Bewegende Kriegstraumata: Die Nacht unterm Schnee 4Literatur & Kolumnen | 06.09.2022 | Sarah Heimberger

Autor Ralf Rothmann konfrontiert die Leser:innen seines neuen Romans „Die Nacht unterm Schnee“ mit brutalen Traumata aus dem Zweiten Weltkrieg. Das Werk stellt nach „Im Frühling sterben“ (2015) und „Der Gott jenes Sommers“ (2018) den krönenden Abschluss von Rothmanns Kriegs-Trilogie dar. Auch ohne die anderen Romane zu kennen, lohnen die rund 300 Seiten allein wegen den berührenden Beschreibungen.

Im Winter 1945 erlebt die sechzehnjährige Elisabeth während der Flucht aus Danzig Schreckliches: Sie verliert ihre Familie und wird von sowjetischen Soldaten vergewaltigt. Die junge Frau überlebt nur durch die Pflege eines anderen Soldaten aus der UdSSR in einem Bunker unter der Erde. Rückblenden erzählen diese Erlebnisse aus ihrer Perspektive. Der Autor beschreibt, wie Elisabeth ihr restliches Leben lang nicht mehr glücklich wird – das Elend und die Angst sind mitreißend.

Elisabeth wirkt nach außen selbstbewusst, um die Kriegserfahrung zu verdrängen und stürzt sich darüber in Schweigen. Details von der Vergewaltigung kennt nicht mal ihr Mann, mit dem sie eine lieblose Ehe führt. Bloß Leser:innen erfahren grausame Einzelheiten, die im Kopf nachhallen. So gelingt Rothmann, dass Elisabeths späteres Verhalten nachvollzogen werden kann. Eine ihrer Freundinnen erzählt aus ihrer Perspektive, wie Elisabeth ihren eigenen Kindern gegenüber gewalttätig wird – somit stellt der Autor grandios das Leiden der nachfolgenden Generation dar.

Ralf Rothmann, der 1953 in Schleswig geboren wurde, arbeitet mit diesem gelungenen Roman seine eigene Familiengeschichte auf. Einige Figuren sind Personen aus Rothmanns Leben nachgebildet – trotzdem handelt es sich um keine Autobiographie. Wie auch andere Bücher des Autors zeichnet sich das Werk durch seine fesselnde sowie bedrückende Genauigkeit und Direktheit aus. Rothmann stellt glaubhaft dar, wie Kriege Leben zerstören und auch folgende Generationen prägen können. Deshalb ist Die Nacht unterm Schnee lesenswert – nicht zuletzt da sich knapp 60 Jahre später schreckliche Szenen aus dem Roman aktuell in der Ukraine wiederholen.

Die Nacht unterm Schnee

von Ralf Rothmann

Verlag: Suhrkamp Verlag, 2022

304 Seiten, gebunden

Preis: 24,00 Euro

Bilder: © Suhrkamp