Zugewachsener Trampelpfad: Wie eine Abiturientin die Zeit nach den Prüfungen erlebt Schule & Lernen | 01.09.2018 | Laura Bärtle

Abi geschafft. Jetzt winkt die große Freiheit. Oder doch ein Haufen Sorgen? Druck? Ungewissheit? Die Freiburger Abiturientin Laura Bärtle ist in dieser Lage. Sie beschreibt, wie man sich fühlt zwischen Endlich-Zeit-Haben und Langsam-wird-es-Ernst.

„Nach dem Abi erst mal Reisen.“ Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz schon gesagt oder von anderen gehört habe. Ernst gemeint habe ich das immer. Auch wenn es meist eher eine Beruhigung für besorgte Verwandte oder auch für mich selbst war. Denn man hört doch immer, dass Reisen so wichtig ist. Und dass man mit einem riesigen Rucksack auf dem Rücken an einem meist sehr entlegenen Ort eine Art Selbsterkenntnis haben wird. Die wird einem den roten Faden für das restliche Leben auslegen. So oder so ähnlich.

Jetzt ist das Abi geschafft. Das Zeugnis hat schon die ersten Eselsohren. Jetzt ist also die große Freiheit, von der ich 13 Jahre lang nur eine ungenaue Vorstellung hatte. In der ich aber immer irgendwie überglücklich und zufrieden an einem fernen Strand in den Sonnenuntergang blinzele.

Dass man an diesen fernen Strand erst mal hinkommen muss und dafür mehr als nur angespartes Taschengeld braucht, das wird mir erst jetzt klar. Und auch, dass sich dieser Lebensweg nicht einfach vor mir ausrollt wie ein roter Teppich. An dessen Ende warten Erfolg und Erfüllung. Nein. Dieser rote Teppich ist eher mal Schotterpiste, Holzweg und ein zugewachsener Trampelpfad. Mal mit wunderschönem Ausblick zur einen und einem Steilhang zur anderen Seite.

Druck wird auch von außen ausgeübt. Allerdings sehr nachsichtig. Man hat ja gerade das Abi hinter sich und darf sich mal eine Auszeit gönnen. (Aber …) Dieser sanfte Druck ist nett gemeint und äußert sich in Links zu Websites, auf denen Studiengänge aufgeführt werden oder im Satzanhang „ … könnte das nicht was für dich sein?“. Trotzdem. Ich muss das jetzt auch alleine machen. Das gehört doch irgendwie dazu.

Es ist nicht so, dass ich mich beschweren könnte über meine Situation: Ich kann machen, was ich will. Ich kann bis Sonnenaufgang unterwegs sein. Ich kann endlich mal wieder Freunde besuchen. Ich kann ein ganzes Buch am Tag lesen und so viele Festivalbändchen wie ich will um mein Handgelenk ansammeln. Ich kann ein Praktikum in einer sozialen Einrichtung machen. Ich kann mich einschreiben. Ich kann auf eine Weltreise sparen. Ich kann auf dem ZMF Geld verdienen. Ich kann meine Füße in die Dreisam halten und den Führerschein machen.

Das klingt alles gut. Aber man muss es auch machen. Ich glaube, die Schulzeit hat mir zwar ein sehr breites und oberflächliches Allgemeinwissen vermittelt. Dadurch weiß man aber noch lange nicht, wie man „sich zuversichtlich in die Richtung seiner Träume“ bewegt, wie Thoreau das ausdrückt. Oder dass monatelang am See rumliegen auf Dauer auch langweilig wird. Oder dass es ein komisches Gefühl ist, wenn meine Freunde für die nächsten Monate Pläne haben. Ich weiß gerade mal, welches Buch ich als nächstes anfangen will. Oder welche Serie.

Für die Prüfungen war die Lösung einfach: Karteikarte für Karteikarte füllen. Für das Leben gibt es kein Inhaltsverzeichnis. Ich kann mir auch keinen Lernplan machen. Da ist es verständlich, dass sich der strukturverwöhnte Abiturient erst mal verwundert umschaut.

Ich habe mir gesagt, dass ich die Schule nicht vermissen werde. Aber im Nachhinein kann man allem etwas Positives abgewinnen. So sehe ich jetzt, dass es auch ein ganz kleines bisschen angenehm war, sich nicht selbst strukturieren zu müssen. Zu wissen, dass nach den Ferien ein Montagmorgen kommt.

Es ist wichtig, zu treiben. Es ist wichtig, irgendwann wieder den Anker auszuwerfen. Oder doch ins kalte Wasser zu springen und zu hoffen, dass dort keine Haie sind. Aber es ist vor allem wichtig, loszukommen. Ich will an dieser Stelle nicht mit einem Appell schließen, wie man das vielleicht in der Schule machen würde. Die ist nämlich vorbei.

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