Trotz zahlreicher Projekte: Freiburger Artenschutzexperten schlagen Alarm STADTGEPLAUDER | 13.11.2020 | Philip Thomas, Liliane Herzberg

Wanderer Felsen

Jeden Tag verschwinden 150 Tier- und Pflanzenarten für immer von diesem Planeten. Auch in Freiburg beobachten Experten einen Rückgang von Flora und Fauna. Artenschützer sind sich sicher: Sterben genug Arten, ist irgendwann der Mensch dran.

„Artenvielfalt und funktionsfähige Ökosysteme sind unsere Lebensgrundlage“, betont Harald Schaich, Vize-Amtsleiter und Abteilungsleiter Naturschutz im Umweltschutzamt der Stadt Freiburg. Ohne eine intakte Natur könne der Mensch langfristig nicht überleben: „Eine biologische Vielfalt stellt essenzielle Leistungen für uns Menschen bereit, wie die
Bestäubung von Nahrungspflanzen, Nährstoffkreisläufe und fruchtbare Böden oder sauberes Wasser.“ Obendrein verdanke der Mensch dem Füllhorn genetischer Informationen aus der Tier- und Pflanzenwelt zahllose Medikamente oder technische Entwicklungen.

Der Umweltschutz ist im Breisgau frühzeitig als Thema erkannt worden: Als erste Stadt in Baden-Württemberg hat Freiburg vor 30 Jahren ein Umweltdezernat gegründet. Rund 250.000 Euro sind im aktuellen Doppelhaushalt 2019/2020 für den Erhalt der biologischen Vielfalt sowie den Aktionsplan Biodiversität vorgesehen. Laut dem 45 Punkte starken Papier sollen unter anderem Pflanzen und Insekten monitorisiert, auf Pestizide verzichtet oder auch der Schlossberg mit Schafen beweidet werden.

Artenspürhund

Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) arbeitet mit Artenspürhunden.

„Das ist gut, aber mehr geht immer“, kommentiert Schaich. Statt wie Konstanz im vergangenen Jahr den Klima-Notstand auszurufen, hat Freiburgs Gemeinderat mit großer Mehrheit das Freiburger Klima- und Artenschutzmanifest verabschiedet, wonach nun alle Entscheidungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf diese Themen überprüft werden sollen. Das Bewusstsein für Artensterben in der Kommunalpolitik sei gewachsen, „angesichts der Größe des Problems muss die Unterstützung aus der Politik auf allen Ebenen aber noch deutlich größer werden“, sagt Schaich. 

Knapp 3000 Tier- und Pflanzenarten gibt es im Stadtgebiet noch. Diese Artenvielfalt gelte es zu schützen und zu fördern. Mehr als 7060 Hektar der knapp 15.300 Hektar umfassenden Freiburger Gemarkung sind heute gesetzlich geschützt. „Der Anteil ist relativ hoch, aber bei Naturschutzgebieten können wir uns noch verbessern“, kommentiert Schaich. Hinzu kommen 660 Hektar an Grünflächen, mehr als 50.000 Stadtbäume und streng geschützte Arten wie Alpensegler, Wimperfledermäuse oder Mauereidechsen. „Ich würde sagen, dass Freiburg den Titel ‚Green City‘ in dieser Hinsicht verdient hat“, so Schaich.

»Eine Million Arten akut bedroht «

Aber Ökologie endet an keiner Stadtgrenze. Zwischen 1989 und 2015 wurden an 60 Standorten in Deutschland Daten zum Insektensterben gesammelt. Das erschreckende Ergebnis der „Krefeld-Studie“ aus dem Jahr 2017: Die Masse an Fluginsekten wie Schmetterlinge, Wildbienen und Nachtfalter ist bundesweit um 77 Prozent zurückgegangen. Unmittelbar davon betroffen sind auch andere Arten, etwa Vögel. WWF und der Deutsche Naturschutzbund (NABU) sehen aktuell rund eine Million Tierarten akut vom Aussterben bedroht. Die Rote Liste ist lang: Von rund 112.000 untersuchten Arten werden mehr als 30.000 als gefährdet eingestuft. Laut NABU verschwinden jeden Tag 150 von ihnen von diesem Planeten.

Von solchen Zahlen ist das 1995 als Naturschutzgebiet ausgewiesene Freiburger Rieselfeld weit entfernt. Laut Schaich ist die Entwicklung in der 257 Hektar großen Schutzzone weniger dramatisch als in den Teststationen der Krefeld-Studie. Insgesamt vermutet er aber einen ähnlichen Abwärtstrend. Schaich erinnert sich: „Als ich mit meinen Eltern früher in den Urlaub gefahren bin, mussten wir regelmäßig Pausen einlegen. Nicht zum Tanken, sondern um die Windschutzscheibe zu putzen. Heute bleibt das Glas sauber.“ Genaue Zahlen für Freiburg liegen noch nicht vor. Erste Ergebnisse sollen Anfang nächsten Jahres spruchreif sein.

Eidechse

Die possierliche Mauereidechse, die vor allem auf dem Güterbahnhofgelände zu Hause ist.

Beim Untersuchen von Artenbeständen geht Freiburg auch neue Wege: Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) hat seit 2018 einen Artenspürhund in ihren Reihen. Mit der Spürnase wurden seitdem das Vorkommen und die Dichte von Baummardern im Schwarzwald und Wäldern der Rheinebene untersucht. Derzeit befindet sich das Experiment in der Pilotphase.

Der Hund ist darauf trainiert, Baummarder-Kot zu unterscheiden und im Gelände aufzuspüren. Dafür ist er durchaus mal zwei bis drei Stunden und rund 15 Kilometer weit auf der Suche. „Das ist eine sehr anstrengende Arbeit“, sagt die Wildtierbiologin Julia Taubmann. Wird der Schnüffler fündig, werden Daten der Hinterlassenschaften wie Lage und Aussehen genommen und genetisch untersucht. Um die Effektivität des Einsatzes von Hunden gegenüber anderen Methoden zu erproben, prüft das Team parallel weitere Erfassungswege, wie etwa die Fotofalle.

Svenja Fugmann von der Freiburger Ökostation leistet derweil Aufklärungsarbeit. „Wir beraten unter anderem Bürger, wie Baumscheiben oder Gärten insektenfreundlich gestalten werden können“, sagt sie. Jährlich führt die Ökostation 75 Projekttage für Kinder und Jugendliche zum Thema „Biodiversität“ und „Natur entdecken“ durch, am Tag der Artenvielfalt des „Freiburger Netzwerk Artenvielfalt“ zählt die 36-Jährige rund 300 Teilnehmer.

Im Stadtgebiet gibt es rund 600 Baumpatenschaften des städtischen Projekts „Freiburg blüht auf“, bei der die Station mit Beratung, Saatgut und Stauden unterstützt. „Das sind viele kleine Bausteine zum Schutz der Artenvielfalt“, sagt sie. Auch Fugmann bereitet der Insekten-Rückgang Sorgen: „Ohne tierische Bestäubung würden wir in der Region wohl bald nur noch Kulturen wie Getreide, Kartoffeln und Wein anbauen können.“ 

Biene

Efeu-Seidenbiene: Die Bestände sind stark rückläufig.

Deutschlandweit schließt der NABU Klimaveränderungen als Verursacher für das Insektensterben nahezu aus. Das werde sich laut Alexandra-Maria Klein, Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität, aber bald ändern: „Der Klimawandel wird eine größere Bedrohung für die Artenvielfalt darstellen, als wir bisher abbilden konnten.“ Sie befürchtet: „Viele Arten haben Bausteine ihrer Lebensgrundlage verloren und jetzt kommt die Veränderung im Klima dazu.“ Es werde schwierig, den Abwärtstrend beim Artensterben rückgängig zu machen.

Weil neun von zehn Untersuchungsflächen in unmittelbarer Nähe zu landwirtschaftlich genutzten Gebieten liegen, vermutet der NABU innerhalb der Studie einen Zusammenhang: Rund 60 Prozent der deutschen Naturschutzgebiete sind kleiner als 50 Hektar, haben Inselcharakter, und die Arten im Inneren seien äußeren Einflüssen wie Pestiziden ausgeliefert. „Die Fragmentierung der Landschaft und damit die Verhinderung von Wanderungen zwischen Populationen ist auch ein Grund für die rapiden Arten- und Populationsverluste“, weiß Schaich.

Die Hauptursache für das deutschlandweite Artensterben ist für ihn die Intensivierung von Landnutzung, insbesondere in der Landwirtschaft. Für den Lebensraumverlust verantwortlich seien aber nicht die Landwirte, sondern eine verfehlte Agrarpolitik. Wie es ökologisch geht, zeigt Andreas Steiert. Der 53-Jährige ist im Kappler Großtal alleine für ein 21 Hektar weites und von der Stadt Freiburg überlassenes Gebiet zuständig.

Garten

Der Bienenlehrpfad in Opfingen.

Die Fläche beweidet Steiert mit 20 Vorderwälder-Rindern, die er selbst züchtet. Die gefährdete Rasse wiegt nicht so viel wie andere Rinder, deshalb zerstören ihre Tritte den Boden nicht so sehr. Die Tiere brauchen außerdem weniger Futter und kommen deswegen in kargen und steinigen Höhenlagen zurecht. Der Nachteil: „Ich kriege auch für den Verkauf weniger und im Wettlauf mit der Konkurrenz bin ich dadurch benachteiligt.“ Damit sich die Arbeit lohne, bekomme er Landschaftspflegefördergeld vom Umweltschutzamt.

»Habitate werden zerstört«

Auf seinen Allmend-Wiesen sind viele Steilhänge, an denen verschiedenste Pflanzen und Büsche wachsen. „Von denen bleibt einiges stehen, was die Rinder nicht verbeißen“, erzählt der Landwirt. Die bieten Vogel- und Schmetterlingsarten wie etwa dem Tagfalter Unterschlupf und Futter.  Weil der Untergrund nicht gedüngt sei, würden auch zahlreiche Insekten angezogen werden, „außerdem wachsen dort nun seltene Pflanzenarten wie Orchideen“.

Auch um die Landschaftspflege kümmert sich Steiert. Im Herbst kontrolliert er seine Wiesen und schneidet überflüssige Büsche und Hecken zurück. „Normalerweise wird drei bis vier Mal im Jahr gemäht, ich mache das auf dieser Fläche aber nur ein Mal. Wenn die Vögel und Schmetterlinge also im Frühjahr und im Sommer brüten und sich verpuppen, ist alles da und sie haben genügend Nist- und Futterplätze.“

„All das sind fragile Systeme“, erklärt Gereon Kapp, Leiter des Wildbienen-Lehrgartens im Freiburger Stadtteil Opfingen. Rund 560 Wildbienenarten gibt es in Deutschland. Knapp 130 davon summen am Tuniberg. Auf rund 1000 Quadratmetern bleiben die Tiere von Landwirtschaft und Verdichtung verschont: „Überall werden Habitate zerstört.“ Der 43-Jährige plädiert dafür, den Laubhaufen im Garten liegen zu lassen und die Hecke nicht ständig zu stutzen, um Nischen entstehen zu lassen.

Zwar sei in der Region um Freiburg schon viel getan worden, „global stehen wir aber am Abgrund.“ Laut NABU gibt es in Europa heute schon rund zehn Prozent weniger Bienen als noch vor einigen Jahren, in den USA wird ein Rückgang von 30 Prozent verzeichnet. Im Nahen Osten seien es sogar 85 Prozent. Der Diplom-Forstwirt versucht optimistisch zu bleiben, angesichts immer schneller werdender Negativentwicklungen sei das allerdings nicht ganz einfach: „Die Erde überlebt den Klimawandel, einige Arten aber nicht. Vielleicht gehört unsere Art auch dazu.“

Fotos: © iStock/Chalabala,  FVA Artenspuerhund an Wolfslosung, iStock/kama71, Wildbienen-Lehrgarten Opfingen, Bienenlehrpfad Opfingen