Krise als Chance: Wie digitales Lernen scheitert – oder den Unterricht bereichern kann Schule & Lernen | 04.03.2021 | Till Neumann

Schülerin Online Schooling

Monatelanger Distanzunterricht hat für viele Diskussionen gesorgt. Es klemmte bei Technik, Verbindungen und Know-how. Doch das Homeschooling hat auch neue Wege aufgezeigt. Manche Schüler konnten so ihre Noten sogar verbessern. Dem f79 Magazin berichten junge Menschen von ihren Erlebnissen im Schullockdown.

Der Freiburger Lehrer und Digitalexperte Patrick Bronner erzählt von Brandbeschleunigung und Co-Learning-Spaces.

Ist Digital das neue Normal? Bloß nicht, sagen die einen. Bitte mehr davon, sagen wiederum andere. Zu einem Mittelweg rät der Freiburger Lehrer Patrick Bronner. Er unterrichtet am Friedrich-Gymnasium und setzt schon seit Jahren auf digitale Elemente im Unterricht. Für den sinnvollen Einsatz von Smartphones im Klassenzimmer hat er 2016 den deutschen Lehrerpreis erhalten.

Erwacht aus Dörnröschenschlaf

Klar ist: Vorreiter wie Patrick Bronner waren lange eine Minderheit. „Corona wirkte in vielen gesellschaftlichen Bereichen als Brandbeschleuniger für die Digitalisierung – vor allem aber in den Schulen“, sagt der 41-Jährige. E-Learning-Plattformen wie Moodle seien zwar seit mehr als zehn Jahren zur Verfügung gestanden, kaum jemand habe sie aber im Unterricht eingesetzt. Erst die Corona-Krise habe Erklärvideos, Feedback-Tools und digitale Mathe-Lernplattformen „aus ihrem Dornröschenschlaf befreit“. Für Bronner ermöglichte das einen Quantensprung: „Das Experiment ,Fernunterricht‘ wird das deutsche Bildungssystem viel stärker prägen als alles, was Bund und Länder im Bereich der Schul-Digitalisierung in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben.“

Sollte man nur noch digital unterrichten? Bronner sagt nein. Der Nutzen von digitalen Medien sei offensichtlich. Trotz der digitalen Euphorie habe sich aber gezeigt, dass die pädagogische Reichweite Grenzen hat. Bronner betont: Das menschliche Miteinander im Klassenzimmer lasse sich nicht ersetzen. Selbst künstliche Intelligenz und ausgeklügelte Algorithmen könnten die soziale Dimension nicht wettmachen. Er fasst zusammen: „Digitale Medien sind gut und zielgerichtet eingesetzt als angemessene Hilfsmittel im Lernprozess zu sehen – mehr nicht, aber auch nicht weniger.“

Ärger über Lehrer-Bashing

Die Krise hat auch gespalten: „Das Lehrer-Bashing während des ersten Lockdowns hat mich sehr geärgert“, sagt Bronner. Entweder sei über hunderte stupider Mathe-Übungen gejammert worden oder über die eine kreative Mathe-Aufgabe, bei der der Klopapierverbrauch einer Familie pro Jahr errechnet werden sollte. Bronner ist jedoch sicher, dass Lehrer*innen die vergangenen Monate als Chance genutzt haben. Das habe sich bezahlt gemacht: „Das Homeschooling im zweiten Lockdown läuft, und viele Eltern sind zufrieden.“

Digitalexperte: Patrick Bronner 

Digitalexperte: Patrick Bronner

Auch die Infrastruktur sei verbessert worden: „Inzwischen stehen jeder Schule Leih-Tablets zur Verfügung, die nach sozialen Kriterien an Familien ohne Endgeräte ausgegeben werden können“, sagt Bronner. Alle Lehrer*innen erhielten eigene Dienst-Tablets oder -Laptops. Die multimediale Revolution sieht er dennoch nicht kommen. „Die Erfahrung zeigt, dass viele Kolleg*innen das neue Lehrer-Tablet zunächst einsetzen, um bekannte und traditionelle Unterrichtstätigkeiten zu digitalisieren.“ Statt Schulbuch E-Book, statt Papier-Arbeitsblatt PDF-Datei, statt Tafelanschrieb Tablet-Notiz, statt Lehrervortrag Erklärvideo sowie statt Übungsheft Lernplattform. Dabei liege das Potenzial von mobilen Endgeräten im Unterricht weniger in der Reproduktion von Wissen, sondern in der Förderung von Zukunfts-Kompetenzen. Also Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken.

Gefragt sind 2ist Century skills“

Digitale Bildung braucht für Bronner einen Wandel der Lernkultur: „Weniger Fokussierung auf Faktenwissen und mehr Förderung der ‚21st century skills‘.“ Um das zu schaffen, benötige es gezielte Lehrerfortbildungen. Zum anderen müsse sich die Schule ändern: „Weg vom traditionellen Unterrichtsraum mit Frontalbestuhlung und hin zu offenen und agilen Lernräumen zum eigenständigen Arbeiten mit digitalen Medien.“ Vorbild dafür seien „Co-Working Spaces“. Bronner ist überzeugt – „Der Weg zur digitalen Schule ist arbeitsintensiv und manchmal steinig – aber er lohnt sich auf jeden Fall!“

Fotos: ©  iStock.com/svetikd, Richard Kiefer – Lichtwerkstatt Kirchzarten