Fast wie ein Bruder – Chronik einer Entfremdung 4Literatur & Kolumnen | 07.08.2024 | Erika Weisser

Buchcover: Fast wie ein Bruder

Frank und der Ich-Erzähler sind ein Jahr alt, als sie am selben Tag im selben Haus in dieselbe Etage ziehen. Und da sich ihre Eltern sofort anhaltend anfreunden, wachsen die beiden Einzelkinder wie unzertrennliche Zwillingsbrüder auf.

Das Band hält über viele Lebensphasen – und wird enger, als sie als 17-Jährige innerhalb weniger Monate den Tod ihrer Mütter erleben und das „empörend“ finden. Doch kaum ein Jahr später reißt es ein. Nicht nur, weil beide Väter mit ihren Söhnen in andere Städte ziehen. Sondern in erster Linie, weil Frank zuvor bei einem Tête-à-Tête mit dem schönen, zu einer der Sinti-Familien im Erdgeschoss gehörigen Matteo erwischt wird. Dass der Bruderfreund sich als schwul outet, bezieht der Ich-Erzähler auf sich und meidet peinlich beschämt den Umgang mit ihm.

Schon zuvor wird er ihm seltsam fremd: als Frank sein künstlerisches Talent entdeckt und Bilder produziert, die er nicht begreift. Als er sein Bohèmedasein in die USA verlegt, kommen sie sich fast ganz abhanden. Bis zu dem Tag, da Frank ihm sagt, dass er Aids hat und zum Sterben nach Deutschland zurückkehrt. Mit emotionaler Wucht beschreibt der Basler Autor Alain Claude Sulzer eine verkannte und verdrängte Freundschaft – und das fast vergessene Drama der Aids-Toten der 1980er-Jahre.

Buchcover: Fast wie ein Bruder

Fast wie ein Bruder
von Alain Claude Sulzer
Verlag: Galiani, 2024
192 Seiten, gebunden
Preis: 24 Euro