Radeln bei Rot: Rathaus testet Grünen Pfeil – unter Protest STADTGEPLAUDER | 19.06.2022 | Till Neumann

Fahrradfahrer stehen an einer Ampel in Freiburg Rechts bei Rot: Hier an der Kreuzung Eschholzstraße-Lehener Straße biegen die meisten falsch ab - sie stoppen nicht.

Es ist der Traum vieler Radelnder: An roten Ampeln nicht mehr stoppen. Nach jahrelangen Warten ist das in Freiburg nun möglich. Das Rathaus testet an drei Kreuzungen den „Grünen Pfeil“. Doch eine Gruppe hat etwas dagegen. Und die korrekte Fahrweise kennt kaum einer.

Ampel wird Stoppschild

Schon 2016 hat das Rathaus – nach einer chilli-Recherche – ein Pilotprojekt beantragt. Erst jetzt ist es Realität: Das neue Verkehrszeichen (Grüner Pfeil) kommt einer Revolution gleich. Es macht die rote Ampel für rechtsabbiegende Radler zum Stoppschild. Kurz anhalten, schauen ob die Bahn frei ist, weiter.

Möglich ist das auch an der Kreuzung Lehener und Eschholzstraße. Wie gut das klappt? Das chilli hat einen 30-Minuten-Check gemacht und die Kreuzung an einem Dienstag von 11.52 bis 12.22 Uhr unter die Lupe genommen.

Bis zu 75 Euro Strafe

Der Verkehr ist überschaubar. Wir zählen 35 Radelnde. Das Schild wird offenbar verstanden: Nur ein Radler wartet auf Grün, um rechts zu fahren. Sechs weitere fahren bei Rot. Doch keiner achtet die Grundregel: Wer bei Rot fährt, muss vor dem Abbiegen kurz anhalten und schauen, ob die Bahn frei ist.

Mindestens 35 Euro kostet das Vergehen laut Bußgeldkatalog. 50 Euro sind es bei einer Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer, 75 wenn eine Gefahrensituation entsteht. „Dass man da anhalten muss, weiß keiner“, sagt ein Freiburger Radler an der Test-Kreuzung. Er findet das unnötig: „Ich kann beim Fahren sehen, ob Platz ist.“ Die Polizei dürfte die Ansicht nicht teilen. Bei Streifenfahrten könne die Regel kontrolliert werden, teilt Polizeipräsidiums-Sprecherin Laura Riske mit. Verstöße seien jedoch bisher nicht erhoben.

Rote Ampel mit dem Grünen Pfeil

Neues Verkehrszeichen in Freiburg: der Grüne Pfeil

„Gefahr für Leib und Leben“

Auch das Verkehrsmanagement der Stadt hat bisher keine negativen Erfahrungen an den Testkreuzungen festgestellt. „Wir wollen den Radverkehr fördern“, sagt Projektleiterin Sandra Beck. Wartezeit könne so entfallen. Eine Neuregelung im Bundesverkehrsrecht macht den Versuch möglich. Mitarbeitende beobachten die Kreuzungen stichprobenartig – ebenfalls für 30 Minuten. Ende Juni sollen die Ergebnisse ausgewertet werden.

Für Mischa Knebel ist schon jetzt klar: „Für blinde und sehbehinderte Verkehrsteilnehmende stellt der Abbiegerpfeil eine Gefahr für Leib und Leben dar.“ Der Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenverein Südbaden e.V. (BSVSB) sagt: „Wenn eine Ampel für den Fußgänger Grün anzeigt, müssen wir davon ausgehen, dass der Überweg zum Queren frei ist.“ Ein Abbiegerpfeil signalisiere dem Radfahrenden Vorfahrt. Das führe zu einer großen Unfallgefahr.

„Macht das Radfahren flüssiger“

Knebel hätte sich für das Pilotprojekt mehr Austausch gewünscht. Sein Verein stellt klar: „Wir werden uns vorbehalten, im Falle eines Verkehrsunfalles mit blinden und sehbehinderten Personen an Querungen mit Abbiegerpfeilen die Stadt Freiburg regresspflichtig zu machen.“

„Wir können die Bedenken nachvollziehen“, sagt Frank Borsch von der Freiburger Stelle des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC). Er sieht aber auch Vorteile: „Der Grüne Pfeil macht das Radfahren flüssiger und damit attraktiver, was wir alle für Freiburg wollen.“ Ein Probelauf sei daher richtig.

Im Ausland Standard

Auch Sandra Beck vom Verkehrsmanagement will den Test in Ruhe auswerten – und mit Polizei und BSVSB das Gespräch suchen. Negative Erfahrungen mit dem Rot-Rechtsabbieger für Radler sind ihr von anderswo nicht bekannt. Tatsache ist: In Frankreich, den USA oder den Niederlanden sind solche Kreuzungen seit Jahren oder Jahrzehnten Usus.

Fuß- und Radoffensive des Rathauses

Das Rathaus Freiburg investiert vielerorts in die Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrende. Insgesamt 16 Millionen Euro fließen innerhalb von zwei Jahren im Rahmen der Fuß und Radoffensive in den Mobilitätsbereich. Anlass ist der gescheiterte Versuch des Fuß- und Radentscheids Freiburg im Jahr 2020, einen Bürgerentscheid zu bewirken. Die Stadtverwaltung hat ihn aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Der Gemeinderat hat daraufhin entschieden, das 16-Millionen-Paket auf den Weg zu bringen. Laut Pressestelle sind bisher 11 Millionen Euro für 15 Projekte veranschlagt. Die größten drei sind laut Sprecher Kolja Mälicke der Bau der Radvorangroute FR3 an der Friedhofstraße sowie die Baumaßnahmen zum FR2 an der Kilianstraße und der  Umbau der Engelbergstraße.

Im Netz

Fotos: © Till Neumann

Freiburg: Hier radelt man legal bei Rot