Film-Tipp: Die Zeit, die wir teilen 4Film | 25.08.2022 | Erika Weisser

Filmausschnitt: Die Zeit, die wir teilen

Joan Verra ist in ihrem Wagen unterwegs. Allein fährt die erfolgreiche Pariser Verlegerin durch die Nacht, hält plötzlich an und wendet sich durch die Windschutzscheibe an ein unsichtbares Gegenüber – oder gleich an mehrere: In einer Art Pakt mit dem Publikum im Kinosaal verspricht sie den Zuschauern, sie auf die Reise durch ihre Vergangenheit mitzunehmen. Doch zugleich bereitet sie ihre Begleiter darauf vor, dass das eine oder andere Bild auch Illusion sein könne, dass ihre Erinnerungen zum Teil erfunden seien.

Derart vorgewarnt, folgt man der filmischen Erzählung wohl ein wenig aufmerksamer als üblich. Doch man liest so manchen vermeintlichen Hinweis falsch und, so viel sei schon einmal verraten, kommt erst ganz kurz vor Ende des Films hinter Joans Geheimnis.

Denn ein Geheimnis trägt sie mit sich durchs Leben. Eine so schwerwiegende Belastung, die aus der zerbrechlich wirkenden Frau eine scheue Einzelgängerin macht, die niemanden in ihre Nähe lässt. Und die auch die beharrlichen Avancen des offenbar unerschütterlich in sie verliebten Kölner Autors Tim Ardenne gleichermaßen beharrlich abweist. Sie versucht, ihren Kontakt zu ihm auf eine reine Geschäftsbeziehung zwischen Verlegerin und Schriftsteller zu reduzieren, schafft es dann aber doch nicht.

Filmausschnitt: Die Zeit, die wir teilen

Der ausgesprochen exzentrische Ardenne ist ziemlich die einzige Konstante in Joans Leben: Ihr Vater starb vor vielen Jahren, ihre Mutter hatte die Familie schon zuvor verlassen und nie wieder von sich hören lassen. Damals war sie noch sehr jung, hatte gerade ihren Sohn Nathan zur Welt gebracht, der auch schon lange nicht mehr bei ihr lebt. Sie hat ihn allein erzogen, denn auch die Beziehung zu Doug, Joans großer Jugendliebe und Nathans Vater, nahm noch während der Schwangerschaft ein unschönes und abruptes Ende. Ohne ein einziges Wort.

Doch nun ist sie Doug nach fast 40 Jahren unverhofft begegnet, hat ihm aber wieder nicht von Nathan erzählt. Nach einem belanglosen Gespräch mit ihm setzt sie sich aufgewühlt ans Steuer ihres Wagens, verlässt Paris und flüchtet in die Ruhe und Abgeschiedenheit des längst nicht mehr genutzten Landhauses der Familie. Hier lässt sie ihr einsames, in strikter Unnahbarkeit verbrachtes Leben Revue passieren, wobei Wunsch und Wirklichkeit zusehends verschwimmen. Doch Joan will endlich Licht in ihre unbewältigte Vergangenheit bringen – und ganz besonders in ein Ereignis, das ihr Leben auf den Kopf gestellt hat und das sie nie verwunden hat. Nathan, der sie mit einem plötzlichen Besuch überrascht, und Tim Ardenne, der ihr stur nachreist, sind dabei an ihrer Seite.

Filmcover: Die Zeit, die wir teilen

Die Zeit, die wir teilen
Frankreich 2022
Regie: Laurent Larivière
Mit: Isabelle Huppert, Lars Eidinger, Swann Arlaud, Freya Mavor u. a.
Verleih: Camino
Laufzeit: 97 Minuten
Start: 31. August 2022

Foto: © Camino