Was bringt ein Verbot von Social Media? – Australien prescht vor. Und Deutschland? Featured | 26.03.2025 | Till Neumann & Ranya Jeddou

Finger aus Handy zeigen auf Mädchen

Gewalt, Drogen, Exzesse. TikTok und Co. liefern immer wieder fragwürdige Inhalte. Australien will daher Menschen unter 16 schützen. Es verbietet ihnen Social-Media-Kanäle. Ist das auch ein Modell für uns? Das f79 hat mit einem Experten gesprochen, eine eindeutige Umfrage studiert und eine Schülerin gefragt: Was hält sie davon?

„Auch eine Chance“

Medienwissenschaftler ist gegen ein Verbot

Harald Hillgärtner

Harald Hillgärtner

Sollte Social Media auch in Deutschland für Menschen unter 16 Jahren verboten werden? Eine Umfrage zeigt: Viele sind dafür. Doch ein Experte aus Freiburg sieht das anders. Er sagt: Das Problem würde nur nach hinten verschoben werden.

Australien prescht vor: Im November hat das Parlament beschlossen, Social Media für alle unter 16 Jahren zu verbieten. Die Insel ist damit weltweit Vorreiter. Begründet wird das Verbot mit Gefahren für Minderjährige. Australiens Kommunikationsministerin Michelle Rowland betont, dass fast zwei Drittel der 14- bis 17-Jährigen fragwürdige Inhalte konsumiert hätten. Dazu zählt sie Gewaltszenen, Drogenkonsum, Selbstverletzung bis hin zu Suizid. Rowland möchte die Plattformen Instagram, TikTok, Facebook, X und Snapchat daher einschränken.

Ist das auch für Deutschland ein Weg? Eine Umfrage des „Deutschen Schulportals“ zeigt, dass viele dafür sind. Mehr als 2000 User haben bei einer Digital-Umfrage mitgemacht. 87 Prozent beantworteten die Frage, ob sie ein Social-Media-Verbot für Kinder unter 16 Jahren befürworten, mit „Ja“. 11 Prozent der Nutzenden stimmten mit „Nein“.

Und was sagt die Wissenschaft? Der Medienkulturwissenschaftler Harald Hillgärtner (55) der Uni Freiburg hält dagegen: „Ein Verbot verschiebt die Fragestellungen nur hin in ein höheres Alter.“ Viel wichtiger fände er, dass Kindern und Jugendlichen schon früh gezeigt wird, was ein sinnvoller Umgang damit ist. Zudem könnten Kanäle konfiguriert werden: „Ich denke, man kann auch mit Einstellungen für Apps eine ganze Menge erreichen.“ YouTube Kids findet er eine schon ziemlich gut funktionierende Plattform, die entsprechende Inhalte filtert.

Wie groß das Unwissen ist, zeigt für ihn der Fall einer Frau, die online auf einen Betrüger hereingefallen ist, der sich für Brad Pitt ausgegeben hat und mit ihr eine Romanze eingegangen ist. Am Ende hat sie ihm blind Geld überwiesen. Eine Falle.

Hillgärtner sieht auch eine Chance in Social Media: „Die sozialen Netzwerke bieten immer auch die Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und dort etwas herauszufinden oder zu lernen.“ Beispielsweise über bestimmte Vorlieben oder bestimmte Interessen. Dinge, die sie in ihrem Umfeld nicht finden. Hillgärtner ist sicher: „Ich glaube, dass man über soziale Medien auch seinen Horizont erweitern kann.“

Beim richtigen Umgang mit Instagram und Co. seien auch die Eltern gefragt: „Man kann die nicht aus der Pflicht entlassen, dass sie mit ihren Kindern und Jugendlichen daran arbeiten.“ Er empfiehlt zu kommunizieren, dass bei kritischen Inhalten ein Austausch nötig ist. „Wenn du angegriffen oder gemobbt wirst, wenn du aufgefordert wirst, irgendwelche Nacktbilder oder Erspartes zu schicken, dann musst du mit mir Rücksprache halten.“

Ein Verbot ist für ihn falsch. So habe es schon im 18. Jahrhundert Debatten über den schädigenden Einfluss von Romanen gegeben. Dass sich in Umfragen viele für eine Altersgrenze ausgesprochen hätten, führt er auf die aktuelle Debatte zurück. Da werde relativ schnell vergessen, dass „die Nutzung der Kanäle auch Vorteile hat“.

Viel zu Bequem

Kommentar: Schülerin Ranya ist gegen ein Verbot

Ranya Jeddou

Ranya Jeddou

Besonders Eltern fällt es oft leicht, das aufgeladene Social-Media-Thema einseitig zu betrachten, wieso auch nicht? Durchaus verständlich, dass sie ihre Kinder vor den Gefahren im Netz schützen wollen. Doch ist das wirklich so einfach? Ist ein Verbot die Lösung hin zu jauchzenden Eltern, die endlich wieder die Gesichter ihrer geretteten Kinder zu sehen bekommen? Meine Antwort auf diese Frage: nein.

Natürlich gibt es viele Baustellen, die dringend auszuarbeiten sind. Trotzdem ist ein rechtlich geltendes Verbot für unter 16-Jährige der falsche Weg. Plattformen wie Instagram sind für viele oftmals der einzige Beweis dafür, dass sie nicht allein mit ihren Problemen sind und verstanden werden. Gerade jungen Menschen fällt es nicht immer leicht, sich sozial zu integrieren. Personen, die sich „anders“ oder „unnormal“ fühlen, reduzieren leicht ihre Wahrnehmung von der Gesellschaft und Welt auf ihr persönliches Umfeld. Darunter leidet das Selbstwertgefühl.

Social Media kann einen Ausweg bieten, indem ein Austausch ermöglicht sowie eine Aufklärungsfunktion gewährleistet wird. Die sozialen Netzwerke bieten ein riesiges Netz, das uns Einblicke in Bereiche gewährt, denen wir im Alltag nicht begegnen. In fremde Kulturen sowie potenzielle Berufe oder ungewöhnliche Hobbys. Dinge, die der Lehrplan auslässt.

Abgesehen davon finde ich den Ansatz, den dieses Gesetz verfolgt, völlig falsch. Die Plattformen kommen ihrer Verpflichtung nicht nach, einen gesicherten Raum für die Nutzer zu schaffen. Jene thematisierten „Gefahren im Netz“ werden nicht annähernd so konsequent angegangen wie sie sollten.

Rassismus, Hass, Belästigungen und unangemessene Inhalte, das sind die Problemstellen. Sie dürfen nicht künstlich umgangen oder aufgeschoben werden. Snapchat braucht keine „Snap-Map“, um sein Fortbestehen zu sichern. Und die Instagram-Kommentarfunktion wird teilweise ausschließlich für Beleidigungen genutzt. Das sind systematische Fehler. Unangebrachtes Verhalten der User muss strenger geprüft und härter bestraft werden.

Auch das Suchtverhalten und die extremen Bildschirmzeiten junger Menschen können reduziert werden, indem mehr in Aufklärung investiert wird. Ein „Social-Media Verbot“ verstehe ich eher als eine Art lasche Aufwandsalternative. Eine Maßnahme, die viel zu bequem ist!

Ich bin mir sicher, dass Social Media, richtig verwendet, eine Chance für viele junge Leute sein kann, Felder der Inspiration, neue Perspektiven und Aufklärung zu erfahren. In einem gesicherten Rahmen schafft es Berührungspunkte und kann als Vielfaltsbeweis dienen. Deutschland braucht kein einschränkendes Verbot, sondern Standhaftigkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber Lösungsansätzen.

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