Rettung aus dem 3D-Drucker: Wie „Rrreefs“ mit modernster Technik Korallenriffe baut Start-ups | 21.05.2023 | Pascal Lienhard

Unterwasseraufnahme einer Taucherin neben selbstgebauten Korallenriff

Den Korallenriffen geht es schlecht: Wegen steigender Wassertemperaturen, Verschmutzung, Überfischung und lokalen Stressfaktoren sind in den vergangenen Jahrzehnten weltweit etwa die Hälfte der Riffe verschwunden. Das Team von „Rrreefs“ will dem etwas entgegensetzen. Dazu bringt der Freiburger-Zürcher Verein Tonelemente aus dem 3D-Drucker in den Ozean, um Meeresbewohnern ein neues Zuhause zu geben. Mitgründerin Hanna Kuhfuß freut sich über erste Erfolge – und hat ambitionierte Pläne.

Regenwald der Meere: Die Bezeichnung beschreibt die wichtige Rolle von Korallenriffen im Ökosystem Ozean. Die von Korallentieren geschaffenen Strukturen sind mit ihren vollen Farben beeindruckende Naturphänomene. Ein Viertel aller Meeresbewohner lebt in oder von den Riffen. Laut Wissenschaftlern sind etwa 600 Millionen Menschen wirtschaftlich direkt von funktionierenden Korallenriffen abhängig – fast acht Prozent der Weltbevölkerung.

Doch auch für den Küstenschutz sind die Riffe zentral: Sie absorbieren die Energie anrollender Wellen und verhindern so größere Schäden durch Sturmfluten. Umso notwendiger ist es, das Sterben der Riffe aufzuhalten. Die Aussichten sind aber aktuell düster. „Wenn wir nicht handeln, wird es bis 2050 keine intakten Riffe mehr geben“, sagt Hanna Kuhfuß. Das will die 37-jährige Meeresbiologin nicht akzeptieren.

Nach dem Abitur macht Kuhfuß ein Praktikum an einer Meeresbiologischen Station auf der italienischen Insel Elba. Dort lernt sie Ulrike Pfreundt kennen. Regelmäßig diskutieren die beiden über die Probleme, denen Ozeane ausgesetzt sind. Später wohnen sie in Freiburg gemeinsam in einer WG. Einige Jahre später arbeitet Kuhfuß als Forschungstaucherin und Meereswissenschaftlerin für EU-Projekte. Pfreundt hat es für ihren Postdoc in Ozeanographie an die Uni Zürich gezogen. Dort lernt sie die Künstlerin Marie Griesmar kennen, die Tonskulpturen als Unterwassserhabitate kreiert.

Zwei Frauen in Taucheranzug auf einem Boot

Wissenschaftlerinnen mit Vision: Ulrike Pfreundt und Hanna Kuhfuß (r.)

Kuhfuß, Pfreundt und Griesmar machen gemeinsam bei einem Workshop zur Korallenrestauration auf den Malediven mit. Dort installieren sie Tonplatten im Meer. Die Idee hinter diesem ersten Experiment: Korallen und andere Meeresbewohnern, die durch das Verschwinden der Riffe obdachlos geworden sind, durch nachhaltige Tonstrukturen ein neues Zuhause schaffen. Das ist notwendig, wie Kuhfuß erklärt: „Wenn die dreidimensionalen Riffstrukturen zerstört sind, haben selbst resistentere Korallenlarven keine Chance, neue Riffe zu bilden.“ Doch gerade auf diesen Larven, die besser mit erhöhten Temperaturen zurechtkommen, ruht die Hoffnung der Wissenschaft.

„Die Ergebnisse der Experimente auf den Malediven waren besser als gedacht“, sagt Kuhfuß. Inzwischen sind die Tonplatten von etwa handballgroßen Korallen bewachsen. Zurück auf dem Festland gründen die Pionierinnen im Herbst 2020 den Verein „Rrreefs“ mit Sitz in Zürich und Ableger in Freiburg. Später wird das Team von Josephine Graf ergänzt, die sich ums Geschäftliche kümmert. Zudem wird Rrreefs von etwa einem Dutzend Freiwilligen und Studenten unterstützt.

In mühsamer Handarbeit und mit ehrenamtlicher Unterstützung wird in Zürich mittels 3D-Druck ein Prototyp aus Ton kreiert, der verschiedenen Strömungen standhalten, aber auch unterschiedlichen Bewohnern gerecht werden soll. 228 aus dem Drucker gewonnene Elemente gehen 2021 mit „Rrreefs“ auf Reise. Das Ziel ist die kolumbianische Insel San Andrés im Karibischen Meer. Mit internationalen Helfern und lokalen Unterstützern installiert „Rrreefs“ die Elemente auf dem Grund des Meeres. Hier werden sie zu einem kleinen Schloss zusammengesetzt. Schon nach drei Monaten entdecken Taucher rund 40 Fischarten im künstlichen Riff, im Oktober des vergangenen Jahres beherbergt etwa jedes zweite Tonelement eine Babykoralle. Wer die Arbeit unterstützen will, kann ein Element adoptieren und über die sozialen Kanäle von rrreefs mitverfolgen, wie es sich entwickelt.

Ein Riffbarsch

Meeresbewohner willkommen: Kurz nach Installation des künstlichen Korallenriffs in Kolumbien schauen erste Tiere vorbei.

Heimat für Korallenbabys und Fische

Um sich zu finanzieren, greift der Verein auf Spenden, Crowdfunding, Preisgelder, Unterstützung von Unternehmen und Einnahmen aus Gimmicks wie Socken im „Rrreefs“-Stil zurück. Viel Aufwand beschert der Gruppe die Verwaltung, denn auch für den Bau von künstlichen Riffen braucht es Baugenehmigungen. Doch der bisherige Erfolg macht Kuhfuß Mut: „Bis 2033 wollen wir ein Prozent der Korallenriffe in Küstennähe wieder aufbauen.“ Das ist ambitioniert, sei aber mit Industrie- und lokalen Partnern machbar.

So optimistisch die Erfolge des Teams stimmen: Sie werden nur einen dauerhaften Einfluss haben, wenn es gelingt, den Klimawandel abzuschwächen. Kuhfuß und ihre Mitstreiterinnen glauben daran, dass sie bis dahin den Korallen neuen Lebensraum und damit auch Zeit verschaffen können, um sich an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen. Aktuell plant die Gruppe das zweite Riff. Das soll mit einem weiterentwickelten Prototyp an der Küste der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena entstehen – und für möglichst viele Lebewesen eine neue Heimat im Regenwald der Meere werden.

Fotos: © Aldahir Cervantes, Timo Brunner, Angela Alegria Ortega