Am Dietenbach eskaliert der Konflikt: Politik gibt sich unbeeindruckt, Bauwirtschaft winkt ab Bauen in Baden | 15.07.2022 | Lars Bargmann

Dietenbach im Bau: Bagger auf Baustelle

Bereits im August 2018 hatte das chilli berichtet, dass das Modell der Entwicklungsmaßnahme Dietenbach GmbH & Co. KG (EMD) nur dann funktionieren wird, wenn das Rathaus entweder dem knallbunten Strauß an politischen Wünschen ein paar Blüten austreibt oder sich finanziell weit über die Balkonbrüstung lehnt. Im April 2020 hatten wir geschrieben, dass Stadt und Bank auf einen Zielkonflikt zusteuern. Genau der ist jetzt eskaliert: Die Freiburger Sparkasse wird die millionenschwere Abwendungsvereinbarung eher nicht unterzeichnen: Nach chilli-Informationen liegen die Vorstellungen von Kommune und Kreditinstitut mehr als 100 Millionen Euro auseinander. Das Ziel des bezahlbaren Wohnens im neuen Stadtteil ist derzeit nur noch mit einem Teleskop zu sehen. Und völlig offen ist aktuell, wer im Dietenbach überhaupt bauen will.

„Die Stadt braucht diesen Stadtteil und hat besondere politische Ziele“, sagte Marcel Thimm, der Vorstandsvorsitzende der Freiburger Sparkasse, an diesem denkwürdigen 22. Juni 2022. Aber man könne das finanzielle Risiko der Abwendungsvereinbarung – in dieser geht es zuvorderst um die Ausgleichsbeträge, die die Bank der Stadt zahlen muss, bevor sie die von der EMD optionierten Grundstücke an den Markt bringen kann – „nicht mehr seriös bepreisen“. So hört sich das Ziehen der Reißleine im Vorstandsjargon an.

Thimm führte die „explodierenden“ Baupreise und Zinsen als Hauptgründe an. Insider wissen längst, dass es auch ohne diese wohl kaum zu einer Unterschrift auf diesem gewichtigen Papier gekommen wäre. Wenn die wirtschaftlichen Bedingungen für die, die Grundstücke kaufen und bebauen sollen, sich nicht maßgeblich ändern.

Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn hatte im chilli-Interview Anfang Juni auf die Frage, ob die Stadt die EMD am Ende kaufen müsse, gesagt, das sei doch „top“. Für die späteren Mieter oder Eigentümer ändere sich gar nichts, wenn die Stadt nun auch für die EMD-Grundstücke zuständig wird. Es sei denn, diese Grundstücke würden nur in Erbpacht angeboten. Es gebe im Dietenbach, teilt das Baudezernat auf chilli-Anfrage mit, „keinen Beschluss, irgendwelche Grundstücke nur im Erbbaurecht zu verkaufen“.

Die EMD hatte ein externes Gutachten in Auftrag gegeben, das den Wert der Grundstücke parzellengenau berechnet hatte. Auf die Frage, ob dieses Gutachten der Stadt vorliege und welche Werte drinstehen, antworten Baubürgermeister Martin Haag und Rüdiger Engel, Chef der Planungsgruppe Dietenbach: „Die Stadt oder die PGD haben kein Gutachten zu den Endwerten der Grundstücke in Auftrag gegeben.“ Eine Volte. Mehr nicht. Beide kennen das Gutachten.

Dietenbach Gelände ohne Bebauung

Im Haushaltsplan für Dietenbach stand mal ein Endwert von 980 Euro. Bei einer nur zweiprozentigen Bodenpreissteigerung jährlich lag der Ausgleichsbeitrag bei 438 Millionen Euro. Wenn die EMD mindestens 50 Prozent der bebaubaren Flächen – so steht es in der 2018 geschlossenen Rahmenvereinbarung – bekommt. Aktuell sind es allenfalls 40 Prozent. Und für die fordert das Rathaus dennoch rund 100 Millionen Euro mehr. Die eine Lesart ist, dass Thimm die Reißleine gezogen hat. Die andere, dass das Rathaus ihn dazu gleichsam gezwungen hat.

Der Rückzug der Bank bedeutet ein höheres Risiko für den Haushalt des Konzerns Stadt Freiburg. Eines, das heute niemand seriös taxieren kann. Das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde wird „die finanziellen Auswirkungen des Dietenbach-Projekts auf die nächsten Doppelhaushalte im jeweiligen Kontext, auch der gesamtwirtschaftlichen Situation, beurteilen“, teilt RP-Sprecherin Heike Spannagel auf Anfrage mit. Eine Bewertung vorab wäre „nicht belastbar“. Es stünden aber Gespräche mit der Stadt an, „insbesondere über konkrete Finanzierungspläne“. Kredite dürften immer „nur im Rahmen der jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit“ aufgenommen werden. Es wird durchaus spannend sein, wer welchen Taschenrechner mit in diese Sitzungen bringen wird. 11,5 Millionen Euro, rechnete Geschäftsführer Ingmar Roth vor, stehen bei der EMD demnächst auf der Kostenseite, rund 60 Millionen Euro ist der Wert der Optionen. Mindestens diese Summe muss Finanzbürgermeister Stefan Breiter im oder neben dem Haushalt neu abbilden.

Wo wunsch auf Realität Trifft

Nicht weniger spannend ist die bisher allenfalls extensiv debattierte Frage, wer im Dietenbach überhaupt bauen will. „Wir waren und sind uns nicht sicher, ob die Bauwirtschaft für die Grundstücke unter diesen Bedingungen überhaupt Angebote abgibt“, erzählt Marcel Thimm im chilli-Gespräch. Eine chilli-Umfrage unter mehreren Bauträgern und Baugenossenschaften zeichnet ein sehr reserviertes Bild. „Wir sehen den Ausstieg der Sparkasse sehr kritisch, weil sie ein regulierendes Element zwischen den politischen Wunschvorstellungen und den Realitäten am Markt ist“, sagt Klaus Ruppenthal, Vorstand der Wohnbau Baden AG, die hauptsächlich für Familien baut.

„Wir werden uns zu den aktuellen Preisen und Bedingungen im Dietenbach nicht engagieren“, so Peter Unmüßig, Chef der Unmüssig-Gruppe. Er habe von 2200 Euro Grundstückskosten pro Quadratmeter Wohnraum gehört. Für den sozialen Wohnungsbau dürften es „maximal“ 700 Euro sein. Und weil 50 Prozent sozial gebaut werden sollen, stiege der Anteil im frei finanzierten Wohnungsbau auf 3700 Euro: „Das ist doch völlig absurd.“ Das politische Ziel des bezahlbaren Wohnens werde konterkariert. Der 71-Jährige glaubt, dass das Projekt wirtschaftlich „an die Wand fährt und die Verluste dann sozialisiert werden“.

Dietenbach: Baustelle mit Kran.

Die ersten Anzeichen: Auf dem vor allem noch landwirtschaftlich genutzten Areal stehen nun die ersten Kräne. Der namensgebende Dietenbach wurde für eine Überfahrt in Eisenrohre gepackt.

„Wir werden im ersten Bauabschnitt auf keinen Fall mitmachen“, sagt Jörg Gisinger, Chef der Gisinger-Gruppe. „Wir würden gerne bauen, aber ob die wirtschaftlichen Realitäten mit dem politischen Blumenstrauß in Einklang zu bringen sind? Das wird extrem anspruchsvoll“, glaubt Jörg Straub, Vorstand des Bauvereins Breisgau. „Unter den heute gegebenen Umständen werden wir nicht bauen, wir behalten das aber im Auge“, sagt Marc Stuckert, kaufmännischer Vorstand der Stuckert Wohnbau AG.

Diejenigen, die den bunten Strauß (50 Prozent geförderter und zusätzlich noch preisgedämpfter Mietwohnungsbau, klimaneutrale und tiefgaragenlose Gebäude, kleinteilige Parzellenstruktur, 22 Kitas, ein Schulcampus, eine Tram, die „Integration von privaten Freiflächen in ein übergeordnetes Freiraumkonzept“, Anker-Bauträger, die 14 Grundstücke organisieren, aber nur zwei selber mit maximal 40 Wohnungen bebauen sollen etc.) geflochten haben, zeigen sich nach dem Rückzug der Bank erstaunlich unbeirrt. Grünen-Chefin Maria Viethen forderte hernach „keine Abstriche bei Dietenbach“. Die EMD-Übernahme ermögliche vielmehr, dass die Stadt die städtebaulichen, ökologischen, sozialen und wohnungspolitischen Ziele noch passgenauer umsetzen könne.

Das geplante städtische Budget von maximal 100 Millionen Euro wolle man aber einhalten. Eine auch für die Marathon-Stadträtin sehr, sehr sportliche Herausforderung.

Die JUPI-Fraktion würde am liebsten „alles in Erbbau“ vergeben und glaubt, dass auf diesen Grundstücken dann Bauträger „z.B. für Obdachlose, Menschen mit Behinderungen, alleinerziehende Frauen, Geflüchtete, kleine und große Familien, Azubis und Studierende“ bauen. Was einer Realitätsprüfung eher nicht standhalten wird. Die Fraktion ESfA will ebenfalls „keine Abstriche“ am Konzept. Bei der SPD-Kulturliste hat der Rückzug der Sparkasse „keine Schockwellen ausgelöst“, schreibt die Vorsitzende Julia Söhne im Amtsblatt. Wichtig sei, dass „mögliche finanzielle Risiken“ aufgearbeitet und dargestellt werden. Das ist tatsächlich wünschenswert.

„Der Gemeinderat hat immer neue und höhere Anforderungen beschlossen, was natürlich das Bauen im Dietenbach immer teurer werden ließ“, teilen indes die Freien Wähler mit. Es bestehe die große Gefahr, dass mit dem Vermarktungskonzept, das die Stadt vorgibt, „erhebliche Verluste“ eingefahren werden. Auch für die Fraktionsgemeinschaft FDP/BfF ist die Übernahme der falsche Weg. „Wir sehen die Gefahr, dass die gesamte Vermarktungsstrategie infrage gestellt wird. Das könnte das Projekt Dietenbach ins Wanken bringen“, so Fraktionschef Sascha Fiek. Freiburg-Lebenswert-Stadtrat Wolf-Dieter Winkler fordert weiter den Ausstieg aus Dietenbach, AfD-Stadtrat Detlef Huber eine Überprüfung des Projekts und das Vorlegen einer Exit-Strategie: „Sonst kommt der Pleitegeier immer näher.“

Bislang taxierte das Rathaus die Kosten für Dietenbach auf 850 Millionen Euro. 750 sollten durch Grundstücksverkäufe und Zuschüsse wieder reinkommen, 100 Millionen (über 20 Jahre) muss das Rathaus zuschießen. Aufgrund der explodierenden Baukosten werden die Kosten die Milliarden-Hürde vermutlich locker überspringen. Dem widerspricht Engel auf Anfrage „noch“ nicht. Im September werde man klarer sehen, dann werde er eine neue Sonderrechnung präsentieren.

»Flexibler reagieren«

Für den Projektleiter sind die Chancen der EMD-Übernahme größer als das Risiko, weil mit der Inflation und höheren Zinsen eben auch die Grundstückspreise steigen, das Rathaus mehr planerische Flexibilität und Vermarktungsmöglichkeiten habe. Zudem könne die Stadt zu günstigeren Konditionen vorfinanzieren als es die Sparkasse bankenrechtlich dürfe. Und: „Wenn sich alle Grundstücke in städtischer Hand befinden, kann viel schneller und flexibler auf sich wandelnde Anforderungen reagiert werden.“

Das EMD-Modell ersonnen hatten Baubürgermeister Martin Haag und Rechtsanwalt Thomas Burmeister, der die meisten der 413 privaten Eigentümer vertritt. Das Rathaus hätte den Grundstückseigentümern, weil es die Gesetzeslage bei einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme so vorschreibt, nur 15 Euro pro Quadratmeter bezahlen dürfen. Das hätte auf der politischen Bühne zu massiven Protesten und wohl auch Massen-Enteignungsverfahren geführt. Die EMD zahlte 64, was für einen Quadratmeter Acker durchaus ordentlich ist. Hier aber lauert die nächste Krux: Es gibt Eigentümer, die für 15 Euro an die Stadt verkauft haben, bevor die EMD aufs Tapet kam. Wenn nun der Nachbar von der EMD 64 Euro bekommt, die Stadt aber bald auch Eigentümer der EMD ist, könnte das die Klagelust des anderen Nachbarn durchaus reizen. Abgesehen davon wird das Rathaus auch dann eine Abwendungsvereinbarung mit der EMD unterzeichnen müssen, wenn sie sie kauft. Und welche Bodenwerte stehen dann drin?

Bezahlbares Wohnen wird im Dietenbach, wenn überhaupt, nur gelingen, wenn nicht an jeder Straßenecke teure Architektenwettbewerbe vorgeschrieben werden, wenn ganz normale Wohnhäuser gebaut werden können: Und zwar zigfach die gleichen. Dann gibt es einen Haustyp A, der eine geprüfte Statik hat, ein geprüftes Brandschutzkonzept, eine fertige Architektur, einen Rohbauplan, einen Haustechnikplan, einen Elektroplan, einen Ausbauplan. Und sodann einen Haustyp B, C oder D mit eben diesen Eigenschaften. Gebäude mithin, die nicht immer wieder kostspielig neu „erfunden“ werden müssen. Serielles Bauen wird beim Dietenbach aber wohl erst in zwei Jahren ein Thema werden. Spätestens aber nach einem bösen Erwachen bei der Vermarktung des ersten Bauabschnitts.

In der Präambel des Rahmenvertrags zwischen Stadt und EMD heißt es unter Verweis aufs Baugesetzbuch übrigens: „Vor allem muss auch das bodenpolitische Ziel der Entwicklungsmaßnahme, weite Bevölkerungskreise mit preisgünstigen Grundstücken zu versorgen, erreicht werden können.“

Fotos: © Lars Bargmann, Till Neumann