„Kollektives Versagen“: Antisemitismus-Beauftragter will Meldestellen für Übergriffe auf Juden News & Trends | 01.06.2018 | Isabel Barquero

Seit Anfang Mai ist Felix Klein Deutschlands erster Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und für den Kampf gegen Antisemitismus. Im Interview mit f79-Autorin Isabel Barquero erzählt der 50-Jährige, was künftig seine Aufgaben als Beauftragter sein werden und wie wichtig die Juden für Deutschland sind.

f79// Herr Klein, Welche Verbindung haben Sie zum Judentum?
Klein// Ich war mit 18 Jahren als Schüler zum ersten Mal im Rahmen eines Orchesterprojekts in Israel. In Haifa bin ich zwei Wochen in einer netten Familie aufgenommen worden. Außerdem hatte ich jüdische Mitschüler in Darmstadt und in Italien, wo ich auf der Schule war. Auch da hatte ich sehr freundschaftliche Kontakte. Im Rahmen meiner diplomatischen Tätigkeit hatte ich immer mal wieder Kontakt zu israelischen Kollegen und habe mich mit jüdischen Fragen befasst. 2014 habe ich mich für die Stelle im Auswärtigen Amt beworben und diese dann auch bekommen.

f79// Seit Mai sind Sie der erste Antisemitismusbeauftragte in Deutschland. Was sind Ihre künftigen Aufgaben?
Klein//
Die bestehenden Maßnahmen besser zu koordinieren und zu bündeln, außerdem fungiere ich als Ansprechpartner für nicht-jüdische und jüdische Organisationen in Deutschland. Insgesamt sehe ich auch die Aufgabe darin, die Öffentlichkeit bewusster zu machen, was Antisemitismus angeht. Dass man ihn besser erkennt und als gesamtgesellschaftliche Herausforderung annimmt. Alle Aufgaben stehen detailliert im Bundestagsbeschluss vom 17. Januar geschrieben.

f79// Warum braucht es überhaupt einen Beauftragten? Wie bedrohlich ist der Antisemitismus in Deutschland?
Klein//
Antisemitismus hat es in Deutschland immer gegeben, also auch nach 1945. Wir haben uns leider nicht davon befreit. Die Politik hat erkannt, dass es trotz aller Maßnahmen die in den letzten Jahrzehnten gemacht wurden, doch eine koordinierende Stelle braucht, bei der die Fäden zusammenlaufen. Die Strategien sollten aufeinander abgestimmt sein, um Akteure besser miteinander zu vernetzen und auch jüdisches Leben für die allgemeine Bevölkerung bewusster zu machen. Deswegen braucht es einen Beauftragten. Ich bin nicht nur der Beauftrage für den Kampf gegen Antisemitismus, sondern auch für jüdisches Leben in Deutschland. Das ist ein Aufgabenteil, der mir auch sehr wichtig ist.

f79// Wie werden Sie gegen Antisemitismus in Deutschland vorgehen?
Klein//
Zunächst einmal durch den Aufbau eines Systems, der bundesweit antisemitische Vorfälle nach einheitlichen Kriterien erfasst, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze sind. Im Moment haben wir überhaupt keinen umfassenden bundesweiten Überblick, wie sich Antisemitismus genau äußert, wo er genau sitzt. Wir müssen das Problem noch besser analysieren, um dann im zweiten Schritt passgenaue Strategien zu überlegen wie wir gegen Antisemitismus vorgehen wollen. Ich werde zu Bund-Länder-Gesprächen einladen. Da werden wir vor allem über Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen sprechen, über die Erstellung von Unterrichtsmaterialien und auch neue Formen unserer Erinnerung, also Veranstaltungen in der Öffentlichkeit oder Initiativen näherbringen, die alle ansprechen.

Felix Klein, Deutschlands erster Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und für den Kampf gegen Antisemitismus.

f79// Vor nahezu jeder jüdischen Einrichtung steht Polizei. Menschen mit Kippa werden angegriffen. Das empfinden viele Betroffene nicht als „jüdisches Leben“. Warum hat die Judenfeindlichkeit in Deutschland wieder zugenommen?
Klein//
Ich würde eher sagen, die Judenfeindlichkeit ist sichtbarer geworden. Es gibt eine Enthemmung, die vor allem durch das Internet begünstigt wurde. Da werden oft ungehemmt Hass und volksverhetzende Inhalte verbreitet. Es hat zu einer Verrohung der Gesellschaft beigetragen. Vor Jahren hat man sich überhaupt nicht getraut, so etwas zu äußern. Aber auch einige Vertreter der AfD haben dazu beigetragen, durch ihre Debatte über unseren Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Sätze wie „Man wird das ja wohl nochmal sagen dürfen“ kommen in der Mitte der Gesellschaft gut an, sind aber auch sehr gefährlich.

f79// Auch in der Musikszene ist derzeit Judenhass ein Thema. Rapper Kollegah und Farid Bang, die für junge Leute eine Vorbildfunktion haben, wurden trotz antisemitischer Songtexte mit dem Echo ausgezeichnet. Was halten Sie davon?
Klein//
Da hat es ein kollektives Versagen in der Musikszene gegeben. Dass die Verhöhnung von Menschen, die im Konzentrationslager gesessen haben, nicht nur durchgeht, sondern auch einen Preis bekommt, ist nicht hinzunehmen. Wir müssen die allgemeine Gesellschaft dahinbringen, dass von vornherein solche Texte und auch Antisemitismus im Rap absolut abgelehnt werden.

f79// Was wollen Sie tun, um Antisemitismus auf Schulhöfen zu vermeiden?
Klein//
Die Schulen in die Lage versetzen, sofort darauf zu reagieren. Hier ist zunächst einmal wichtig, dass der Umgang mit Antisemitismus, aber auch mit anderen Formen von gruppenspezifischer Diskriminierung und Rassismus, Gegenstand der pädagogischen Ausbildung von Lehrern wird. Außerdem sollten die Schulleitungen für eine Atmosphäre sorgen, in der diese Vorfälle nicht vertuscht, sondern offen in der Schulgemeinde angesprochen werden. Eltern und Lehrer sollten offen darüber diskutieren. Das ist sehr wichtig. Man darf nicht aus Angst vor dem Ruf der Schule den Vorfall unter den Tisch kehren. Das ist eine Führungsaufgabe der Schulleitungen.

f79// Was sind Ihre Ziele für die nächsten Wochen und Monate?
Klein//
Der Aufbau des bundesweiten Erfassungssystems. Dann auch die Einrichtung einer Expertenkommission, die mich beraten soll. Wichtig sind auch Bund-Länder-Gespräche. Und dann die Herstellung von Öffentlichkeit durch Interviews, Termine bei jüdischen Gemeinden und bei Gedenkstätten vor Ort. Ich möchte immer wieder darauf hinweisen, dass Antisemitismus keinen Platz in unserer Gesellschaft hat und jüdisches Leben zu unserer deutschen Kultur gehört. Wenn Juden angegriffen werden, ist das auch ein Angriff auf unsere Kultur. Ich möchte zeigen, welch großen Anteil Juden an der Stärke Deutschlands und seiner Kultur hatten und haben.

Steckbrief:

Felix Klein, 1968 geboren in Darmstadt, studierte in Freiburg und London Rechtswissenschaften, bevor er seine Diplomatenkarriere im Auswärtigen Amt in Bonn begann. Später promovierte er in St. Gallen. In seiner Diplomatenlaufbahn war er unter anderem in Kamerun und Italien stationiert.

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