Ungesühntes Unrecht: Jurist forscht zu NS-Justiz in Freiburg Ausstellung | 09.01.2023 | Pascal Lienhard

Ausstellung zur NS-Justiz im Freiburger Amtsgericht

Thomas Kummle kennt das Freiburger Amtsgericht in- und auswendig. Doch wie viel Unrecht in dem Gebäude am Holzmarkt gesprochen wurde, wusste der frühere Präsident der Institution lange nicht. Unlängst hat Kummle seine Ergebnisse in einem Webtalk vorgestellt. Die Ergebnisse seiner Recherchen machen den Juristen betroffen: Allein das Sondergericht fällte in Freiburg mindestens 29 Todesurteile.

„Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ Mit diesen Worten des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker eröffnet Kummle seinen Vortag zur NS-Justiz in Freiburg. Der Jurist war von 2006 bis 2020 Präsident des Freiburger Amtsgerichts, seit 2020 gibt es eine von ihm initiierte Ausstellung zur NS-Justiz zu sehen. Das Fazit: Drei Gerichte tagten während des Dritten Reichs in Freiburg.

Nicht nur hielten das Reichskriegsgericht und der Volksgerichtshof hier auswärtige Sitzungen ab und tagten im Gebäude am Holzmarkt. Hier hatte von 1939 bis 1945 auch das Sondergericht Freiburg seinen Sitz. Schon 1933 hatte Hitlers Kabinett die Bildung von Sondergerichten in allen Oberlandesgerichtsbezirken beschlossen, Ziel war der Kampf gegen politische Gegner. Für Baden fiel die Wahl auf Mannheim mit seiner großen linken Opposition. Aufgrund der vielen Verfahren war die schnelle Aburteilung jedoch nicht mehr gewährleistet. Daher erhielt Freiburg ein eigenes Sondergericht.

Die Sondergerichte urteilten wie auch Reichskriegsgericht und Volksgerichtshof hart, belegt sind reichsweit mehr als 11.000 Todesurteile. „Von Rechtssprechung kann man nicht mit gutem Gewissen reden“, so Kummle über die NS-Justiz. In Freiburg fällte das Sondergericht am 13. Oktober 1939 das erste Todesurteil, belegt sind 29. Wie stark die Verfahren politisiert waren, zeigt etwa die Praxis, Gutachten zur „politischen Zuverlässigkeit“ der Angeklagten einzuholen. Auch in den anderen beiden NS-Gerichten gab es große politische Einflussnahme.

Ausstellung zur NS-Justiz im Freiburger Amtsgericht.

Einst Ort des Unrechts: Ausstellung zur NS-Justiz im Freiburger Amtsgericht.

Ein vom Sondergericht Freiburg Verurteilter ist Otto Friedrich. Sein „Vergehen“: das heimliche Hören ausländischer Sender. Die relativ hohe Strafe von drei Jahren Zuchthaus wurde mit Friedrichs politischer Einstellung begründet: Er habe einen Trauermarsch für die Beisetzungsfeier des Revolutionärs Kurt Eisner komponiert. Zwar wurde die Reststrafe Friedrichs 1944 zur Bewährung ausgesetzt. „Es war aber gängige Praxis, dass die Strafvollstreckungsbehörde der Gestapo eine Mitteilung über die Entlassung bei politischen Tätern machte“, erklärt Kummle. Friedrich wurde wieder verhaftet und ins KZ Dachau gebracht, wo er kurz vor Kriegsende starb. Das Urteil wurde 1947 aufgehoben.

Von Gerechtigkeit konnte auch nach 1945 nicht die Rede sein. „Die Aufarbeitung der NS-Justiz in der Bundesrepublik ist fehlgeschlagen“, sagt Kummle. Berufsrichter schafften es nach 1945 beispielsweise bis in den Bundesgerichtshof. „Die Durchlässigkeit war groß nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Ein besonders prominentes Beispiel hierfür ist Hans Filbinger. Der langjährige baden-württembergische Ministerpräsident hatte während des Zweiten Weltkriegs als Marinerichter vier Todesurteile beantragt beziehungsweise gefällt. Ein klarer Fall, in dem die Augen vor der Vergangenheit verschlossen wurden – und die Zeitgenossen blind für die Gegenwart wurden.

Info:
Dauerausstellung „NS-Justiz in Freiburg“, Amtsgericht Freiburg
Montag bis Freitag, 9 bis 12 Uhr
sowie nach Vereinbarung, Gruppen nach Voranmeldung
freier Eintritt

Fotos: © Pascal Lienhard