Buchrezi: Am laufenden Band 4Literatur & Kolumnen | 16.11.2021 | Erika Weisser

Cover Am laufenden Band

Ein Mann, der in einem anderen Leben erst Student und dann Sozialarbeiter war, verdingt sich bei einer Zeitarbeitsfirma, die ihn und seine Arbeitskraft gewinnbringend an verschiedene Fabriken der Lebensmittelbranche verleiht.

Fortan schuftet er als Garneleneinfrierer oder -auftauer, als Wellhornschneckengarer, als Fischsortierer, als Schlachtkörperschieber – am ununterbrochen laufenden Fließband.

In Schichten, zu jeder Tages- und Nachtzeit, selbst dann, wenn die Festangestellten für bessere Arbeitsbedingungen streiken. In diesem Fall mit der doppelten Arbeit für den gleichen erbärmlichen Lohn: Da Zeitarbeiter kein Recht auf Streik haben, müssen sie den Anteil der Kollegen miterledigen. Er macht diesen Job nicht, um in einem Anfall von Klassenkampfromantik das Leben innerhalb der Fabrikmauern kennenzulernen und dann Industriereportagen der Marke Wallraff zu schreiben, sondern „wegen der Kohle“: Er will seiner Frau, deretwegen er von Paris in die Normandie zog, nicht auf der Tasche liegen, und in seinem Metier gibt es keine Stellen.

Irgendwann schreibt er seine ErlebnissEre auf, verdichtet sie zu einem epischen Versroman. Und der wird zu einem wütenden Lied, in dem die Stimmen der heutigen Arbeitssklaven so deutlich zu hören sind wie selten.

Am laufenden Band. Aufzeichnungen aus der Fabrik
von Joseph Ponthus
Verlag: Matthes & Seitz 2021
240 Seiten, gebunden
Preis: 22 Euro