Beziehungsgeflechte – Einfühlsame Doku über die oft unsichtbare Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe 4Film | 05.06.2025 | Erika Weisser

Fast wie Familie, aber immer auf Zeit: Zwischen Elternersatz, Bürokratie, Jugendamt geben drei Erzieher·innen alles, um in einer pädagogischen Wohngruppe den ihnen anvertrauten fünf Jungs so etwas wie ein Zuhause zu schaffen. Ein Zuhause, das die Eltern ihnen aus verschiedenen Gründen nicht dauerhaft gewähren können. In diesem „ergänzenden familiären Konstrukt“, wie eine Mitarbeiterin das Projekt nennt, sollen sie erfahren, wie sich Geborgenheit, Zuversicht, Zuverlässigkeit und Sicherheit anfühlen. Und gegenseitige Akzeptanz. Und Hilfe bei den Hausaufgaben.
Zwei Jahre lang hat Regisseur Daniel Abma den Alltag des im Schichtdienst arbeitenden Teams und seiner Schützlinge in ihrem „Haus am See“ begleitet.
Entstanden ist eine exemplarische, einfühlsam umgesetzte Doku über die Superkräfte, die es braucht, Kinder zu selbstbewussten, widerstandsfähigen, sich selbst reflektierenden Persönlichkeiten zu entwickeln. Über die Herausforderungen des Zusammenlebens, sei es in einer Familie oder in einer Wohngruppe. Und über das hochkomplexe Aufgabenspektrum, das Mitarbeiter·innen der Kinder- und Jugendhilfe zu bewältigen haben, und welche empfindlichen Beziehungsgeflechte dabei entstehen können.
In dem Haus mit dem großen Garten und dem direkten Zugang zu einem noch größeren See würde man selbst gerne wohnen. In einer Wohngemeinschaft, einer Großfamilie, einem Generationen-Projekt. Auf jeden Fall mit vielen Menschen, weil ein solches Fleckchen Erde für Einzelgänger·innen zu schade ist. Mit Menschen, die die täglichen Aufgaben gemeinsam meistern.
Und das tun die Bewohner des Hauses: Auf dem Programm stehen gemeinsames Kochen, Wäsche waschen, Einkaufen, Gartenpflege und der tägliche Weg zur Schule mit dem Kleintransporter. Außerdem gemeinsame Freizeitunternehmungen und Geburtstags-, Weihnachts- oder Neujahrsfeiern, zu denen manchmal auch die „richtigen“ Eltern kommen. Dazu gehören gemütliche Film- oder Spieleabende ebenso wie zuhören, vorlesen, trösten, erklären und Grenzen setzen.
Die Betreuer legen großen Wert auf den – oft vergeblich gesuchten – regelmäßigen Kontakt zu den Eltern; sie wollen diese nicht ersetzen. Doch sie wollen in der Gruppe ein Gefühl des familiären Zusammenhaltes erzeugen. Nicht selten stoßen sie dabei aber an ihre und der Kinder Belastungsgrenzen – und an die Grenzen eines ganzen Systems, bedingt durch Bürokratie und schwerfällige Kommunikation. Und auch durch die Hilf- und Sprachlosigkeit der Eltern.
Abmas Film lässt die Zuschauer aber auch an Momenten der Unbeschwertheit, Freude und Sorglosigkeit teilhaben, die die Kinder hier erleben. Mit den ihnen nicht nur professionell zugewandten Menschen, die ihnen beste Freunde, Kurzzeit-
Eltern, Seelsorger, Gesprächspartner und Kumpel sind – in Personalunion.
Im Prinzip Familie
Deutschland 2024
Regie: Daniel Abma
Dokumentarfilm
Verleih: Camino
Laufzeit: 91 Minuten
Start: 5. Juni 2025