Alligatoah über das Schulsystem, sein Kinderzimmer und Sticker in der Aula News & Trends | 17.12.2018 | Philip Thomas

Auch der fünfte Teil der „Schlaftabletten, Rotwein“-Reihe ist ein aberwitziger Ritt durch die Höhen und Tiefen der deutschen Sprache und ermuntert zu genauem Hinhören. Im f79-Interview mit Philip Thomas verrät Alligatoah, warum er Sticker in seiner Aula entfernen musste, nicht auf das Schulsystem schimpft und wie seine Eltern von seiner Musik Wind bekommen haben.

f79 // „Schlaftabletten, Rotwein V“ (StRwV) ist diesen Sommer erschienen und randvoll mit Anspielungen, Wortwitzen, Doppelbödigkeiten und sonstigem Schabernack. Gehen deine Botschaften in alledem nicht ein bisschen unter?
Alligatoah // Mit der Unterstellung, ich hätte Botschaften in meinen Songs, muss ich aufräumen. Ich setze mich nicht hin und schreibe eine Botschaft. Wenn ich das machen wollen würde, könnte ich auch einen Blogeintrag oder ein Buch schreiben. Dann müsste ich mir nicht die Mühe machen, das Ganze in Sprachbilder, Metaphern und Musik umzuwandeln. All das mache ich aus großer Leidenschaft zur Musik und dem egoistischen Gedanken, dass ich meine Gedankengänge gerne loswerden würde. Wenn jemand dann meine Songs anhört und darin für sich eine Botschaft erkennt, ist das in den meisten Fällen etwas Schönes. Aber es ist nichts verloren, wenn das nicht passiert.

f79 // Also bist du in dem Sinne gar kein Prediger?
Alligatoah // Ich bin kein Prediger, kein Pädagoge und kein Botschafter. Ich bin Geschichtenerzähler.

f79 // Über diese Geschichten und alles Drumherum hast du die volle Kontrolle: Du schreibst die Texte, spielst die Instrumente, gestaltest Bühnenbilder und bei deinen Videos stehst du auch hinter der Kamera. Was davon strengt dich am meisten an?
Alligatoah // Bei StRwV habe ich gemerkt, dass der Hauptprozess, also das Schreiben der Texte, der anstrengendste Part ist. Ich habe den Anspruch, noch ein bisschen besser zu sein als beim letzten Mal. Deswegen zieht sich eine Songproduktion und das Schreiben eines Textes auch manchmal über Monate. Aber es war immer so, dass es anstrengend ist, etwas Schönes zu erschaffen. Es heißt ja nicht umsonst „Leidenschaft“. Da steckt das Wort „Leiden“ schon drin. Ich leide und verzweifle also sehr gerne beim Texteschreiben.

Insgesamt bringen mir aber gerade diese verschiedenen Aspekte meines Schaffens viel Erleichterung: Wenn ich beispielsweise vom Studio die Schnauze voll habe, drehe ich eben meine Videos. Wenn ich davon genug habe, kann ich auf die Bühne gehen und mich dort austoben. Das ist ein guter Mechanismus, um mir sowohl Langeweile als auch Überforderung vom Hals zu halten und die Eintönigkeit zu besiegen.

Alligatoah – Schlaftabletten, Rotwein V
Rap / Singer-Songwriter
Trailerpark

f79 // Über deinen Werdegang vom Kinderzimmer in die Charts wurde viel gesprochen. Gibt es einen alten und einen neuen Alligatoah?
Alligatoah // Eigentlich gibt es bei jedem Album einen neuen Alligatoah. Ich glaube, der größte Bruch hat für viele stattgefunden, als ich „Triebwerke“ veröffentlicht habe. Das Album ist durch die Decke gegangen und hat mich mit Songs wie „Willst du“ auf ein neues Level katapultiert.

Eigentlich ging diese Entwicklung aber schon zwei Alben vorher auf „Schlaftabletten, Rotwein III“ mit „Namen machen“ und „Trostpreis“ los. Diese Songs haben meine Entwicklung schon vorgezeichnet. StRwV hat heute mit „Triebwerke“ nichts mehr zu tun. Auch mein vorheriges Album „Musik ist keine Lösung“ war wieder ganz anders. Jetzt habe ich mich mehr in die rockige Richtung gewagt und Metaleinflüsse aus meiner Jugend einfließen lassen.

f79 // Musikalisch gehst du also neue Wege. Erlebst du auch abseits des Studios noch neue Dinge?
Alligatoah // Erst mal hat natürlich die Dekadenz Einzug gehalten (lacht). Im Großen und Ganzen ist es aber dasselbe wie früher. Ich habe versucht, mir das Kinderzimmerfeeling von damals neu zu konstruieren. Auch in der Phase, in der ich größer geworden bin und die Möglichkeit hatte, jemanden zu haben, der mir meine Kabel schleppt, bin ich in die andere Richtung gegangen und habe mir lieber mein eigenes Studio gebaut. Beziehungsweise bauen lassen, natürlich.

f79 // Was ist für dich der größte Vorteil dieser Rückbesinnung?
Alligatoah // Der größte Vorteil ist vielleicht, dass man keinem voreiligen Feedback ausgesetzt ist. Wenn ich im Studio aufnehme, sitzen dort hinter einer Glasscheibe vielleicht Tontechniker und Manager und nicken mir zu. Allein diese Anwesenheit erzeugt eine Reaktion und beeinflusst, was ich mache. Um den Prozess nicht zu verfälschen, zeige ich meine Musik niemandem, bis sie fertig ist.

f79 // Du bist in deinem Schaffensprozess also sehr vorsichtig und ichbezogen?
Alligatoah // Auf jeden Fall. Ich bin da egoistisch, aber auch sehr schüchtern. Ich habe zum Beispiel eine Art Ideenscheu: Ich trage meine Ideen nur selten nach außen, bevor sie fertig sind. Die Reaktion auf ein halb fertiges Produkt ist nicht dieselbe wie auf ein fertiges Produkt. Dem möchte ich mich entziehen.

f79 // Wem oder was entziehst du dich noch?
Alligatoah // Anfragen zum Beisitzen in einer Musikwettbewerbs-Jury lehne ich immer ab. Ich glaube fest daran, dass man Musik nicht objektiv auf einer Skala von eins bis zehn bewerten kann.

f79 // Als du 2006 dein erstes Album „Attentat“ auf das Internet losgelassen hast, warst du 16 Jahre alt und hast dich noch hinter einer Maske versteckt. Wussten deine Klassenkameraden und deine Lehrer trotzdem von deinen musikalischen Alter-Egos Kaliba 69 und DJ Deagle?
Alligatoah // Selbst meine besten Freunde haben erst später davon Wind bekommen. Ich habe die Maske angezogen, damit ich mich musikalisch zurückziehen konnte. Meine Musik habe ich damit zwar mit der Internetwelt geteilt, aber nicht mit meiner eigenen. Damals hätte ich mich auch nicht getraut, auf einer Bühne zu stehen, das kam erst viel später. Irgendwann kam’s dann aber natürlich raus, weil Freunde Texte in meinem Zimmer gefunden haben. Das hat sich auf dem Schulhof verbreitet, bis die Aufkleber von meinem zweiten und dritten Album überall in der Aula geklebt haben. Die musste ich entfernen, dabei habe ich die dort damals gar nicht hingeklebt.

f79 // Wie sah es mit Feedback aus dem Lehrerzimmer aus?
Alligatoah // Meine Lehrer haben das Gott sei Dank nicht mitbekommen. Allerdings gab es damals einen Anruf bei meinen Eltern von einem besorgten Mitarbeiter einer Videoplattform, der mein Counterstrike-Video gefunden und sich darüber ausgelassen hat, wie gefährlich ich sei. In dem Clip spiele ich einen gewalttätigen Videospieler, der Amok läuft. So haben meine Eltern davon überhaupt erst erfahren. Wenn meine Schule davon gewusst hätte, wäre ich vielleicht als Gefährder eingestuft worden.

f79 // Was verbindest du heute sonst mit deiner Schulzeit?
Alligatoah // Ich habe vor allem positive Erinnerungen an meine Schulzeit und konnte mich gut einfügen, weil ich genau wusste, was mir egal war und was mir nicht egal war. Und mir war vieles egal. In den meisten Fächern habe ich deswegen mit Freunden auch Schabernack getrieben. In dieser Unlust zum Unterricht habe ich meine eigene Ader entdeckt und mich gefunden. Deswegen halte ich auch dagegen, wenn Leute sagen: Das Schulsystem ist scheiße. Wenn die Schule spannend gewesen wäre, hätte ich nie angefangen, aus Langeweile Texte auf meine Blöcke zu schreiben. Das war meine Art der Rebellion. Wenn das schulisch gefördert worden wäre, wäre das total langweilig gewesen.

Fotos: © Norman Z