»Wir wollen eine Lösung«: Besuch im Baumhaus-Protestcamp Dietibleibt STADTGEPLAUDER | 22.02.2022 | Till Neumann

Friederike und Franz im Baumhaus-Protestcamp Dietbleibt

Sie sind nicht gegen den neuen Stadtteil Dietenbach. Aber gegen die Abholzung von Tausenden Bäumen im Langmattenwäldchen. Im Mai haben sie dort das Protestcamp Dietibleibt mit Baumhäusern errichtet. Es hat mittlerweile rund 20 Schlafplätze auf bis zu 23 Meter Höhe. chilli-Redakteur Till Neumann hat dort die Besetzer getroffen – und ist selbst nach oben geklettert.

„Wir achten auf Sicherheit“

Am Rande des Rieselfelds geht es durch einen matschigen Waldweg ins Camp Dietibleibt. „Jeder Baum zählt“, steht auf einem Plakat. Es hängt an einer der Hütten, die die Aktivist·innen in die Bäume gebaut haben. Über eine Leiter geht es hoch ins „Wohnzimmer“. Dort sitzen auf alten Sofas Franz und Friederike. Die beiden sind Teil des Protestteams, ihre bürgerlichen Namen wollen sie nicht preisgeben.

Oben: Die Hängebrücke im Protestcamp Dietibleibt

Eine grüne Kiste mit Töpfen und Besteck steht neben ihnen. Dazu ein Gaskocher. Mit Seilen kann man zwei Etagen höher klettern. Doch viel Betrieb ist derzeit nicht. „Es ist nicht immer jemand hier“, sagt Franz. Das liege am Wetter, an anderen Protestaktionen und zwei im Sturm umgestürzten Bäumen. Er rät dazu, aktuell nicht hier zu übernachten. „Wir achten auf Sicherheit“, sagt der Mann in schwarzer North-Face-Jacke.

Franz sieht „eklatante Brüche“

Auch für die Bäume: „Wir wollen so lange bleiben, bis sichergestellt ist, dass der Wald bleibt“, betont Franz. Selbst wenn das noch drei Jahre dauere. Das Team ist überzeugt: Der Stadtteil kann realisiert werden, ohne zu roden. Wichtig sei das, da hier unter anderem 200 Jahre alte Eschen stehen, 27 Vogelarten brüten und mindestens zwölf Fledermausarten leben.

Von 3700 zu fällenden Bäumen spricht Dietibleibt in einem Instagram-Video. Das Rathaus will die Zahl nicht bestätigen und rechnet lieber in Hektar: Der Wald ist 13,4 Hektar groß, informiert die Pressestelle. Davon sollen 4,05 Hektar wegfallen. Gebraucht werden diese unter anderem für eine Straßenbahnanbindung, Fuß- und Radwege sowie Wohnungen, informiert Sprecherin Stefanie Werntgen. Sie betont, dass die wegfallende Fläche „1 zu 1 ersetzt wird – 0,5 Hektar allein im Baugebiet Dietenbach“.

Franz sieht „eklatante Brüche“ im Handeln von Verwaltung und Gemeinderat. Für ihn verstößt die Rodung gegen das Klima- und Artenschutzmanifest Freiburg. Zudem werde Soziales gegen den Umweltaspekt ausgespielt. „Uns wurde ein innovativer, nachhaltiger Stadtteil versprochen – es ist klar, dass die Versprechen nicht gehalten werden.“ Auch das vieldiskutierte Energiekonzept sieht er kritisch.

Franz beim abseilen von einem Baumhaus

Versiert: Franz seilt sich aus sechs Metern Höhe ab.

Für das chilli-Gespräch ist auch eine Vertreterin des BUND und Parents for Future gekommen. Genau wie ein Aktivist der Initiative „Dietenbach ist überall“. Der Presse zeigen sie Lagepläne und überreichen ein mehrseitiges Dokument, gespickt mit Zahlen und Einschätzungen. Darin heißt es etwa, dass eine alternative Straßenbahntrasse untersucht und möglich wäre. Gebäude und Sportflächen könnten anderswo realisiert werden.

Rathaus macht ihnen keine Hoffnung

Eingereichtet: die Kochnische im „Wohnzimmer“ des Protestcamps

Die Aussichten auf Erfolg scheinen gleich null. „Für eine anderweitige Planung fehlt jede Grundlage“, betont Werntgen. Der Gemeinderat habe sich 2018 für die geplante Entwicklung des Stadtteils entschieden. Der Bürgerentscheid habe dies bestätigt. Eine Änderung stelle demokratische Entscheidungen infrage und würde eine Verzögerung von mindestens zwei Jahren auslösen. Die laufenden Planungsarbeiten wären einzustellen, die Auftragnehmer·innen vertragsgemäß zu entschädigen. Problematisch seien dann auch die notariellen Verträge mit den mehr als 420 Grundstückseigentümerinnen, die bis Ende 2024 befristet sind.

Kämpfen möchten die Waldbesetzenden dennoch. „Wir wollen nicht geräumt werden, wir wollen eine Lösung“, sagt Franz. Der Zuspruch sei groß, auch bei den regelmäßigen Sonntagspaziergängen im Wald. Sogar aus dem Ausland kämen Unterstützer, um hier zu übernachten. Hoffnung macht ihnen ihr Timing: „Im Unterschied zu vielen anderen Besetzungen beginnen hier erst die Ausschreibungen.“ Anderswo werde besetzt, wenn die Räumung bereits beschlossen ist. „Noch kann die Politik ihr Gesicht wahren“, sagen die Besetzenden.

Zitat ist „Falschmeldung“

Pikant ist dabei der oft genannte Satz: „Für Dietenbach muss kein einziger Baum gefällt werden.“ Gesagt haben soll ihn Dietenbach-Projektleiter Rüdiger Engel. Er wurde damit am 22. Februar 2019 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung zitiert. Zwei Tage später war Bürgerentscheid. Das Rathaus betont: „Das ist eine Falschmeldung, Herr Engel hat den Satz nie gesagt.“ Der Autor des Artikels widerspricht auf chilli-Anfrage: „Ich schreibe nichts, was nicht gesagt wurde.“ Er wundert sich, warum das Rathaus sich in drei Jahren nicht bei ihm gemeldet hat.

Recherche am Seil: chilli-Redakteur Till Neumann klettert im Protestcamp nach oben.

Im Camp prasselt weiter Regen aufs improvisierte Dach. Vom Wohnzimmer sind die Schlafplätze in den umliegenden Baumhäusern nicht zu sehen. Also laden Franz und Friederike den Redakteur ein, den witterungssichersten Schlafplatz selbst zu erklettern. Auf sechs Meter Höhe geht es mit Gurt, Seil und viel Muskelkraft. Schlafsäcke liegen auf einer Matratze, Licht und Steckdosen zum Handyladen sind über Photovoltaik installiert. Am Fenster hängt ein Thermometer. Gut zu sehen ist von hier aus auch das höchste der Häuser auf 23 Metern.

Baubürgermeister schließt Räumung nicht aus

In der Ecke steht ein Feuerlöscher. „Ein Brand ist mit die größte Gefahr“, sagt Friederike. Sie wollen gewappnet sein. Im Hinterkopf ist auch die umstrittene Räumung des Hambibleibt-Camps 2018 im Hambacher Forst. Es wurde aus Brandschutzgründen geräumt – ein rechtswidriger Vorwand, urteilte das Kölner Verwaltungsgericht.

Falls auch hier die Polizei anrückt, will das Team mobilisieren. „Wir würden uns räumen lassen – friedlich“, sagt Franz. Baubürgermeister Martin Haag will das nicht ausschließen: „Erst einmal brauchen wir jetzt den Wald nicht. Wir setzen weiter auf Verständnis. Wenn wir aber keine andere Möglichkeit finden, müssen wir das in Erwägung ziehen.“

Fotos: © Till Neumann