Mit lauten Stimmen gegen Armut: Interview mit Laura Braun über ihre Debüt-Single 4Musik | 05.02.2024 | Pascal Lienhard

Laura Braun Künstlerin mit Botschaft: Laura Braun und Ihr Partner Jonas Vogelbacher setzen sich nicht nur musikalisch gegen die gesellschaftliche Verdrängung von Armut ein.

„Mama, warum ham‘ all die ander’n Kinder mehr?“: Mit „Nullsummenspiel“ verarbeitet die Freiburger Pianistin und Sängerin Laura Braun ihre Kindheit in Armut. Im Interview mit chilli-Volontär Pascal Lienhard berichtet die 30-Jährige von der Entstehung ihrer Debüt-Single und warum der Release so lange gedauert hat. Zudem spricht sie über eine geplante Plattform, auf der sich Armutsbetroffene austauschen können.

chilli: Der Song „Nullsummenspiel“ imitiert einen Dialog zwischen einer Mutter und ihrer Tochter, die in Armut leben. Wann ist der Song entstanden?

Laura Braun: Ich habe den Song im Juni 2021 geschrieben. Im Grunde war das Lied eine Verzweiflungstat. Damals arbeitete ich im Callcenter. Mein Lebens- und Businesspartner Jonas Vogelbacher, der wie ich in Armut aufgewachsen ist, hatte einen Beruf als Erzieher. Nebenbei haben wir versucht, das Musikding aufzuziehen. Dann wurde uns eine echt heftige Mieterhöhung angekündigt. Jonas ist zufällig auf den Musikwettbewerb „Armutsschatten“ des Sozialverbands Niedersachsen gestoßen. Das Lied ist für den Contest in einem Moment ganz akuter Verzweiflung und auch Wut über die systematische Benachteilung armutsbetroffener Menschen entstanden. Es war uns ein Anliegen, zu zeigen, dass der Armutsschatten nicht wie gerne von führenden Politiker*innen reproduziert durch Fleiß und Leistung überwunden werden kann.

chilli: Mit dem Song hast du den Wettbewerb gewonnen…

Braun: In gewisser Hinsicht war das ja eine fast schon zynische Geschichte: Als uns unser eigener Armutsschatten mehr denn je auf die Pelle rückte, hat uns ein Lied darüber das Startkapital für die Selbstständigkeit eingebracht. Ohne den Preis, der mit einer Prämie von 5000 Euro verbunden war und den mit 2000 Euro dotierten Sieg beim Kleinkunstpreis Baden-Württemberg 2022 wäre das alles gar nicht möglich gewesen.

chilli: Warum hat es so lange gedauert, bis der Song veröffentlicht wurde? Schließlich hattest du schon für den Herbst 2022 ein ganzes Album angekündigt.

Braun: Musik zu produzieren ist erstmal ein großes Minusgeschäft. Man muss viele Arbeitsstunden und Geld reinstecken. Ob sich das am Ende auszahlt, ist reines Glücksspiel. Wir sind auf große Hürden gestoßen. Es war und ist schon eine Herausforderung, unsere laufenden Kosten mit der Musik zu decken. Ich arbeite noch als Hochzeitsmusikerin, muss mich um Wettbewerbe und Stipendien bewerben und Booking, Planung und das Social-Media-Marketing managen. Die Produktion der Musik muss neben dem laufen, was schon mehr als zwei Vollzeitjobs sind. Zunächst dachten wir, dass wir das alleine schaffen könnten. Doch dann haben wir gemerkt, dass wir an Geld kommen müssen.

chilli: Ihr wurdet für „Nullsummenspiel“ im Impulsprogramm „Kultur trotz Corona“ des Landes mit 35.000 Euro gefördert. Wie lief das ab?

Braun: Es war das erste Mal, dass ich so einen Antrag geschrieben habe. Ich war schockiert von der Summe, die wir auf Grundlage vorher eingeholter Angebote beantragen mussten. Die Angst, einen Fehler zu machen und etwa alles zurückzahlen zu müssen, war riesig. Es gibt viel Forschung dazu, wie das Aufwachsen in Armut das eigene Handeln beeinflusst. Wir fanden es schon so unvorstellbar, überhaupt Geld für unser Projekt zu bekommen. Wir haben uns daher auch gar nicht getraut, unsere Arbeitszeit als Posten angegeben. Da werden sich manche an den Kopf fassen. Aber gerade weil solche Handlungsweisen typisch für Armutsbetroffene sind, möchte ich das erzählen. All das und dass an dem Projekt sehr viele Menschen beteiligt waren, hat dazu geführt, dass es so lange bis zum Release gedauert hat.

Laura Braun

Preisgekrönte Künstlerin: Mit ihren Songs hat Laura Braun den Wettbewerb „Armutsschatten“ und den Kleinkunstpreis Baden-Württemberg gewonnen.

chilli: Aktuell ist die Homepage „www.nullsummenspiel.de“ im Aufbau. Was plant ihr dort?

Braun: Das ist Jonas’ Projekt. Er beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich mit der frühkindlichen Entwicklung und darauf basierend mit frühkindlichem Armutserleben und dessen Auswirkungen. Da wir die Erfahrung gemacht haben, dass nicht Leistung, sondern Glück und Unterstützung entscheiden, ob man sich vom eigenen Armutserleben emanzipieren kann, wollen wir mit der Plattform ein Stück von dem Glück, das wir hatten, teilen und einen Ort zum Austausch schaffen. Die Vision ist eine Community, deren Akteur*innen sich inspirieren und empowern, die erlebte Armut zu verstehen und davon zu berichten. Über das Thema zu sprechen, ist nicht nur ein Tabu, sondern für viele, auch für uns, mit großer Scham, großem Schmerz und großer Angst verbunden. Das nachvollziehbare Schweigen führt jedoch zur Verharmlosung von Armut. Dem wollen wir mit den lauten Stimmen der hoffentlich wachsenden Community etwas entgegen halten.

chilli: Die Single ist breit instrumentiert, unter anderem sind Members von Beach Blues und Rehats dabei. Kannst du dir vorstellen, in Zukunft mit mehreren Musikern aufzutreten?

Braun: Klar, darauf habe ich große Lust. Aber auch das ist eine Frage des Geldes. Meine Musik funktioniert auch solo sehr gut, ich spiele mein Programm alleine. Solange wir damit nicht mehr als unseren Lebensunterhalt bestreiten können, kann ich keine zusätzlichen Musiker*innen bezahlen. Die machen das ja auch nicht nur zum Spaß.

Fotos: © Jonas Vogelbacher

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