Von Sternchen und Punkten: Wie die Schulen der Region mit dem Gendern umgehen f79 – das Jugendmagazin | 16.03.2023 | Pascal Lienhard

Verschiedene Silhouetten in bunten Farben

Gendern im Schulunterricht – das Thema schlägt immer wieder hohe Wellen. Der Baden-Württembergische Ministerpräsident hält wenig davon, auch die Landes-FDP ist dagegen vorgegangen. f79-Volontär Pascal Lienhard hat sich in Schulen und bei bildungspolitischen Gruppen umgehört. Er ist auf Offenheit und Sorgen gestoßen.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist kein Fan gendergerechter Sprache. „Die Schulen müssen sich an das halten, was der Rat für deutsche Rechtschreibung vorgibt“, sagt der ehemalige Lehrer. Sonst habe man am Ende keine einheitliche Rechtschreibung mehr. Der Rat, seit 2004 maßgebliche Instanz in Sachen Orthografie, hatte 2021 entschieden, Genderstern, Unterstrich und ähnliche Formen nicht ins „Amtliche Regelwerk“ aufzunehmen. Der Rat wolle die Entwicklung des Schreibgebrauchs aber weiter beobachten.

Nach Ansicht Kretschmanns sei es schlimm genug, dass viele Grundschüler*innen nicht lesen können. „Man muss es denen nicht noch erschweren, indem man in der Schule Dinge schreibt, die man gar nicht spricht“, sagte der Grünen-Politiker Anfang des Jahres. Auch die FDP brachte unlängst einen erfolglosen Vorschlag in den Landtag ein: Amtliche, behördliche und (hoch)schulische Einrichtungen sowie nachgeordnete Behörden sollten sich an gültige Grammatik- und Rechtschreiberegelungen halten.

An der Freien Waldorfschule in Emmendingen scheint die Diskussion die Gemüter kaum zu erhitzen. Friedemann Dreher besucht dort die 11. Klasse. Persönlich legt der 17-Jährige zwar keinen großen Wert darauf, dass Personen in seinem Umfeld gendergerechte Sprache nutzen. „Wenn ich aber merke, dass es meinem Gegenüber wichtig ist, dann gendere ich schon“, erklärt er. Ihm sei es wichtig, sprachlich Rücksicht auf andere zu nehmen. Das betreffe aber eher den privaten Freundeskreis, bei Mitschüler*innen und Lehrer*innen sei Gendern kaum Thema.

Porträt: Monika Stein

Begreift Sprache als Abbild gesellschaftlicher Entwicklungen: GEW-Landesvorsitzende Monika Stein

Der Landeschülerbeirat Baden-Würt­temberg sowie die Landesschüler*innenvertretung Rheinland-Pfalz haben vergangenes Jahr gefordert, dass Gendern in der Schule nicht als Fehler angestrichen werden dürfe. Dieser Punkt wurde auch in Emmendingen diskutiert. „Im Unterricht ging es um die Frage, ob wir in den Abschlussarbeiten gendern dürfen beziehungsweise sollen“, erklärt Dreher. Seine Lehrerin habe empfohlen, darauf zu verzichten. Wer sich dennoch für ein Sternchen oder andere Formen entscheide, müsse auf Einheitlichkeit achten – ansonsten werde es als Fehler gewertet.

Ella Ruf besucht das St.-Ursula-Gymnasium in Freiburg. Das Thema Gendern komme dort immer wieder auf, in ihrer Klasse gingen die Meinungen weit auseinander. Im Unterricht versuchten die meisten Schüler*innen und Lehrkräfte gendergerechte Sprache zu nutzen. „Konsequent schaffen das aber die wenigsten“, sagt Ruf. Schließlich müsse man das erst lernen. Einmal sei eine Schülerin mit einer Lehrerin über das Thema aneinander geraten: Die Pädagogin sei gegen das Gendern gewesen, die Schülerin meinte, es sei nicht so schwer, gendergerechte Sprache konsequent zu nutzen.

Der Gesamtelternbeirat Freiburg (GEB) betrachtet das Thema differenziert. Sebastian Kölsch vom GEB führt ein ähnliches Argument wie Kretschmann ins Feld: In den jüngsten Rankings zeigten Schüler*innen in Baden-Württemberg in den Klassen 5 bis 8 erhebliche Defizite in der Rechtschreibung. „Das Augenmerk der Schule sollte sich zunächst primär darauf richten, den Kindern den korrekten Umgang mit der deutschen Sprache zu vermitteln“, sagt Kölsch. Die Nutzung gendergerechter Sprache setze voraus, dass man die Standardsprache beherrsche. „Insofern könnte man darüber nachdenken, ob gendergerechte Sprache in die Bildungspläne gegen Ende der Schullaufbahn aufgenommen wird“, erklärt Kölsch.

Derweil rät die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) den 4500 Schulen des Landes zu Gelassenheit. „Unsere Schüler*innen sprechen im Jahr 2023 nicht mehr wie vor 100 Jahren“, sagt Landesvorsitzende Monika Stein. „Sprache verändert sich und ist immer auch ein Abbild gesellschaftlicher Entwicklungen gewesen.“ Wenn sich die Sprache wandle, müsse sich die Schule damit auseinandersetzen. Nach Einschätzung Steins seien Lehrkräfte Profis genug, um die richtigen Maßstäbe im Umgang mit gendergerechter Sprache zu setzen.

Insgesamt befürwortet die GEW laut Landesgeschäftsführer und Pressesprecher Matthias Schneider einen differenzierten Ansatz. Bei einem Diktat müsse das Gendern anders bewertet werden als bei einer Textaufgabe in Mathe oder in einem mehrseitigen Essay. Während in der Grundschule oder bei Deutsch als Zweitsprache das Lernen im Zentrum stehe, gehöre zu einem differenzierten Umgang mit dem Fach Deutsch an weiterführenden Schulen auch die gendergerechte Sprache.

Porträt: Bob Blume

Will Schüler*innen nicht mit seinen Überzeugungen überfahren: Lehrer Bob Blume

Ein prominenter Kritiker des deutschen Schulsystems ist Bob Blume. Der 40-jährige „Blogger des Jahres“ und Bestseller-Autor unterrichtet in Bühl bei Baden-Baden Englisch, Geschichte und Deutsch. Die Forschungslage zeige, dass Sprache Wirklichkeit erzeuge und es daher wichtig sei, sprachlich alle miteinzubeziehen. Dennoch gehe Blume mit dem Gendern an der Schule offen und locker um.

Einige seiner Schüler*innen nutzen das generische Maskulinum, andere nennen beide Geschlechter, wieder andere sprechen die Doppelform. Das ist ganz in Blumes Sinn. Neben dem Lernen gehe es in der Schule auch darum, eigene Haltungen auszuarbeiten. „Wer wäre ich, den Schülerinnen und Schülern meine Meinung aufzubürden?“, fragt er sich. Seine Aufgabe sei es, gesellschaftliche Entwicklungen darzustellen – ohne Schüler*innen mit seinen Überzeugungen zu überfahren.

Das Thema wird weiterhin Schlagzeilen generieren. In Hamburg sammelt aktuell eine Volksinitiative Unterschriften, um das Gendern in Verwaltung und Bildung zu verbieten. Zudem hat ein Vater beim Verwaltungsgericht Klage gegen das Land Berlin eingereicht. Seiner Meinung nach werde an der Schule, die sein Nachwuchs besucht, zu viel gegendert. Im Sportunterricht würden „Hampelmenschen“ gemacht statt „Hampelmänner“. Solche Nachrichten sorgen dafür, dass das Thema präsent bleibt. Ob es der gendergerechten Sprache zum Vor- oder Nachteil gereicht, bleibt offen.

Schüler Friedemann Dreher aus Emmendingen würde sich freuen, wenn das Gendern in einem schleichenden Prozess immer normaler wird. Ob das mit Kretschmann, FDP und Co. zu machen ist – das steht noch in den Sternen.

Illustration: © iStock.com/melitas
Fotos: © David Matthiessen, Thomas Clemens