„Ich bin nicht Freiburger – ich bin Freiburgerin“: Warum f79-Autorin Johanna Reich gendern wichtig findet Gesellschaft | 08.06.2021 | Johanna Reich

Johanna Reich Ist für gendergerechte Sprache: Johanna Reich

Manche finden es unnötig, umständlich oder gar schwachsinnig. Andere bestehen darauf, dass eine Veränderung der Sprache essentiell für die Gleichberechtigung aller Geschlechter ist. So sieht das auch f79-Autorin Johanna Reich (23). Die Studentin findet: Gendern ist auch eine Frage des Respekts.

Verwirrung um den Chirurgen

Zunächst möchte ich eine kleine Geschichte aus der psychologischen Forschung erzählen: Ein Vater fährt mit seinem Sohn in einem Auto nach Hause. Kurz bevor sie ankommen, haben sie einen schweren Autounfall. Der Vater überlebt diesen nicht und stirbt noch an der Unfallstelle – der Sohn ist schwer verletzt und wird direkt in das nächste Krankenhaus gebracht. Dort arbeitet ein Chefchirurg, der Spezialist für Kopfverletzungen ist. Schnell wird alles vorbereitet für die OP  – nur der Chefchirurg fehlt noch. Als dieser endlich reinkommt, wird er plötzlich ganz blass und sagt: „Das ist mein Sohn.“

Nun – etwas verwirrt? Na, bei dem Chirurgen handelt es sich um die Mutter des Kindes. In der deutschen Sprache gilt, dass die männliche Form, die wir generisches Maskulinum nennen, sowohl Frauen wie auch Männer mit einbezieht. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr Sprache unser Denken beeinflusst und wir bei dem Wort „Chefchirurg“ einen Mann vor unserem geistigen Auge haben.

Eine Frage des Respekts

Wir lassen uns also unterbewusst von der Sprache beeinflussen, ob wir wollen oder nicht. Logischerweise grenzt das auch unser Denken ein – wir sehen die Möglichkeit, dass der Chefchirurg die Mutter ist, erst gar nicht. Sprache ist mächtig – sie bringt uns dazu, in Kategorien einzuteilen. In Stereotypen zu denken. Sie beeinflusst unbewusst deine Entscheidungen.

Mir selbst wurde klar, wie falsch sich das generische Maskulinum anhört, als mir vor Kurzem gesagt wurde: „Du bist doch Freiburger.“ Nein, ich bin Freiburgerin. Ich bin Studentin. Und später vielleicht einmal Autorin, Trainerin, Managerin … was auch immer. Für mich hat es auch mit dem Gefühl zu tun, als Frau respektiert zu werden. Das generische Maskulinum führt dazu, dass ich mich nicht ernst genommen und nicht mit einbezogen fühle.

„Wir müssen verstehen, wie wir denken“

Schon in den 90er-Jahren wurde in diversen Studien gezeigt, wie wir gedanklich bei der männlichen Form Frauen ausschließen. Doch nicht nur Frauen – auch Personen, die sich nicht einem der beiden biologischen Geschlechter zuordnen, werden kategorisch ausgeschlossen. Sind unsichtbar. Um zu verstehen, wie sehr die Sprache unser Denken beeinflusst, müssen wir erst mal verstehen, WIE wir denken.

Unsere Welt ist hochkomplex. Zum Glück haben wir hierfür unser Gehirn, das von klein auf viele Schemata und Konstrukte bildet. Ein perfektes Beispiel ist die Erdbeere: „Eine Erdbeere zähle ich zu Obst – sie ist klein und rot – wenn ich reinbeiße, schmeckt es süß.“ Das ist ein Konstrukt, das wir als Kind lernen. Genauso machen wir das auch mit Berufen: „Ein Arzt ist ein erwachsener Mann mit einem weißen Kittel – zu ihm gehe ich, wenn ich krank bin.“ So kommt es jedoch, dass ich durch das Bild eines Mannes diesen Beruf als junges Mädchen erst einmal ausschließ

Wieso sollte ich mich als junges Mädchen auch mit dem Bild eines erwachsenen Mannes identifizieren, der den Beruf des Arztes ausübt? Ich höre als Kind, wie meine Eltern, Erzieher·innen, Lehrer·innen und Freund·innen über den Arzt, den Elektriker den Ingenieur reden. Als Mädchen müsste ich da jedes Mal den Gedankensprung schaffen: Ja, die reden zwar von einer männlichen Person, aber da bin ich mitgemeint. Nur funktioniert so unser Gehirn in jungen Jahren nicht. Diese Denkleistung bringen wir nicht auf.

Sprache schafft Rollenbilder

Wie auch eine Studie 2015 zeigte, identifizieren sich junge Frauen nicht mit Berufen, die in der männlichen Form dargestellt werden. Wenn jedoch ein Beruf sowohl in der weiblichen als auch in der männlichen Form dargestellt wird (Ingenieur und Ingenieurinnen) –, denkt das Mädchen plötzlich daran, dass es diesen Beruf ja später mal wählen könnte. Genauso ist es auch umgekehrt: Jungen trauen sich den Beruf des Kosmetikers dann zu, wenn er auch in der männlichen Form genannt wird.

Diese Studie zeigt, wie viele weitere, dass die Sprache uns dazu bringt, in Rollenbildern zu denken. Sie grenzt die Möglichkeiten ein, die wir als Gesellschaft haben. Ich weiß nicht, inwieweit unsere maskuline Sprache bisher mein Leben beeinflusst hat – jedoch liegt es an UNS, für die folgenden Generationen dieses Kastendenken auszuhebeln.  

Der erste Schritt: Erkenntnis

Veränderungen sind immer schwer. Jedoch hilft es, in sich zu hören und darüber nachzudenken, wie sehr ich mich mein Leben lang schon unterbewusst von einer einseitigen, ungerechten und ausgrenzenden Sprache beeinflussen lasse. Es geht darum, offener zu werden und diese Veränderung für die nächsten Generationen voranzutreiben.

Außerdem: So schwer ist es gar nicht. Es gibt viele Möglichkeiten, gendergerechte Sprache in den Alltag zu integrieren. Der erste Schritt ist jedoch: Die Wichtigkeit der gendergerechten Sprache zu sehen!

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