Gemeinderat übt beim Verkauf der Karlskaserne Salto rückwärts Bauen | 05.09.2021 | Lars Bargmann

Visualisierung der zweiten Rathaus-Rundlings Für 87 Millionen Euro: Neben dem schon stehenden Rathaus-Gebäude soll der zweite Rundling gebaut werden.

Der Freiburger Gemeinderat hat Ende Juli mit großer Mehrheit den Neubau des zweiten Rathauses im Stühlinger (RIS II) beschlossen. Die Freien Wähler (FW) hatten eine gute Woche vor der Sitzung dazu einen Bürgerentscheid gefordert. Der Antrag wurde abgeschmettert. Die Großinvestition von mindestens 87 Millionen Euro will das Rathaus durch wegfallende Mieten in anderen Gebäuden, geringere Energie- und Sanierungskosten gegenfinanzieren. Und durch den Verkauf der Karlskaserne. Eigentlich.

„Wie kann es sein, dass die Verwaltung sich einen solchen Bau leistet, wenn so viele notwendige und zum Teil bereits beschlossene Projekte, wie beispielsweise das Eisstadion, der Spielplatz im Colombipark oder Schulsanierungen, nicht in Angriff genommen werden, weil dafür aktuell die Mittel fehlen“, hatte der Freie-Wähler-Fraktionsvorsitzende Johannes Gröger kritisiert. Der Bau eines zweiten Rathauses müsse durch die Bürgerschaft mitgetragen werden, sagte Stadträtin Gerlinde Schrempp: „Anders wäre es nur schwer vermittelbar.“

Der Vorstoß war zunächst den anderen Fraktionen nur schwer vermittelbar. Und der Rathausspitze ohnehin. Die FW würden suggerieren, dass bei einem späteren Bau des RIS II das dafür geplante Geld anderweitig investiert werden könne (Grüne), was falsch sei. Unterm Strich lohne sich der Bau (CDU, SPD/Kult, JUPI), allerdings erinnerte die CDU-Fraktionsvorsitzende Carolin Jenkner auch daran, dass als Teil der Finanzierung die Karlskaserne am Siegesdenkmal für geschätzt zehn Millionen Euro verkauft werden müsse.

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Amorphes aus der Luft: Das RIS II (links) bietet Platz für 650 Beschäftigte.

So steht es auch in der Fortschreibung des Finanzplans für den Eigenbetrieb Neubau Verwaltungszentrum aus 2017. Doch auch hier steht das Gremium offenbar vor einem Salto rückwärts: ESfA, Grüne, SPD/Kulturliste, JUPI und Freiburg Lebenswert (zusammen mit 33 von 48 Sitzen in einer deutlichen Mehrheit) haben das Rathaus stattdessen aufgefordert, zu prüfen, inwieweit die beschlossene Teilfinanzierung durch Vermietung und Verpachtung ausgeglichen werden könne. Die Karlskaserne sei ein für die Freiburger Innenstadt „prägendes Gebäude von historischem Wert“. Ziel müsse sein, es zu behalten und eine Nutzung sicherzustellen, die zur Steigerung der Frequenz und Attraktivität der Innenstadt beitrage.

Sollte die Kaserne, in der heute das Amt für Kinder, Jugend und Familie untergebracht ist, nicht verkauft werden, würde sich die städtische Miete im RIS II um etwa 400.000 Euro auf 3,5 Millionen Euro erhöhen. Das muss aus der Kasse von Finanzbürgermeister Stefan Breiter an den Eigenbetrieb als Bauherren gezahlt werden. Die Gegenrechnung laut Drucksache G-21/156: 1,8 Millionen Euro kosten die Mieten in den bestehenden Standorten, 250.000 die Miete für das Gebäudeensemble an der Schlossbergnase (mit Vollzugsdienst), 68.000 Euro für zusätzliche Lagerflächen, 300.000 Euro Personalkosteneinsparung „durch Synergien“, 274.000 Euro durch geringere Energiekosten. Mache unterm Strich 2,692 Millionen. Fehlen strukturell demnach 800.000 Euro. Etwaige Erlöse aus der Karlskaserne nicht eingerechnet. 

Auch für den ersten Rathaus-Neubau im Stühlinger stand der Verkauf dreier städtischer Liegenschaften in der Finanzplanung. Verkauft wurde nur das alte Ordnungsamt an der Basler Straße. Das Forstamt und der Schlossbergring 1 bis heute nicht.  

87 Millionen Euro, statt ursprünglich 71,8, sind ein sehr stolzer Preis für weniger als 20.000 Quadratmeter Nutzfläche – und darunter sind noch 3500 vergleichsweise günstige im Untergeschoss. 81 Millionen Euro kostet der reine Bau, 1,7 Millionen die Solaranlagen, fast 600.000 Euro Grauwassernutzung und Notstromoptimierung, 450.000 Euro ein größeres Lager. Für „Unvorhergesehenes“ sind 3,26 Millionen taxiert. Und in all dem ist die Einrichtung von 650 Arbeitsplätzen noch nicht drin. 4500 Euro pro Quadratmeter neue Gewerbefläche haben – auch in Freiburg – Spitzenreiterqualität.

Visualisierungen: © ingenhoven