Wenn die Star-Geigerin klingelt: Norbert Seifert ist in Südbaden der einzige Bogenbaumeister STADTGEPLAUDER | 06.12.2021 | Christian Engel

Norbert Seifert

Norbert Seifert ist einer von diesen Menschen, die nichts aus der Ruhe zu bringen scheint. Außer, wenn er einen 100.000 Euro teuren Geigenbogen in der Hand hält. Dann kommt auch er für einen Moment ins Schwitzen.

Vor wenigen Jahren war es: Eine russische Star-Violinistin rief bei ihm in der Freiburger Werkstatt in einem Hochhaus im Stühlinger an. Am Abend gab sie ein Konzert in Zürich, am Mittag bemerkte sie, dass ihr Bogen dringend einen neuen Schweif Rosshaar benötigte. Denn mit verfranstem Rosshaar winken die Saiten einer Geige nur müde ab: Mit so sprödem Zeug entlockst du uns keinen schönen Ton. Bogenbaumeister Norbert Seifert lud die Violinistin ein, spontan vorbeizukommen. Das Aufziehen von Rosshaar auf einem Geigenbogen ist für ihn schließlich Routine – wenn der Bogen, den er anderthalb Stunden später in seinen Händen hielt, nur nicht so furchtbar teuer wäre!

Geigenbögen kosten nicht immer ein Vermögen. Dennoch sind sie – abgesehen von arg billigen Produkten, die man schon im Discounter angeboten bekommt – sehr kostbar. Bis zu 40 Stunden steckt Bogenmacher Norbert Seifert in einen Neubau. Der 59-Jährige beginnt mit einem Stangenrohling aus Fernambukholz, dem einzig wahren Holz für Cello-, Geigen-, Bratschenbögen. Das Hartholz stammt aus Brasilien und ist aufgrund seiner Biegsamkeit über dem Feuer bestens geeignet – auch deshalb, weil es im Anschluss in der Form bleibt, in die der Bogenmacher sie gebracht hat.

Über drei, vier Wochen hobelt und schnitzt Norbert Seifert den Rohling in Form, hält ihn mit Unterbrechungen mindestens 30 Mal über die Flamme eines Spiritusbrenners, um ihn immer wieder ein Stückchen weiterzubiegen. Wenn er den Bogen überspannt – jeder weiß, was dann passiert.

An die fertige Stange montiert er im Anschluss die Spannmechanik, am unteren Ende des Bogens noch einen beweglichen „Frosch“, der die Rosshaare hält und je nach Position die Spannung erhöht oder lockert. Daumenleder um die Stange wickeln, Rosshaare aus der Mongolei aufziehen, am Ende den eigenen Namen einbrennen – fertig ist der Bogen.

Seit über 200 Jahren ist die Bauweise von Bögen gleich geblieben. Norbert Seifert hat die Fähigkeiten von seinem Großvater und Vater erworben. In Bubenreuth ist er aufgewachsen. Das Dörfchen bei Erlangen in Mittelfranken ist in Deutschland so etwas wie das Zentrum der Bogenmacher. Nach dem Zweiten Weltkrieg, berichtet Norbert Seifert, siedelten sich dort zahlreiche Instrumentenbauer an, eröffneten Werkstätten, exportierten ihre Produkte hinaus in die Region, in die anderen Bundesländer, hinaus in die Welt. Jeder zweite Haushalt der 5000-Einwohner-Gemeinde, erzählt er, sei damals im Instrumentenbau tätig gewesen.

Nur leider trat bei Seifert während der Ausbildung zum Bogenmacher eine Al­lergie auf, ausgerechnet gegen das Material, mit dem er tagtäglich arbeitete: gegen Fernambukholz. Wenn er in geschlossenen Werkstätten mit vielen Arbeitern und wenigen Absaugern war, bekam er kaum Luft. Den Beruf aufgeben wollte er deswegen aber nicht. Also entschied er sich für eine eigene Ein-Mann-Werkstatt, in der er das Holzstaubaufkommen gering halten und regulieren konnte. Da seine Frau aus Freiburg kam, fiel die Standortwahl vor 33 Jahren leicht.

Bogenbaumeister Norbert Seifert hat sich über die Jahre einen Namen gemacht. Profis wie Laien schauen bei ihm vorbei, wenn sie einen neuen Bogen möchten, wenn ihr alter neue Haare benötigt oder nach einem Sturz einen Bruch erlitten hat. Seine Kunden kommen aus der Region, aus der Schweiz, bisweilen sogar aus Japan. Und manchmal sind es auch Star-Violinistinnen aus Russland, die spontan in der Werkstatt vorbeigucken. Aber auch solche Notfälle meistert Bogenmacher Norbert Seifert mit Bravour.

Foto: © Norbert Seifert