abgeschickt ist der Antrag, eine Entscheidung könne jedoch Monate in Anspruch nehmen – und „die Chancen sind aller Voraussicht nach überschaubar“, erklärt Löscher.

Trotz der relativ aussichtslosen Lage möchte er eine juristische Auseinandersetzung vermeiden: „Weil wir es für nicht sinnvoll erachten, dass sich zwei relevante Klinikträger in der Stadt Freiburg juristisch die Köppe einhauen.“

Auch Löscher findet ein Aus der Josefs-Neonatologie heftig: „Nach unserer Ansicht wäre das fatal.“ Die Rede sei von knapp 600 Geburten, die die Uniklinik mehr leisten müsste, bei gleichen Kreißsaal-Kapazitäten. „So kommen wir nach meiner Ansicht völlig unnötig in eine Situation, in der die Uniklinik maximal überlaufen sein wird.“

»Die machen, was sie wollen«

Eine mögliche Konsequenz? „Anstatt eine Geburt von sechs bis acht Stunden im Kreißsaal zu haben, müssen sie einen Kaiserschnitt machen.“ Der ginge ein paar Minuten und entlaste die Infrastruktur. Die Betroffenheit im Josefs-Team sei groß: „Höchste Frustration“, sagt Löscher. „Am Ende hat – das ist zumindest unser Empfinden, die Uniklinik eine solche Macht. Die machen einfach, was sie wollen, und das wird knallhart zu Lasten der Bevölkerung gehen.“

An der Uniklinik sieht man die Lage anders: „Das Universitätsklinikum Freiburg hält sich an den geschlossenen Vertrag, der die Überlassung von Kinderärzt·innen des Universitätsklinikums Freiburg an das St. Josefskrankenhaus regelt“, betont Sprecher Benjamin Waschow. Diese Vereinbarung ende vertragsgemäß mit der Eröffnung der neuen Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Freiburg. Bereits heute erfolgten fast alle Risikogeburten am Universitätsklinikum Freiburg.

„So ein Notdienst ist ein Witz“

Die neonatologische Notfallversorgung in den Kreißsälen des St.-Josefskrankenhauses erfolge seit langem über das Universitätsklinikum, dessen Personal als einziges über die nötige Expertise verfüge. Zudem soll die Notfallversorgung auch zukünftig am St. Josefskrankenhaus zur Verfügung stehen. Das Uniklinikum habe daher einen Kooperationsvertrag „zur konsiliarischen Versorgung des Kreißsaals durch den Neugeborenen-Notarztdienst“ angeboten.

Löscher hält von diesem Angebot nichts: „So ein Notdienst ist ein Witz“, sagt der Artemed-Geschäftsführer. Das habe – überspitzt gesagt – jede kleine Klitsche irgendwo. Ein Notdienst habe nichts damit zu tun, dass innerhalb von zehn Minuten ein Pädiater im Kreißsaal stehen muss. Die Uniklinik zünde hier „gerne ein paar Nebelkerzen“.

„Spiel mit Ängsten“

Benjamin Waschow hat ein weiteres Argument für eine einzige Neonatologie: „Die Zusammenführung in der neuen Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Freiburg an einem Ort stärkt die medizinische Versorgung in der Region.“ Genau diese Bündelung von hochspezialisierter Expertise werde vom Bundesgesundheitsministerium im Rahmen der geplanten Krankenhausstrukturreform gefordert und sei aus medizinischer Sicht sinnvoll.

Die neue Kinderklinik

Fast fertig: Die neue Kinderklinik soll bald eröffnen. Das könnte einiges ändern.

Waschow betont zudem: „Der zu erwartende Zuwachs an Geburten am Universitätsklinikum Freiburg durch die vollständige Übernahme von Risikogeburten kann aufgrund einer guten Ausstattung in Sachen Personal, Infrastruktur und Räumlichkeiten jederzeit adäquat versorgt werden.“ Die Sicherheit der Schwangeren und der Kinder sei damit jetzt und in Zukunft jederzeit gewährleistet.

Waschow hält die Vorwürfe von Löscher und seinem Team für falsch. „Die vom Josefskrankenhaus verbreiteten falschen Informationen spielen mit den Ängsten der Familien, das ist unverantwortlich.“

„Zum Positiven entwickelt“

Um einen externen Blick auf die verworrene Lage zu werfen, hat das chilli beim Geburtshaus Freiburg angeklopft. Wie sieht man dort die Auseinandersetzung? „Als Geburtshaus interessiert uns vor allem der Aspekt der geburtshilflichen Versorgung“, erklärt Geschäftsführerin Sarah Wong-Herrlich. In seltenen Fällen sei das Team darauf angewiesen, Frauen in ärztliche Betreuung zu übergeben. Im Optimalfall an eine Klinik, deren Leitbild ihrem eigenen am nächsten kommt: „Eine Klinik, die für eine frauenzentrierte, familienfreundliche Geburtshilfe steht und die auch Offenheit und Verständnis für die außerklinische Geburtshilfe und ‚unsere‘ Familien und deren Bedürfnisse hat.“ Und das finde sie im St. Josefskrankenhaus.

„Die Geburtshilfe im Josefskrankenhaus hat sich unter der Leitung von Frau Dr. Bärbel Basters-Hoffmann sehr zum Positiven entwickelt“, sagt Wong-Herrlich. Das belege zum einen die relativ frische Zertifizierung zum babyfreundlichen Krankenhaus (WHO) – ein Zertifikat, welches man sich anhand strenger Kriterien hart erarbeiten müsse. „Zum anderen belegt das große öffentliche Interesse, vor allem der betroffenen Frauen und ihrer Familien, dass die Geburtshilfe im Josefs über die Stadtgrenzen hinaus zu Recht einen besonders guten Ruf genießt.“

„Auf Kosten vulnerabelster Gruppen“

Das Team von Basters-Hoffmann habe sich unter anderem auf die Betreuung von Spontangeburten nach vorangegangenem Kaiserschnitt, spontane Becken­endlagen-Geburten und die Begleitung von spontanen Zwillingsgeburten spezialisiert. „Für etwa 600 Frauen oder Familien, die pro Jahr mit unter anderem diesen ‚Besonderheiten‘ zur Geburt ins Josefs gehen, würde der Wegfall der angegliederten Neonatologie bedeuten, dass sie zukünftig keine andere Wahl haben, als in die Uniklinik zu gehen“, sagt Wong-Herrlich. Dort wiederum sei ihres Wissens nach die notwendige Expertise vor allem für spontane Beckenendlagen-Geburten nicht vorhanden. Für die Frauen bedeute das, dass sie keine andere Wahl haben, als einen Kaiserschnitt durchführen zu lassen.

Das Fazit von Sarah Wong-Herrlich ist daher klar: „Die Schließung der Neonatologie im Josefshaus wird definitiv auf Kosten der Versorgungsqualität vulnerabelster Gruppen unserer Gesellschaft gehen – Schwangere, Gebärende, Wöchnerinnen sowie deren Kinder. Und nicht zuletzt auch auf Kosten der Hebammen und des restlichen Personals.“

Viel Zuspruch: Ein Freiburger hat eine Petition zum Erhalt der Intensiv-Geburtenhilfe am Josefs gestartet

„Nicht bis Offenburg verlegt werden müssen“

Diese Position vertritt auch der Initiator der Petition zur Rettung der Geburtshilfe: „Ich habe die Petition als Privatperson gestartet, weil es mir wichtig ist, dass die Familien auch in Zukunft eine Wahl haben“, sagt Nicolas Arps. Seine Frau und er hätten ohne Neugeborenen-Intensivstation im Josefs in die Uniklinik gehen müssen. „Dort wäre keine Spontangeburt wegen der Steißlage möglich gewesen“, sagt Arps. Ihm ist wichtig, dass es nicht nur eine Neonatologie in Freiburg gibt: „Damit die Neugeborenen bei Kapazitätsengpässen innerhalb der Stadt verlegt werden können, wie es aktuell der Fall ist – und nicht bis Offenburg oder Lörrach verlegt werden müssen.“

Das unterstreichen die 1690 Kommentare zu seiner Petition. Mit Aussagen wie dieser: Ich unterstütze die Petition, „weil ich in der Uniklinik arbeite und weiß, wie groß die Überlastung regelmäßig in allen möglichen Bereichen ist. Und nicht verstehen kann, wieso etwas Funktionierendes (mit hohem medizinischen/pflegerischen Aufwand) nicht im Josefshaus bestehen bleiben soll, wenn es doch kann.“

Fotos: © iStock.com/Ondrooo, Till Neumann

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