„Müssen viel mehr tun“ – Freiburgs neue Umwelt- und Bildungsbürgermeisterin Christine Buchheit im Interview STADTGEPLAUDER | 15.10.2021 | Philip Thomas

Portrait: Christine Buchheit Nach Freiburg zurückgekehrt: Christine Buchheit studierte Germanistik, Geschichte und Völkerkunde an der Albert-Ludwigs-Universität.

Seit dem 7. April leitet Christine Buchheit das Freiburger Dezernat für Umwelt, Jugend, Schule und Bildung. Zuvor arbeitete die 54-Jährige im Diplomatischen Dienst in der Zentrale des Auswärtigen Amtes in Berlin. Im Interview mit chilli-Redakteur Philip Thomas berichtet die neue Bürgermeisterin von angepassten Klimazielen, gesellschaftliche Gräben und Freiburgs Schultoiletten.

chilli: Frau Buchheit, 2019 hatten Sie sich als Oberbürgermeisterin in Lahr beworben. Im April wurden Sie Bürgermeisterin in Freiburg. Was reizt Sie am kommunalpolitischen Klein-Klein?
Buchheit: Think global, act local. Auf internationaler Ebene wird das ganz große Rad gedreht, auf kommunaler Ebene wird vieles dann umgesetzt. Darauf kommt es schließlich an. Wir wollen hier die Zukunft gestalten. In der Diplomatie wird viel verhandelt, es kann nicht so viel umgesetzt werden. Ich glaube, das Umsetzen liegt mir noch mehr. Wir müssen hier viel sprechen, Interessen abwägen und alle Parteien an einen Tisch setzen, also auch viel verhandeln. Hinterher braucht es dann aber eine Entscheidung, die man dann auch verantwortet. Dieser Schritt mehr ist reizvoll.

Rathaus Freiburg

Vernetzt: Bis Ende 2022 möchte das Rathaus an jeder Freiburger Schule funktionierendes WLAN installiert haben.

chilli: Was müssen Sie für den Posten noch mitbringen?
Buchheit: Viel Geduld und ein dickes Fell. Nach einem halben Jahr konnte ich natürlich noch keine größeren Projekte realisieren, deswegen ist auch noch nichts schiefgegangen. Es ist jedoch überraschend, mit welcher Ungeduld Kommunalpolitik verbunden ist.

chilli: Was genau meinen Sie?
Buchheit: Wir sind zum Beispiel offen an das Projekt Schul-Rochade in Freiburgs Osten gegangen. Einige Beteiligte wollten aber schneller Ergebnisse haben und Positionen festzurren, als ich es erwartet hatte. Solche großen Prozesse brauchen Zeit und viele Gespräche mit verschiedensten Akteurinnen und Akteuren innerhalb und außerhalb der Verwaltung. Diese Zeit würde ich mir gerne auch nehmen. (Anm. d. Red.: Es soll geprüft werden, ob das Deutsch-Französische Gymnasium (DFG) ins Lycée Turenne in der Oberwiehre umziehen kann. Der Westflügel des Lycée Turenne soll saniert und wieder genutzt werden. Die Außenstelle des Walter-Eucken-Gymnasium (WEG) würde in Räumen des DFG unterkommen. Das Berthold-Gymnasium (BG) könnte dann Räume im Pavillon des DFG-Gebäudes nutzen.)

chilli: Sie kennen Freiburg noch aus Ihrer Studienzeit. Wie hat sich die Stadt seitdem verändert?
Buchheit: In der Innenstadt hat sich Freiburg wirklich kaum gewandelt. Auf der anderen Seite stellt der Rotteckring eine große Veränderung dar, auch das Rieselfeld und den Stadtteil Vauban gab es damals noch nicht. In meiner Studienzeit habe ich in Weingarten gewohnt, zu jener Zeit war das Rieselfeld noch wirklich ein Feld. Daher musste ich mir die neuen Gebiete erst mal anschauen.

chilli: Wie wollen Sie Freiburg verändern?
Buchheit: Mein Ziel ist, Freiburg noch lebens- und liebenswerter zu gestalten. Und zwar in jeder Hinsicht. Um uns für den Klimawandel angemessen aufzustellen und Hitzespots zu reduzieren, brauchen wir zum Beispiel mehr Stadtgrün. Wir müssen aber auch noch mehr dafür tun, eine offene, liberale und tolerante Stadtgemeinschaft zu sein, die sich den großen Herausforderungen gemeinsam stellt. Ich glaube, wir haben in der Vergangenheit manchmal nicht alle mitgenommen. Wir dürfen Freiburg nicht spalten und Klimaschutz gegen soziale Gerechtigkeit ausspielen, sondern müssen bestehende gesellschaftliche Gräben überwinden.

Rathaus im Stühlinger

„Städtische Maßnahmen ausbauen“: Buchheit setzt auf Ganztagsschulen, PV-Anlagen wie hier am neuen Rathaus und Geothermie.

chilli: Wie wollen Sie das konkret umsetzen?
Buchheit: Etwa durch den Ausbau von Ganztagsschulen. Wir machen das nicht, weil hier bald ein Rechtsanspruch besteht, sondern weil wir davon überzeugt sind, dass soziale Gerechtigkeit dort durchgesetzt werden kann: Wenn alle Kinder den ganzen Tag in der Schule sind, spielt es keine Rolle, ob Eltern mit ihrem Kind zu Hause Deutsch sprechen oder Zeit haben, mit ihm die Hausaufgaben zu machen. Wenn Kinder den Tag bis 16 Uhr gemeinsam verbringen, können wir bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten in den Familien besser ausgleichen. Dann werden alle Kinder gefördert, egal was ihre Eltern ihnen zu Hause bieten können und wollen.

Ausbau der Ganztagsschulen

»Gesellschaftliche Gräben überwinden«

chilli: Welche Baustellen sehen Sie in Freiburg außerdem?
Buchheit: Beim Klimaschutz müssen wir noch viel mehr tun. Sonst erreichen wir unsere selbst gesteckten Ziele nicht. Vom 1,5-Grad-Pfad sind wir sehr weit entfernt – in Deutschland, in Baden-Württemberg und auch in Freiburg.

chilli: Act local. Rund 18 Millionen Euro sind im Doppelhaushalt 2021/22 für das Freiburger Umweltschutzamt vorgesehen. Reichen diese Mittel für den Klimaschutz?
Buchheit: Für den Klimaschutz reichen diese Mittel nicht. Wir erreichen eine Reduktion von CO2-Emissionen, die Kurve geht aber nicht steil genug nach unten. Mit diesem Tempo erreichen wir unsere Klimaziele nicht. Wenn wir mehr machen wollen, kostet Klimaschutz gerade am Anfang eben auch Geld. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass kein Klimaschutz noch mehr Geld kostet. Deswegen müssen wir jetzt dafür Geld ausgeben. Nageln Sie mich jetzt aber nicht auf eine Summe fest. Diese ist im politischen Raum auszuloten.

Helibefliegung - Badenova

chilli: Die Zeit ist knapp …
Buchheit: … wir müssen wirklich handeln und die Bevölkerung mitnehmen: Etwa indem wir die Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer zum Mitmachen bewegen, denn diese müssen ihre Immobilien sanieren. Klimaschutz ist aber nicht nur Überzeugungsarbeit, wir müssen auch unsere städtischen Maßnahmen ausbauen.

chilli: Die „Green City“ Freiburg soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Das Industrie-Land Baden-Württemberg will das bis 2040 schaffen. Wie passt das zusammen?
Buchheit: Wir werden unsere städtischen Klimaziele anpassen. Wir müssen schneller werden, um auf dem 1,5-Grad-Pfad zu bleiben. 2050 ist zu spät. 

chilli: An welchen Stellschrauben wollen Sie dazu drehen?
Buchheit: Wir brauchen noch mehr Photovoltaik. Und zwar nicht nur auf den Dächern, sondern auch an Fassaden und Freiflächen. Beim Thema Agri-PV ist Freiburg noch nicht sehr weit gekommen. Um landwirtschaftliche Flächen für die Energiegewinnung nutzbar zu machen, hat Freiburg bisher nur ein einziges Projekt am Tuniberg. Da sehe ich große Ausbaupotenziale. Dazu müssen wir gemeinsam mit den Landwirten weitere Flächen und Potenziale identifizieren, und zwar vor allem im Sinne einer Doppelnutzung von Flächen für die Landwirtschaft und für die Energieerzeugung.

chilli: Welche Projekte wollen Sie noch anschieben?
Buchheit: Geothermie. Direkt am Oberrheingraben sind wir dazu in idealer Lage. Auch hier ist die Umsetzung neben dem technischen vor allem ein kommunikativer Prozess: Es geht darum, berechtigte Sorgen aufzugreifen. Im Zusammenhang mit dieser regenerativen Energie denken viele vor allem an gescheiterte Unternehmungen. Die Badenova ist hier für uns als Kommune eine sehr wichtige Partnerin.

Junge in der Schule

chilli: Sie sind heute auf den Tag genau ein halbes Jahr im Amt. Konnten Sie einen Blick in ein Freiburger Klassenzimmer werfen?
Buchheit: Nach und nach will ich alle 65 Schulen besuchen, bisher habe ich mir alle beruflichen sowie einige Grund- und weiterführende Schulen angesehen. Ich konnte aber schon alle Schulleiterinnen und Schulleiter treffen.

chilli: Was haben Sie bei diesen Treffen am häufigsten gehört?
Buchheit: Derzeit berichten alle von Corona-Problemen. Ich höre aber, dass es inzwischen bei der Bewältigung der immer neuen Anforderungen auch schon eine gewisse Routine gibt. Allerdings wird mir auch berichtet, wie erschöpft die Verantwortlichen mittlerweile sind.

»Ideale Lage für Geothermie«

chilli: Welchen Eindruck haben Sie von den Schulen selbst? Waren Sie dort mal in einer Toilette?
Buchheit: Ich gehe in jeder Schule in die Toilette. Einige waren in keinem guten Zustand, das finde ich bedauerlich. Außerdem gibt es in den Schulen immer wieder nicht genug Platz für die modernen pädagogischen Anforderungen, zum Beispiel für Klassenteilungen und Gruppenarbeit. Wir tun, was wir können, aber wir haben leider keine personellen und finanziellen Kapazitäten, um alle Einrichtungen gleichzeitig zu sanieren und zu erweitern.

chilli: Der Herbst ist da, die Corona-Infektionen steigen. Spielen Luftfilter in den Planungen für die kalte Jahreszeit eine Rolle?
Buchheit: Für schwer belüftbare Räume haben wir insgesamt 42 Luftfilter gekauft und direkt nach den  Ferien installiert. Überall sonst können die Fenster weit geöffnet werden. Nach allen Empfehlungen bleibt Lüften an Schulen unverzichtbar. Ich fürchte aber, dass unsere Kinder wahrscheinlich auch diesen Winter noch einmal gelegentlich frieren werden, daran würden auch Luftfilter in allen Räumen nichts ändern.

chilli: Wie digitalisiert sind Freiburgs Schulen?
Buchheit: Wir haben viel gemacht und den Bedarf von Endgeräten der Schulen gedeckt. Für Lehrerinnen und Lehrer sind noch nicht überall ausreichend Laptops verfügbar, das hat mit den globalen Lieferproblemen zu tun. Insgesamt ist die Digitalisierung von Freiburgs Schulen ein Prozess, der uns noch einige Jahre beschäftigen wird. Beim Verlegen von Kabeln stellen wir beispielsweise oft fest, dass die gesamte Elektrik-Anlage der Schule ausgetauscht werden muss. Parallel dazu sind wir dabei, bis Ende des nächsten Jahres an jeder Schule WLAN einzurichten.

chilli: Frau Buchheit, vielen Dank für dieses Gespräch.

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