Trotz rückläufiger Zahlen: Freiburg bleibt die kriminellste Stadt im Land Politik & Wirtschaft | 10.04.2019 | Lars Bargmann

Mehr Sexualdelikte und Einbrüche, weniger Gewalt- und Straftaten insgesamt: Das sind die Kernbotschaften der Kriminalitätsbilanz des Freiburger Polizeipräsidiums für 2018. Damit bleibt die Green City die Hauptstadt des Verbrechens in Baden-Württemberg.

Die Zahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner ist mit 11.127 doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt (5091). Allerdings ist die Freiburger Zahl auch die niedrigste seit zehn Jahren. Während aber in der Breisgau-Metropole die Einbrüche um 18,4 Prozent auf 393 nach oben schnellten, sehen die Kriminalitätsstatistiken des Bundes und des Landes in diesem Punkt ganz anders aus: Deutschlandweit ging die Zahl der Einbrüche stark zurück (-16,3 Prozent), landesweit um 15,5 Prozent.

Im Bund sind auch insgesamt die Straftaten mit rund 5,55 Millionen deutlich rückläufig. „Objektiv ist dies der niedrigste Wert seit Jahrzehnten“, sagte Innenminister Horst Seehofer (CSU) vor Journalisten. Deutschland sei eines der sichersten Länder der Welt.

Objektiv stimmt das. Subjektiv aber sieht es anders aus, wie mehrere Studien, auch des Bundeskriminalamts, belegen. Und dann ist da noch die Dunkelziffer. Wie viele Straftaten werden aus welchen Motiven gar nicht angezeigt? Auch der Freiburger Polizeipräsident Bernhard Rotzinger verwies bei der Bekanntgabe der Freiburger Statistik auf das Dunkelfeld, in dem es längst nicht nur „sehr viele Sexualdelikte“ gebe, die nicht angezeigt werden.

Insgesamt erfassten die Freiburger Ermittler 25.551 Fälle (ohne ausländerrechtliche waren es 24.756), rund 2300 oder 7,1 Prozent weniger als in 2017 – und das, obwohl die Stadt wächst. Rückläufig sind etwa die Raubdelikte: Im Vergleich zu 2016 – ab März 2017 brachte die Sicherheitspartnerschaft (SiPa) zwischen Stadt und Land mehr Personal nach Freiburg – um stolze 26,9, in der Altstadt sogar um 32,4 Prozent. „Wenn wir mehr Polizisten einsetzen können, können wir die Kriminalität senken“, sagte Rotzinger.

»Noch längst nicht am Ziel«

Rund 30.000 „verhaltensorientierte Personenkontrollen“ habe die SiPa geleistet, erzählte der Leitende Polizeidirektor Berthold Fingerlin. 330 Ermittlungsverfahren wurden angestoßen, 138 Tatverdächtige ermittelt, 24 Täter hinter Gitter gebracht. Man sei „trotz guter Entwicklung aber noch längst nicht am Ziel“. In der Innenstadt soll im Laufe des Jahres noch mehr Videoüberwachung realisiert werden.

Bodycams für mehr Sicherheit der Polizisten: Landesweit sollen 1350 Geräte zum Einsatz kommen. 118 bekommt das Polizeipräsidium Freiburg.

Die Straßenkriminalität (Raub, Totschlag, Diebstahl, Vandalismus) insgesamt ist im Vergleich zu 2016 um 22,3 Prozent auf 4448 Fälle zurückgegangen, in der Altstadt um 28,8 Prozent auf 955 polizeibekannte Straftaten. Um fast ein Drittel (zu 2016) ging auch die Gewaltkriminalität in der Altstadt zurück, stadtweit war es „nur“ ein Minus von 15,9 Prozent. Wäre Rotzinger der Vorstand einer Aktiengesellschaft, würden die Aktionäre dem Mann angesichts des Einbruchs der Geschäftszahlen wahrscheinlich das Vertrauen entziehen.

Gegen diesen Trend aber stehen die Einbrüche. „Wir haben es mit reisenden Banden vom Balkan zu tun, vor allem mit Albanern“, sagt der Freiburger Kripochef Peter Egetemaier. Die Zahlen belegen das: Mal gibt es in den Landkreisen Lörrach oder Breisgau-Hochschwarzwald in einer Woche nicht mal eine Handvoll Einbrüche, in der Woche drauf dann Dutzende, danach herrscht wieder Ruhe.

Wenn die Polizei mal jemanden schnappt, schweigen die Diebe über etwaige Mittäter: „Die wollen zurück ins soziale Umfeld, die reden nicht.“ Nichtdeutsche Tatverdächtige suchen dabei die Grenznähe zu Frankreich, aber auch zur Schweiz, wie eine interessante Wärmebildkarte der Einbrüche zeigt. Bei deutschen Tätern handelt es sich dagegen meistens um Drogensüchtige, die geklaute Waren an der nächsten Straßenecke verhökern, um an den Stoff zu kommen. „Wir leben aber auch in einem Wohlstandsgebiet, wo es was zu holen gibt“, so der Polizeivizepräsident Matthias Zeiser. Die Aufklärungsquote liegt bei überschaubaren 10,9 Prozent.

In ganz Baden-Württemberg hat sich die die Zahl der Wohnungseinbrüche (7.126) seit 2014 indes halbiert und ist auf einem Zehnjahrestief.
Gegen die kriminalistische Großwetterlage stehen in Freiburg aber auch die Sexualdelikte: Sie stiegen um 44 auf 216 Fälle. Und dabei ist die Gruppenvergewaltigung vorm Hans-Bunte-Club mit mittlerweile einem Dutzend gefasster Tatverdächtiger in dieser Statistik nur mit einem Fall vertreten.

Allerdings steigen die Zahlen auch deshalb, weil die erst seit 2017 eigens erfassten sexuellen Belästigungen (2018: 73) rund ein Drittel ausmachen. Die Aufklärungsquote liegt hier bei 75,5 Prozent. Jede zweite Tat wird von Deutschen begangen. Da der Anteil der Nicht-Deutschen an der Bevölkerung aber viel kleiner ist, sind ausländische Täter deutlich überrepräsentiert.

Im Landesvergleich liegt Freiburg bei den Straftaten pro 100.000 Einwohner weiter an der Spitze, allerdings nur noch knapp vor Mannheim (10.818). In Heilbronn aber lag die Zahl im vergangenen Jahr nur bei 6970. Dennoch ist die gefühlte Sicherheit in Freiburg nach Mord und Vergewaltigungen in den vergangenen Jahren offenbar wieder besser: Zu den stadtteilbezogenen Sicherheitskonferenzen der Freiburger Polizei kommen nur sehr wenige Interessierte.

Nur 60 von rund 30.000 Einwohner machten sich neulich zum Bürgerdialog auf den Weg in die Mensa der Weiherhofschule, wo neben anderen Harry Hochuli, Leiter des Polizeireviers Nord, über die Sicherheit in Herdern, Brühl und Neuburg sprach. Auch nicht mehr waren es Ende November bei der ersten Konferenz im Westen, als in der Mensa fast so viele Polizei- und Behördenvertreter wie besorgte Bürger zu sehen waren. Obwohl es um ein Gebiet (Mooswald, Betzenhausen, Landwasser, Lehen, Hochdorf) mit 40.000 Einwohnern ging.

Das war seine letzte Pressekonferenz: Polizeipräsident Bernhard Rotzinger verabschiedete sich nach 42 Dienstjahren bei der Polizei mit einer guten Bilanz in den Ruhestand.

Unsicherer – und zwar nicht nur gefühlt – leben die Polizisten selbst: 2390 Beamte sind 2018 in Baden-Württemberg verletzt worden, 22 Prozent mehr als im Vorjahr. Bundesweit ist die Zahl zuletzt sogar um 40 Prozent gestiegen. Die Einsatzkräfte müssten im öffentlichen Raum besser geschützt werden, sagt Innenminister Thomas Strobl (CDU), der flächendeckend Bodycams einführt. Erster Einsatzort: Freiburg.

118 solcher Kameras sind seit Mitte März in den Revieren des Freiburger Polizeipräsidiums im Einsatz. 1350 sollen es landesweit werden. Kostenpunkt: 1,8 Millionen Euro. Bei Demos und Kundgebungen dürfen sie hingegen aus rechtlichen Gründen nicht getragen werden. In Freiburg haben sich die Bodycams etwa bei der Razzia in einer Shisha-Bar schon bewährt, weil sie dort eine Eskalation verhindert haben. Klar, wenn man gefilmt wird, verhalten sich bekanntlich nicht nur Kriminelle oder auf Krawall gebürstete anders.

Der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen ist mit 42,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (42,2) stabil geblieben – im Vergleich zu 2009 (26) aber rasant steigend. Rumänien führt hier die Tabelle vor Syrien/Arabische Republik an. Bei 144 Tatverdächtigen konnten die Ermittler die Nationalität nicht zweifelsfrei klären. Klar ist, dass die Statistik nicht die faktische Kriminalität wiedergibt. Und zweifelsfrei ist auch, dass die Kriminalität in anderen deutschen Großstädten viel höher ist: In Berlin kommen auf 100.000 Einwohner 14.160 Straftaten, in Frankfurt 15.761. Das liegt 40 Prozent über dem Freiburger Niveau.

Info
Das Polizeipräsidium Freiburg ist für mehr als eine Million Einwohner zuständig.
Registrierte Straftaten gesamt: 68.949 (-6.096 Fälle/ -8,1 %)
Aufklärungsquote: 65,1 % (+0,3 %)

Straftaten pro 100.000 Einwohner:
> In Baden-Württemberg: 5.191
> Polizeipräsidium Freiburg: 6.534
> Polizeipräsidium Stuttgart: 8.507
> Polizeipräsidium Mannheim: 7.287
> Landkreis Waldshut: 3.944
> Landkreis Emmendingen: 3.898
> Breigau-Hochschwarzwald: 4.549
> Landkreis Lörrach: 8.028
> Stadtkreis Freiburg: 11.127

Straftaten in den Stadtteilen:
> Freiburger Altstadt: 5.607
  (-679 Fälle/- 10,8 %)
> Wiehre: 2.419 (+180 Fälle/+8,0 %)
> Stühlinger: 2.259 (-105 Fälle/-4,4 %)
> Haslach: 2.178 (-279 Fälle/-11,4 %)

Fotos: ©-iStock/GoodLifeStudio, PP Freiburg, bar