Homeschooling: „Eltern können das nicht vollumfänglich kompensieren“ Schule & Lernen | 15.09.2020 | Arwen Stock

Homeschooling

Das Thema Homeschooling ist für alle Beteiligten – Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen – eine große Herausforderung gewesen, die sie auch nach den Sommerferien wieder ereilen kann. Der promovierte Mathematik-Didaktiker Thomas Royar forscht und lehrt an der Hochschule Nordwestschweiz zur Entwicklung des mathematischen Denkens. Und er gibt Tipps zur bestmöglichen Begleitung des Nachwuchses beim Rechnenlernen.

Findefuchs: Wie groß war für die Kinder die Herausforderung im Homeschooling?
Royar: Die war sicher riesengroß, viel größer als für Eltern oder Lehrer, denn in der Schulzeit ist vor allem der Austausch mit Gleichaltrigen sehr wichtig.

Findefuchs: Warum? 
Royar: Aus der Forschung wissen wir, Kinder lernen sehr stark voneinander. 

Findefuchs: Welche Rolle spielt der Lehrer?
Royar: Eine große. Man kann nicht den Bezug zum Lehrer durch den Austausch von Übungsblättern ersetzen. Das ist nicht annähernd gleichwertig und kann sogar für manche Kinder schädlich sein. 

Findefuchs: Wie lief es in Mathematik?
Royar: Bei der Mathematik meint man, das geht ganz gut über Aufgabenblätter. Aber als Didaktiker sehe ich das kritisch. Alle wichtigen Elemente fallen weg: das Rückfragen im Klassenraum, das Nachfragen, wie Klassenkameraden das Problem gelöst haben, und die direkte Antwort des Lehrers. 

Findefuchs: Was können Eltern tun?
Royar: Grundsätzlich können Eltern die Schule gar nicht vollumfänglich kompensieren. In der Forschung gibt es die einhellige Meinung, dass man folgende vier Punkte zur wirksamen Lernbegleitung braucht: Sachkompetenz, diagnostische sowie didaktische Kompetenz und Klassenmanagement. 

Findefuchs: Was bringen die Eltern davon mit?
Royar: Schon die Sachkompetenz ist schwierig, da man außer Rechnen können auch die Zusammenhänge verstehen muss. Man muss den Lernstand der Kinder erfassen können. Da fehlt Eltern oft die professionelle Distanz. Bei der didaktischen Kompetenz geht es auch um den Einsatz von Hilfsmitteln – das ist der Kern der Grundschullehrerausbildung und von Eltern kaum leistbar. Das Klassenmanagement fällt zwar weg, dafür kommt es aber zur Belastung der Eltern-Kind-Beziehung und zu einem Rollenkonflikt.

Findefuchs: Das heißt, Eltern können es gleich lassen?
Royar: Manchmal fast. Das, was Eltern wirklich machen können, ist, die Zeit für die Kinder zu strukturieren: feste Zeiten zum Aufstehen, Essen, Arbeiten und Schlafen.

Findefuchs: Was können Schulen tun?
Royar: Seitens der Schule wären mindestens feste Zeiten der Rückmeldung sinnvoll. Das Wegbrechen der Schulstrukturen wurde vielen Kindern zum Verhängnis. Ich weiß von einer Schule, bei der mussten sich alle Schüler morgens um 8.30 Uhr zur Videokonferenz in den Klassen einfinden. Eine andere Schule hat mit einem Riesenaufwand jeden Schüler einmal pro Woche in die Schule zum Feedback-Gespräch eingeladen. Solche Konzepte sind sicher sehr hilfreich.

Findefuchs: Welche Unterstützung können Eltern von Lehrern erwarten?
Royar: Sie sollten mindestens erwarten können, dass die Lehrer während der Dienstzeiten erreichbar sind.

Findefuchs: Wie steht es aktuell um den Leistungsstand der Kinder?
Royar: Es soll getestet werden, was sie gelernt haben. Das halte ich für kritisch. Man kann nicht jetzt so tun, als ob das letzte ein normales Vierteljahr war. Dieser Schulstoff fehlt.

Findefuchs: Wie ist Ihre Prognose für das nächste Schuljahr?
Royar: Möglicherweise ist eine zweite Welle zu befürchten. Deshalb sollten die Sommerferien an den Schulen dazu benutzt werden, um Konzepte zu entwickeln: Lernen funktioniert nicht nur durch Informationsvermittlung. Da würde ich mir für einen möglichen zweiten Lockdown oder Quarantänezeiten für einzelne Schulen eine gute Tages- und Rückmeldestruktur wünschen. Außerdem sollte man kritisch über Noten in solchen Zeiten nachdenken.

 Zur Person

Thomas Royar Hochschule NordwestschweizDer heute 53-jährige Thomas Royar ist promovierter Mathematik-Didaktiker. Nach dem Studium arbeitete er zehn Jahre als Grund- und Hauptschullehrer. 2002 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Freiburg. Seit 2010 ist er an der Hochschule Nordwestschweiz Dozent für die Entwicklung des mathematischen Denkens im Kindesalter. Zudem arbeitet er mit Kindern an der Rechenschwäche.

 

 

Fotos: © iStock/Jovanmandic, Hochschule Nordwestschweiz