Diametrales zum Dietenbach: Expertenstreit um Energiekonzept STADTGEPLAUDER | 23.06.2022 | Lars Bargmann

dietenbach

Klimafreundlich und sozialverträglich bauen. Ist das in diesen Zeiten überhaupt machbar? Zu diesem Thema kamen unlängst mehr als 100 Interessierte ins Solar Info Center (SIC). Weil es vor allem um den neuen Freiburger Stadtteil Dietenbach ging. Und weil die Referenten diametrale Ansichten dazu haben. Durchaus auch radikale.

Wenn Dietenbach ein sozialverträglicher Stadtteil werden soll, dann, so Martin Ufheil, dürfe es gar kein privates Eigentum geben, auch nicht von Baugruppen: „Die sind auch Spekulanten und verkaufen gerade im Vauban ihre Wohnungen.“ Der Geschäftsführer der „solares bauen GmbH“ ist ein Kopf der Kritiker des Energiekonzepts. Hat aber auch Markteinblick. Nach seiner Kalkulation müsse ein Investor derzeit 5600 Euro für einen neuen Quadratmeter in einem Effizienzhaus 40 erlösen oder brauche 19 Euro Miete. Eine – renditedezentere – Genossenschaft 4500 Euro oder 15 Euro Miete. Kein tiefes Einatmen im Rund. 15 Euro ohne die Erbbauzinsen wohlgemerkt, wenn dieser Quadratmeter auf städtischem Grundstück liegt.

Oberbürgermeister Martin Horn sagte, dass die Stadt ihre Grundstücke (auf denen im Dietenbach mehr als 400.000 Quadratmeter gebaut werden) nur in Erbbau vergeben will, „auch wenn das noch nicht endgültig beschlossen ist“. Wenn Ufheil recht hat, ist sozialverträgliches Bauen heutzutage (seine Zahlen sind älter als die jüngsten Baupreisexplosionen) überhaupt nur noch gefördert möglich. Im Dietenbach sollen 50 Prozent – knapp 3500 – solcher Mietwohnungen entstehen.

Horn erzählte, dass es, als er 2018 nach Freiburg kam, in München 256 Angebote für Zweizimmerwohnungen gab, in Stuttgart 98, in Freiburg 3. „Der Wohnungsmarkt in Freiburg ist auch heute noch quasi nicht existent. Und das ist sozialer Sprengstoff.“

Sprengstoff birgt auch das vom Stuttgarter Ingenieurbüro EGS-Plan kreierte Energiekonzept. Es hört auf den schönen Namen KliEn (klimaneutral und energiewendedienlich), mit ihm, so Projektleiter Tobias Nusser, sei ein klimaneutraler Dietenbach möglich. KliEn besteht im Kern aus einer zentralen, 2500 Quadratmeter großen Heizzentrale, die die Wärme aus dem unter der Munzinger Straße liegenden Abwasserkanal sowie Grundwasser aus 28 Förderbrunnen nutzen will.

Visualisierung vom Energiefluss in Dietenbach

Energisch attackiert: So soll KliEn funktionieren.

80 Prozent des Wärmehungers sollen so gestillt werden, 20 Prozent über ein Wasserstoff-Kraftwerk. Die Nutzung der Elektrolyse sei in der Wärmeausschreibung gesetzt. Davon geht Nusser aus. Sie ist es nicht. „Heute würden wir mit einer Ausschreibung für einen Elektrolyseur auf die Schnauze fliegen, weil man das noch nicht wirtschaftlich effizient betreiben kann“, sagte Horn, „aber wir kriegen Dietenbach auch ohne grünen Wasserstoff hin.“

Der grüne Strom soll aus 180.000 Quadratmetern Solarmodulen kommen. 75 Prozent aller Dachflächen sollen dafür in den Bebauungsplänen festgesetzt werden. Zudem sollen bis zu 30.000 Quadratmeter Fassade Module tragen Die Gegnergruppe um Ufheil plädiert für eine dezentrale Wärmeversorgung. Das EGS-Konzept benötige sehr viel Strom, der Wasserstoff bringe klimatisch keinen Vorteil (es brauche fünf kWh Strom für eine kWh Wärme), das Konzept sei in vielen Punkten falsch: „Wir fordern eine Totalrevision.“ Nusser konterte: „Dieses Konzept bewährt sich heute schon, etwa in Esslingen, und viele Städte schauen derzeit nach Freiburg und wollen davon lernen.“ Freiburg will bis 2038 klimaneutral sein. Am Erreichen dieses Ziels trage die Stadt etwa 30 Prozent der Verantwortung, so Horn. Wenn aber der Bund (50 Prozent) und das Land (20) ihre Ziele einhalten, „dann schaffen wir das“.

Ein unbestreitbarer Schwachpunkt des Konzepts ist, dass es heute etwas vorschreibt, was den technischen Fortschritt bis 2045 nahezu komplett ausblendet. Eine These von Ufheil hatte keine Widersacher: E-Mobilität, Wärmepumpen und Wasserstoff-Elektrolyse werden den Strombedarf in Deutschland um das Zwei- bis Dreifache erhöhen.

Visualisierung: © K9 Architekten, Latz+Partner und StetePlanung; chilli Freiburg, basierend auf EGS-plan