Gottliebs gute Gaben: Geschichte eines Unternehmens Land & Leute | 04.02.2023 | Erika Weisser

Gottlieb Markt

„Ich geh zum Gottlieb“ – das war in Freiburg und Umgebung bis 1992 das Synonym für einkaufen gehen. 90 Jahre lang gab es hier das Unternehmen, das 1871 in Saarbrücken gegründet wurde, dann Filialen in Lothringen und dem Elsass aufbaute und 1902 von dort aus nach Südbaden expandierte. Ein neues Buch gibt Einblick in die wechselvolle Geschichte.

„Zum ersten Mal begriff ich, was eigentlich Krieg ist: der größte moralische Tiefstand des fordernden und verweigernden Volkes. Wegen einem Fetzen Land oder wegen der Ehre, die ja nur irgendwo auf dem Papier steht, denn sonst dürfte es ja nicht ein solch entwürdigendes Morden geben, werden Millionen  Menschen ins Unglück gestürzt.“

Ellen Gottlieb ist 15 Jahre alt, als sie diese Zeilen in ihr Tagebuch schreibt. Zwei Monate nach der militärischen Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht im Juni 1940 ist sie mit ihrem Vater und einem Onkel nach Metz gereist – und findet „überall stark demolierte Häuser“ vor. Und trifft auf Rückwanderer, die „stumm vor den Trümmern standen“. Sie ist tief beeindruckt von dieser Reise zur Erkundung ihrer frühen Familiengeschichte: Ihr Vater Arthur wurde 1889 hier geboren, von hier aus hatte Großvater Ludwig Gottlieb in ganz Elsass-Lothringen ein wahres Imperium an Lebensmittelläden aufgebaut, das ab 1902 auch nach Südbaden expandierte.

Die beiden Männer, schreibt sie, unternehmen die Reise, um „ihr Geschäft, das ihnen die Franzosen nach dem Weltkrieg abgenommen hatten, zu besichtigen und die nötigen Schritte einzuleiten“.

Großzügiger Verzicht

Doch dazu kam es nicht: Anders als andere Unternehmer, die die „Gunst der Stunde“ der neuen Besatzungssituation nutzten, verlangte Arthur Gottlieb die Läden nicht zurück, die dem Familienunternehmen 1918, nach dem von Deutschland verlorenen Krieg verloren gegangen waren – immerhin 90 Prozent der einstigen 230  Verkaufsstellen des Lebensmittelfilialisten.

Sechs Jahre später sollte das zu seiner politischen Entlastung beitragen: Der damalige Direktor der Dresdner Bank bescheinigte Gottlieb, dass er aus Abneigung gegen die Nazis auf die Rückführung der Filialen im Elsass in die Firma verzichtet habe. Er galt somit als nicht belastet und konnte seine Geschäfte wieder aufnehmen, wenn auch in einer äußerst schwierigen Versorgungslage, mit den Läden, die die Bombardierung Freiburgs überstanden hatten.

Wie schon mit den 1918 verbliebenen Filialen, die er in den 1920er-Jahren trotz Inflation kontinuierlich ausgebaut und erweitert hatte, hatte er auch in der zweiten Nachweltkriegszeit Erfolg – gemeinsam mit seiner Tochter Ellen, die nach ihrem Philosophie-Studium mit Promotion in den 1950er-Jahren tatkräftig mit in die Geschäftsführung einstieg. Mit meist richtigem Gespür, ordentlichen Arbeitsbedingungen für die Angestellten, innovativen Ideen und dem nötigen Kapital für deren Umsetzung gelang es, Gottlieb in Südbaden und auch darüber hinaus zum Inbegriff für gute Lebensmittel zu machen und das Unternehmen eng mit dem Lebensalltag der Menschen zu verknüpfen. Auch nach Arthurs Tod 1970 wuchs das Unternehmen unter Ellens Ägide auf 170 Filialen in den 1980er-Jahren. Bis die Discounter kamen.

Dirk Schindelbeck hat die ungewöhnliche, spannende Familiengeschichte erforscht:

Wir gehen zum Gottlieb

Wir gehen zum Gottlieb

von Dirk Schindelbeck
Verlag: Rombach, 2022
248 Seiten, gebunden
Preis: 28 Euro

Foto: © Edeka-Mitarbeiterzeitung