Laut und Luise – Neues Literaturfestival geht über Länder-, Sprach- und Genregrenzen 4Literatur & Kolumnen | 22.09.2024 | Erika Weisser
Das gab es noch nicht in Freiburg: Ein Festival, bei dem es um Laute geht. Um Sprechgedichte, wie der österreichische Lyriker Ernst Jandl seine experimentellen Poeme nannte. In diesen zerlegte er Sprache, Wörter und Silben und formte sie so um, dass sie einen anderen Sinn bekamen.
Und anders als etwa bei dem Wort „leise“, das er zur „Luise“ verfremdete, erschloss sich dieser Sinn oft nur über das Hören, über die Performance. Lautpoesie nennt man das heute. Und die geht vom 27. bis 29. September ziemlich verdichtet und geballt über gleich drei Bühnen: im Literaturhaus und im Schopf 2 in Freiburg sowie im Jazzcampus in Basel, in Kooperation mit dem dortigen Literaturhaus.
Ausgedacht, konzipiert und schließlich organisiert haben diese „dichterischen Grenzüberschreitungen im Dreiländereck“ zwei Freiburger und überzeugte Autoren dieses Genres: Alexander Grimm und Luke Wilkins, die sich in einer Lyrik-Schreibgruppe kennenlernten. Ausgedacht ist indessen „vielleicht nicht das richtige Wort“, sagt Wilkins: Der Impuls für die Veranstaltung kam vielmehr von einer Reaktion: Als Putin im Februar 2022 seinen mörderischen Krieg gegen die Ukraine lostrat, waren sich die beiden schnell einig, dass dem Schock und der einsetzenden „diskursiven Verengung“ der öffentlichen Debatte von wortkünstlerischer Seite etwas entgegengesetzt werden müsse. Und dass lautpoetische Ansätze hierfür geradezu prädestiniert seien.
Denn in krisengeschüttelten Zeiten, die von Schwarz-Weiß-Denken bestimmt seien und in denen selbst die Freiheit von Kunst und Medien zunehmend auf Parolen der Politik zurechtgestutzt werde, könne der von normativen Zwängen befreite Ausdruck neue, dynamische Dialogräume öffnen. Oder besser: Den Klangraum bewusst machen, den „es noch gibt zwischen Mensch und Sprache und der im Alltag meist ungehört verhallt“, wie Grimm aus Erfahrung überzeugt ist.
Die radikalen, aus Ur- oder Maschinenlauten, kindlichem Gestammel und grausender Lautmalerei bestehenden Experimente, mit denen die Dadaisten und Surrealisten vor hundert Jahren auf die Schlächtereien des Ersten Weltkriegs reagierten, sagt auch Wilkins, hätten genau diesen Klangraum, diesen unsichtbaren „dritten Körper“ erfahrbar gemacht. Eine Poesie, die sich auch über Landes- und Regionalsprachen hinwegsetzt, die sich weniger der sprachlichen Semantik als dem Klang, der Musikalität der Worte und Laute und der Lust an ihrer Sinnfreiheit widmet, könne „die Wahrnehmung für die Absurdität der Welt öffnen“, findet er. Und von dieser durch dichterische Prozesse ausgelösten Bewusstwerdung können wiederum Impulse für die Gesellschaft ausgehen, die der durch Gewalt entstandenen Sprachlosigkeit ein Ende setzen.
Als Beispiel für einen solchen Verarbeitungsprozess nennt er Kurt Schwitters 1923 entstandene Ursonate, die der Freiburger Schauspieler Heinzl Spagl bei der Festival-Matinee am Sonntag in Basel zu Gehör bringen wird. Weitere Gäste sind außer den Lautpoeten Urs Allemann, Dagmara Kraus, Liolaine Lochu und Michael Lentz und vielen anderen auch Alexander Kluge mit seinem eigens für das Festival gemachten Dada-Film und Klaus Theweleit, der sein jüngstes Buch mitbringt, in dem es um die kriegerischen Ursprünge des Vokalalphabets geht.
Mehr Info: www.lautpoesiefestival.com
Fotos: © privat, Markus Kirchgessner, picture-alliance/dpa/Eventpress Hoensch, Dorothea Philipp, privat