Buch-Rezi: Wege zur Literatur – Literarische Fußreisen 4Literatur & Kolumnen | 14.11.2023 | Erika Weisser

„Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen.“ Das klingt nicht wirklich einladend zu einer Wanderung im Winter-Wunderland. Zumal Georg Büchner in seiner Novelle „Lenz“ auch das Wetter und die daraus resultierenden Beschwernisse als nicht eben verlockend beschreibt.
Nein, an einem solchen Tag will wohl niemand in den Bergen unterwegs sein. Zumindest nicht freiwillig. Auch Jakob Michael Reinhold Lenz wanderte, von Emmendingen kommend, an diesem trüben Januartag des Jahres 1778 nicht aus freien Stücken durch die Vogesen nach Waldersbach im oberen Bruchetal. Waldbach nennt Büchner den kleinen elsässischen Ort, den der am Beginn einer Schizophrenie stehende Sturm-und-Drang-Dichter auf dringende Empfehlung eines um seine psychische Gesundheit besorgten Freundes aufsuchte, um dort bei dem Pfarrer und Sozialreformer Jean-Frédéric Oberlin Heilung für seine zerrissene Seele zu finden.
Vergeblich, wie Kenner der 1837 entstandenen und wegen Büchners frühem Tod unvollendet gebliebenen Erzählung über den nach mehreren unglücklichen Lieben und zerbrochenen Freundschaften gebrochenen Menschen wissen.
Trotz der Tragik, findet der ehemalige Lehrer Gerhard Jelinek aus Oberkirch, lohnt es sich, Lenz auf seinen Wegen zu folgen. Am besten, schreibt er in seinem Wanderführer „Wege zur Literatur“, auch im Winter: Schließlich gibt es auch im Januar sonnige Tage. 15 Touren zwischen Vogesen und Schwarzwald schlägt der Literaturkenner vor – anregende Fußreisen zu Texten aus fünf Jahrhunderten Literaturgeschichte. Eine Tour führt etwa auf die Wege von Lenzens damaligem Freund, dem jungen Goethe, die er mit seiner Freundin Frédérique Brion rund um das nordelsässische Sesenheim zurücklegte.
Rechtsrheinisch schlägt Jelinek einen Stadtrundgang in Achern vor – wo Bert Brecht im Haus seiner Großeltern so manche Kindheitstage verbrachte. Begegnungen mit Marie-Luise Kaschnitz gibt es bei einem Spaziergang in Bollschweil … Es ist ein Buch, das einen ganz neuen Zugang zur Literatur ermöglicht. Im Wortsinne.
Wege zur Literatur
von Gerhard Jelinek
Verlag: Regionalkultur 2023
188 Seiten, Taschenbuch
Preis: 18,90 Euro