»Einfach beschissen hier« – Freiburgs Mieten-Wahnsinn: Verzweiflung, Vorschläge und eine App Featured | 13.04.2025 | Till Neumann, David Pister & Philip Thomas

Miete Geld

Exorbitant hohe Mieten, kaum bezahlbare Wohnungen. Der Freiburger Wohnungsmarkt ist seit Jahren angespannt. Welche Effekte hat das? Was für Lösungsvorschläge gibt es? Was kann eine Mietwucher-App bringen? Das chilli hat mit Mietern, Vermietern, Aktivisten und Verwaltenden gesprochen. Neben Frust und Überlastung gibt es dennoch Gründe zu hoffen.

Jürgen Meier (Name geändert) sitzt in der Klemme. Der Ingenieur lebt in einer Dreier-WG in der Wiehre, die Miete soll kräftig steigen. „Bei uns zieht jetzt der Hauptmieter aus, der Vermieter möchte die Miete erhöhen”, erzählt der 37-Jährige. Sie soll von 1580 auf 1800 Euro steigen. Um 220 Euro, rund 14 Prozent. „Einfach mal so, ohne große Begründung”, schimpft Meier. Der Vermieter aus München habe lediglich mitgeteilt, dass die Preise ja links und rechts auch steigen würden.

Meier findet das unfair. Er hat sich im Netz schlaugemacht und ist auf die „Mietwucher-App” von Die Linke gestoßen. Die Idee: Mietende können ihre Miete per Online-Formular auf Wucher überprüfen lassen. Ist sie zu hoch, können sie das einer Behörde melden. „Das Wohnungsamt muss dann ein Bußgeld gegen deinen Vermieter verhängen und die Miete kann abgesenkt werden”, schreibt die Linke. Ihr Aufruf: „Wehr dich!”

Meier und seine Mitbewohner bekamen dort das Ergebnis: „Es liegt ein großer Verdacht vor, dass das ein Fall von Mietwucher ist.” Das Resultat schickten sie an die Stadtverwaltung. Um sich abzusichern, prüften sie ihre Miete auf der städtischen Seite anhand des Mietspiegels. Auch dort war die Sache klar: Schon vor der Erhöhung lag ihre Altbauwohnung mehr als 30 Prozent über dem Mietspiegel. Mit der Mieterhöhung seien es mehr als 50 Prozent.

Meier entschloss sich zur diplomatischen Offensive: „Wir haben unseren Vermieter damit konfrontiert, aber unsere Worte weise gewählt.” Weil man einfach Angst habe, auf der Straße zu sitzen. Dennoch: „Wir haben ihm zu verstehen gegeben, dass der Mietspiegel bei grob 10 Euro pro Quadratmeter liegt, und er will jetzt 15 Euro von uns.”

Die Reaktion war enttäuschend: „Es kamen Antworten wie: Nee, das stimmt nicht, man muss das anders berechnen.” Er fragt sich: „Wofür gibt es den Mietspiegel?” Auch das Amt konnte kaum helfen. Er möge sich an den Badischen Mieterring wenden. „Ich würde mir mehr Unterstützung erhoffen”, sagt Meier.

Er ist nicht der Einzige, der das Mietwucher-Tool nutzt. „73 Meldungen überhöhter Mieten sind dem zuständigen Amt in Freiburg über unsere App gemeldet worden”, informiert Caren Lay. Sie ist mietenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag und sieht darin „nur die Spitze des Eisbergs”. Insgesamt hätten 4186 Personen in Freiburg den Mietwucherrechner genutzt. „Der durchschnittliche Mietpreis aller Nutzenden ist mit 30 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete überhöht”, betont Lay. Doch es zeigt sich auch: „Viele melden Mietwucher nicht, aus Angst und weil die Behörden nicht konsequent durchgreifen.“

Lay möchte Druck machen: „Bisher hat Freiburg mit Bußgeldern gedroht. Es ist Zeit, einen Schritt weiter zu gehen.” Ziel sei, dass Freiburg überhöhte Mieten mit Bußgeld belegt und absenkt, wie es in Frankfurt am Main bereits Praxis sei. Lay hat berechnet: Fast 20.000 Euro im Monat könnten allein die 73 Haushalte in Freiburg einsparen, die ihre überhöhten Mieten gemeldet haben, wenn die Behörden die Mietsenkung veranlassen. Das wären 270 Euro pro Haushalt.

Laut Rathaus-Sprecherin Stefanie Werntgen ist Freiburg schon jetzt Vorreiterin bei der Mietenkontrolle. Seit 2022 überprüfe die Verwaltung mit der Firma Mietenmonitor UG auf mögliche Mietüberhöhung oder Mietwucher. Um ersten Verdacht zu ermitteln, sei die Mietwucher-App ein geeignetes Mittel: „Die Stadt steht seit Beginn der Kampagne im Austausch mit dem Betreiber.“ Sie nehme Hinweise der App ernst und trete mit den Nutzern in Kontakt.

Der Wind soll rauer werden: „Aufgrund der hohen rechtlichen Hürden für die Verfolgung der Straftat Mietwucher, wird die Stadt zukünftig verstärkt eine Stufe unter den Straftaten aktiv werden“, so Werntgen. In Fällen, in denen eine Mietpreisüberhöhung festgestellt wird und Mieter ein Einschreiten der Stadt unterstützen, werde ein ordnungsrechtliches Einschreiten geprüft. Die Verwaltung bereite sich darauf vor, auch Bußgeldbescheide einzusetzen. Noch diesen Monat soll eine Drucksache in den Gemeinderat kommen.

Auch Leerstand will das Rathaus bekämpfen. „Es gibt zumindest Wohnraum im zweistelligen Bereich, der seit Monaten leer steht. Auch hier könnte eine aktive Verwaltung mehr machen“, sagt Volker Huk, Vorsitzender des Badischen Mieterrings. Rund 300 offene Hinweise listet das Leerstandskataster der Stadt aktuell. Laut Werntgen werden die Leerstände in der Regel auch freiwillig beendet. Verfügungen seien seitens der Verwaltung nur selten notwendig.
Die Relation Einkommen zu Miete stimmt laut Hug in der Breisgaumetropole nicht mehr: In Freiburg ist sie so hoch wie in keiner anderen deutschen Großstadt, so das Portal Immoscout24. In Freiburg gehen rund 29,3 Prozent des monatlichen Nettohaushaltseinkommens für die kalten Wohnkosten drauf. Dahinter liegen München (27,1 Prozent), Regensburg (23,2) und Heidelberg (23,1).

Hug beklagt, dass „bezahlbarer“ Wohnraum in Freiburg oft abgerissen werde und an dessen Stelle teurer Wohnraum entstehe. Er zeigt auf Haslach, den Stühlinger und Mooswald. „Argumentiert wird, dass die Wohnungen nicht mehr zeitgemäß sind. Natürlich werden nicht die Mieter·innen gefragt, sondern der Vermieter spielt: Ich weiß, was für dich gut ist, das machen wir so“, sagt Hug.

Laut einer Untersuchung des Forschungs- und Beratungsinstituts ­Empirica hat Freiburg einen durchschnittlichen Mietpreis von 17,04 Euro je Quadratmeter. Noch höher sind Mieten nur in Berlin (18,18 Euro je Quadratmeter), Frankfurt am Main (19,17) und München (22,08). Untersucht wurden Wohnungen, die in den vergangenen zehn Jahren errichtet wurden und eine Größe von 60 bis 80 Quadratmetern haben. Der offizielle Mietspiegel von Freiburg lag 2023/24 bei 10,01 Euro pro Quadratmeter. 2025/26 sind es 10,81 Euro.

Wie sehen Vermieter die Lage im Breisgau? Stephan Konrad ist Geschäftsführer des Freiburger Eigentümerverbands Haus & Grund. Er vertritt hauptsächlich private Vermieter, die im kleinen Stil vermieten. Ein Hauptproblem sieht er in den hohen energetischen Anforderungen der Neubauten. Sie führten zu hohen Baukosten, die sich wiederum in den Mieten niederschlagen. „Muss es immer der allerletzte High-End-Standard sein?”, fragt Konrad. Und: „Kann es nicht auch die abgeschwächte Version sein und man kann für 12,50 statt 18 Euro mieten?“

Verlangen, was sie wollen, könnten Vermieter nicht. Das soll der Mietspiegel regeln. Glücklich ist Konrad damit nicht immer. Er kritisiert, dass Mieten oft als zu hoch eingestuft würden, obwohl sie im rechtlichen Rahmen lägen. Das liege an den vielen Faktoren, die in die Preisbildung einfließen und nicht berücksichtigt würden. Außerdem werde der Blick auf den Wohnungsmarkt durch Angebotsmieten verzerrt – tatsächliche Neuvertrags- und Bestandsmieten seien wesentlich preiswerter.

Konrad sagt: „Ich finde spannend, dass die Gehälter im Laufe der Zeit mehr steigen als die Mieten.“ Die Nettokaltmieten würden moderat ansteigen – was der Mieter spürt, seien die deutlichen Kostensteigerungen bei Strom, Gas oder Instandhaltungen und Reparaturen.

Und hohe Baukosten: In Deutschland haben sich die Preise für den Neubau von Wohnungen laut Statistischem Bundesamt allein im November um 3,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erhöht. Gleichzeitig wurde 2024 nur der Bau von 215.900 Wohnungen genehmigt – 16,8 Prozent oder 43.700 Wohnungen weniger als im Vorjahr. Es ist das dritte Jahr in Folge, dass Baugenehmigungen in Deutschland sinken.

Konrad verteidigt die Vermieter: „Viele verhalten sich verantwortungsvoll und versuchen, ein gutes Verhältnis zu ihren Mietern aufzubauen.” Der Verbandsgeschäftsführer kritisiert, dass diese Vermieter in der öffentlichen Diskussion mit den Vermietern über einen Kamm geschoren werden, die die Grenzen des Erlaubten ausreizen.

Damit sich die Lage nicht weiter zuspitzt, hat das Freiburger Rathaus im Jahr 2019 das Referat für Bezahlbares Wohnen eingerichtet. Im Zuge des Konzepts Bezahlbar Wohnen 2030 hat es unter anderem die Grundstückfinanzierung im 500 Wohneinheiten großen Quartier Klein­eschholz gelockert: Statt alle Grundstücke im Erbrecht zu vergeben, wurden diese auch zum Verkauf freigegeben. An der im Jahr 2015 beschlossenen und nach wie vor umstrittenen Quote von 50 Prozent gefördertem Wohnraum hielt Oberbürgermeister Martin Horn indes fest.

Kleineschholz und Dietenbach bringen zusammen knapp 7500 Wohneinheiten und damit im Verhältnis 5,5 Prozent mehr Wohnungen im Stadtgebiet. „Mit dieser Erhöhung, einhergehend mit mindestens 50 Prozent geförderten Mietwohnungen, erfolgt eine elementare Entlastung des Freiburger Miet- und Wohnungsmarkts“, prognostiziert Rathaus-Sprecherin Werntgen. In Euro beziffern lasse sich diese nicht.

Ein Akteur im Kampf um bezahlbares Wohnen ist auch das Mietenbündnis Freiburg. Sprecher Werner Siebler ist Briefträger und seit 30 Jahren am Thema dran: „Jetzt sagen wir mal vorsichtig: Da geht ja gar nix mehr”, betont der 69-Jährige. Er vertritt zudem den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Freiburg. „Wir brauchen rund 20.000 zusätzliche bezahlbare Wohnungen”, sagt Siebler und verweist auf eine Studie der Hans-Böckler-­Stiftung aus dem Jahr 2018. Zwei Vorschläge macht er: Zum einen, Betriebe mit in den Wohnungsbau zu bringen. So könnten sie Wohnraum für Angestellte schaffen. Zum anderen fordert er, Anreize zu schaffen, um Menschen, die in zu großen Wohnungen leben, in kleinere zu bringen. „Wir haben die relativ einfache Forderung, dass sie dabei ihre alte Quadratmeter-Miete mitnehmen”, sagt Siebler. Denn sonst sei der Anreiz zu gering. Gerade bei älteren Menschen.

Ob Siebler Hoffnung auf Besserung hat? „Wenig, wenn man es dem freien Markt überlässt.” Er ergänzt: „Wir brauchen öffentliche Akteure.” Siebler selbst lebt im Viertel Vauban bei der Wohngenossenschaft Genova – und zahlt eine Miete von sechs Euro pro Quadratmeter. Seine Überzeugung: „Wenn es gemeinwohlorientiert ist, geht einiges.”

Leidtragende der hohen Mieten sind auch Studierende: Rund 600 Euro kostet ein WG-Zimmer im Schnitt in Freiburg. Das zeigt eine Studie des Moses-Mendelssohn-Instituts. Sie hat gemeinsam mit wg-gesucht.de einen Bundesdurchschnittspreis von 493 Euro errechnet. Freiburg zählt zu den fünf teuersten Hochschulstädten der Republik. Spitzenreiter ist München mit 800 Euro WG-Zimmer-Miete.

Eine Lösung ist ein Wohnheim-Zimmer. Ganze 5500 bietet das Studierendenwerk in Freiburg, berichtet Geschäftsführer Clemens Metz. Mit der Studierendensiedlung am Seepark habe Freiburg sogar die größte in ganz Deutschland. „Dort leben etwas mehr als 2000 Studierende”, berichtet Metz.

Die Wohnheim-Mieten seien in Freiburg „human”. Sie bewegen sich zwischen 260 und 520 Euro bei der Warmmiete. Die Nachfrage ist entsprechend groß: „Wir könnten im Wintersemester zirka 2000 Zimmer mehr vermieten, im Sommersemester zirka 1000 mehr”, erzählt Metz. Seit 2007 seien 3245 Zimmer gebaut worden. Die Zahl habe sich damit mehr als verdoppelt. Es soll weitergebaut werden. Unter anderem bekomme der neue Stadtteil Dietenbach ein Wohnheim mit rund 650 Plätzen.

Für Jürgen Meier ist das keine Option. Er ist berufstätig und möchte trotz saftiger Mieterhöhung in seiner Dreier-WG bleiben. Er hat Hoffnung, dass es nicht bei der Steigerung von 220 Euro bleibt. „So, wie es aussieht, könnten wir uns irgendwo in der Mitte treffen.” Seine Mühen haben sich daher wenigstens etwas gelohnt. Sein Fazit zum Wohnungsmarkt in Freiburg ist dennoch düster: „Der Mietmarkt ist einfach beschissen hier.”

Häuser

Fotos: © iStock.com/Alex Cristi