Es geht auch anders: Restaurant „Hirschen“ in Sulzburg GASTRO & GUSTO | 04.04.2022 | Tanja Senn

Eingang zum Restaurant Hrischen

Es braucht einen Wandel in der Gastronomie, davon ist Douce Steiner überzeugt. In ihrem Zwei-Sterne-Restaurant „Hirschen“ in Sulzburg läuft daher einiges anders als in anderen Gourmettempeln: Hier gibt es familiäres Flair statt Stress und eine Chefin, die sich Zeit nimmt, mit den Gästen zu plaudern.

„Guten Tag, bin ich hier beim Douce-Steiner-Restaurant?“ Wenn im Hirschen in Sulzburg das Telefon klingelt, sind solche Sätze keine Seltenheit. Viele der Gäste wollen gezielt zur einzigen Zwei-Sterne-Köchin Deutschlands, die sich durch Presseberichte, Fernsehauftritte und fünf eigene Kochbücher einen Namen weit über die Region hinaus gemacht hat.

Dass die Menschen zu Douce Steiner statt in den Hirschen gehen, spiegelt aber auch die Philosophie des Hauses wider. Familiär soll es sein, herzlich, entspannt. „Die Gäste kommen zu uns nach Hause“, erzählt Steiner beim Gespräch in einem Aufenthaltsraum im ersten Stock des vierhundert Jahre alten Hauses. Sie meint das wörtlich: Der Blick fällt von hier auf einen Dachgarten, der eine Brücke zum Nachbarhaus bildet. Dort wohnt Steiner mit Mann und Tochter. Die Eltern der 50-Jährigen sind sogar noch näher am Geschehen, sie haben eine Wohnung direkt im Hotel.

Der Hirschen ist damit ein waschechter Familienbetrieb, denn die fünf Familienmitglieder wohnen nicht nur hier, sie arbeiten auch alle mit. Vor 42 Jahren von Hans-Paul und Claude Steiner eröffnet, haben Douce Steiner und ihr Mann Udo Weiler Hotel und Restaurant 2008 übernommen. Tochter Justine hat hier vergangenen Herbst ihre Kochausbildung beendet. Aktuell ist sie im spanischen San Sebastián, um Küchenluft bei der Sterneköchin Elena Arzak zu schnuppern.

Schwarz-Weiß Bild Douce Steiner

Arbeitet mit der ganzen Familie zusammen: Deutschlands einzige Zwei-Sterne-Köchin Douce Steiner.

Familiäre Atmosphäre im Sternerestaurant – was ungewohnt klingt, ist für Familie Steiner das A und O ihrer täglichen Arbeit. Douce Steiner verbringt ihre Abende nicht nur in der Küche, sondern ist ebenso oft im Restaurant zu sehen, wo sie Bestellungen aufnimmt, mit den Gästen plaudert und auch mal einen Wein empfiehlt. Seit etwa zwei Jahren beobachtet sie, dass am Wochenende immer mehr junge Gäste kommen, die auch gerne mal ihre Kinder mitbringen. „Das finde ich richtig schön“, freut sie sich. „Wir hören immer wieder, dass sich die Kinder von ihren Eltern wünschen, wieder zu uns zu kommen.“ Die kleinen Besucher haben dann die Wahl, ob sie lieber beim Menü mitessen oder sich ein Schnitzelchen braten lassen – und für die Dessertauswahl nimmt die Sterneköchin die Kleinen auch mal kurzerhand mit in die Küche.

Auch hier geht es erstaunlich entspannt zu. Ein cholerischer Küchenchef, gestresste Mitarbeiter – das gibt es laut Steiner im Hirschen nicht. „Ich arbeite nicht mit Druck“, sagt sie, „und ich will keinen Stress in der Küche.“ Für sie ist das nicht nur Einstellungssache, sondern auch eine Notwendigkeit: „Wenn wir in der Gastronomie weiter so arbeiten, wie noch meine Eltern oder auch ich früher, dann stirbt die Branche aus, denn die Jungen machen das nicht mehr mit.“ Sie selbst würde daher gerne eine Vorreiterrolle einnehmen: „Es wird Zeit, dass man unseren tollen, vielseitigen Beruf auch mal von der Sonnenseite präsentiert.“

Dazu gehören für Steiner auch angenehme Arbeitszeiten: Drei Tage die Woche hat ihr Restaurant zu, den Mittagstisch hat sie zwischen den Lockdowns komplett abgeschafft. „Ohne Corona hätte ich mich das nicht getraut“, gibt sie zu. Zu groß war die Angst vor der Ablehnung der Gäste. „Dann heißt es: Die haben es jetzt nicht mehr nötig zu arbeiten.“ Doch das Gegenteil war der Fall – die Gäste hatten kein Problem damit, und die Köche haben mehr Zeit, die Qualität auf dem hohen Niveau zu halten.

Esstisch im Restaurant Hirschen

Kunst, Antiquitäten, edles Geschirr: Steiner legt viel Wert auf ansprechende Gaststuben.

Dieses Niveau sei vor allem ihr eigener Anspruch und kein „Sterne-Druck“, betont Steiner. Dabei weiß sie, wie es sich anfühlt, die begehrte Auszeichnung zu verlieren: Als sie und ihr Mann das Restaurant frisch übernommen hatten, wurde direkt einer der beiden Sterne aberkannt. „Das war damals ein harter Schlag“, erinnert sich die Küchenchefin. „Im Nachhinein war es aber gut so, weil es uns die Möglichkeit gegeben hat, unseren eigenen Stil zu entwickeln.“ Denn obwohl der eher klassisch-französisch zu verorten ist, vertritt Steiner eine viel leichtere Küche als in der Haute Cuisine üblich. Statt Butter und Sahne setzt sie auf Fonds, Bouillons und frische Kräuter.

Das kam bei den Michelin-Testern an, sodass seit 2012 wieder zwei Sterne an der Tür prangen. Auch 2022 darf sich das Hirschen-Team wieder zu den aktuell 46 Zwei-Sterne-Lokalen zählen, wie Anfang März bekannt wurde. Die Auszeichnung bringt einige Vorteile mit sich: gute Mitarbeiter und zahlungskräftige Gäste, die aus ganz Deutschland und dem nahen Ausland extra ins kleine Sulzburg kommen.

Selbst gesammelte Wildkräuter

Den Standort in „der Pampa“ empfindet Steiner nicht als Nachteil. Auch das ein Verdienst des Michelin, der ihre Küche durch die Zweifach-Sterne als „einen Umweg wert“ einstuft. Steiner selbst liebt das Leben auf dem Land, ist viel in der Natur unterwegs, macht täglich Sport. Viel von dem, was sie unterwegs in Wald und Wiesen findet, wandert in ihre Kochtöpfe: Fichtensprossen, Bärlauchknospen, Holunderblüten, Waldmeister und viele weitere Wildkräuter.

Schrimpsgericht aus dem Restaurant Hirschen

Zum Einkaufen fährt sie ein- bis zweimal die Woche ins Elsass, nur die Grundlebensmittel stammen aus der nahen Umgebung. „In Frankreich habe ich mehr Auswahl und eine bessere Qualität“, sagt Steiner. Den Trend vieler Küchen, nur noch regional und saisonal zu kochen, lehnt sie ab: „Das finde ich absurd. Als Koch gibt es doch nichts Schöneres, als eine große Auswahl zu haben. Wer will denn schon den ganzen Winter lang nur Kohl kochen?“

Etwas zu tun, nur weil es „in“ ist – für Steiner kommt das nicht in Frage. Sie kann sich diese Freiheit erlauben. Denn während viele andere Gourmettempel nur überleben können, weil ein Investor hinter ihnen steht oder sie durch ein angeschlossenes Hotel querfinanziert werden, schreibt der Hirschen schwarze Zahlen. „Ich bin schon stolz darauf, dass wir einer der wenigen Betriebe in dieser Klasse sind, der auf eigenen Füßen steht“, so Steiner. Von ihrem Vater hat sie gelernt, stets Rücklagen zu bilden – ein Kissen, das ihr geholfen hat, die Lockdowns zu überstehen, während die staatlichen Hilfen noch auf sich warten ließen.

Die solide Basis gibt ihr auch die Freiheit, offen in die Zukunft zu gehen. „Wer weiß, ob ich das in 20 Jahren immer noch mache?“, fragt sie mit einem nonchalanten Schulterzucken. „Vielleicht mache ich auch eine Kochschule auf oder ein Bed & Breakfast. Wir haben hier alle Freiheiten und genau die erlauben es uns, hier so gute Arbeit zu leisten.“

Gegrillte Sommergemüse

Rezept des Monats vom Restaurant Hirschen

Gegrillte Sommergemüse

Brennnesselpüree:

200 g Brennnesseln
100 g Spinat
30 g Butter
Knoblauchzehe, Keim entfernt
Salz, Pfeffer, Muskat

Frühlingsgemüse:

4 Minikarotten
1 Butterrübe
1 Rettich
4 Perlzwiebeln
etwas Olivenöl, etwas Butter
1/8 l Gemüsebrühe
Salz, Pfeffer, 1 Prise Zucker
4 grüne Spargelstangen
4 kleine Rote Beten
4 Eiszapfen

Pochierte Wachteleier:

8 Wachteleier
200 ml Weißweinessig
Salz

Die Brennnesseln und den Spinat waschen und putzen. In kochendem Salzwasser blanchieren, bis die Gemüse weich sind. Dann das Wasser abschütten, in Eiswasser abschrecken und gut ausdrücken. Die Butter so lange in einem Topf köcheln, bis sie braun ist und fein nach Haselnuss duftet. Die Brennnesseln mit dem Spinat, der braunen Butter, dem Knoblauch und den Gewürzen im Mixer fein pürieren.

Die Karotten, die Butterrübe, den Rettich und die Perlzwiebeln waschen, schälen und in Form bringen. Danach im Olivenöl und der Butter anschwitzen, in der Gemüsebrühe dünsten und mit Salz, Pfeffer und Zucker würzen. Den grünen Spargel im unteren Drittel schälen, in Salzwasser mit etwas Zucker und Butter blanchieren und in Eiswasser abschrecken. Die Roten Beten in Salzwasser kochen, bis sie gar sind, danach schälen. Die Eiszapfen waschen, schälen und in Form bringen. Salzwasser zum Kochen bringen und die Eiszapfen darin blanchieren, mit Eiswasser abschrecken.

Die Wachteleier im Essig einlegen. Nach 10 Minuten die Eier mit der Schaumkelle in köchelndes Salzwasser geben und etwa 1 Minute ziehen lassen. Danach in Eiswasser abschrecken.

INFO:
Hotel Restaurant Hirschen
Hauptstraße 69
79295 Sulzburg
Tel.: 0 76 34/82 08
www.douce-steiner.de

Öffnungszeiten:
Mi.– Sa. ab 18 Uhr

Fotos: © Michael Wissing BFF, AT Verlag / www.at-verlag.ch