Interview mit Prof. Jutta Allmendinger zu ihrem neuen Buch für mehr Geschlechtergerechtigkeit Gesellschaft | 16.04.2021 | Jens Taschenberger

Frauen Power

Die Sozialwissenschaftlerin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) Jutta Allmendinger forscht zu Arbeitswelten, Bildung und sozialer Ungleichheit in unserem Land. Ihre Arbeiten finden Beachtung in Wirtschaft und Politik. Als die Coronavirus-Pandemie die Lebenssituation unzähliger Frauen zwischen Homeoffice und Herd, häuslicher Gewalt und physischer wie psychischer Überlastung im ohnehin männlich dominierten Gesellschaftsbild Deutschlands verschärfte, platzte ihr der Kragen. Zum Glück. Sie unterstützte maßgeblich die Kampagne #ichwill, die die Frauenquote auf die Tagesordnung der Bundespolitik und schließlich ins Ziel brachte.

Zum Jahresbeginn erschien nun ihr Buch „Es geht nur gemeinsam“. Es offenbart anhand unzähliger Fakten ein verlorenes Jahrzehnt für die Gleichstellung von Frauen in Deutschland. Es zeigt aber auch Lösungen und Wege auf – in eine diverse Gesellschaft mit starken Frauen und Männern als wahre Lebenspartner. Eine Lektüre für Mütter und Väter, die Augenhöhe zulassen und allen Kindern künftig gleiche Chancen und Perspektiven ermöglichen wollen. Gründe genug, das Thema im Wahljahr auf die Agenda aller Familien zu setzen.

findefuchs: Wie sehr haben Sie sich über den Beschluss zur Frauenquote in DAX-Unternehmen gefreut, der kurz vor Erscheinen Ihres Buches einen zentralen Inhalt zeitlich quasi überholt hat?
Prof. Jutta Allmendinger: Ich habe mich riesig gefreut. Wir Frauen haben uns im vergangenen Herbst über verschiedenste Bereiche hinweg solidarisiert. Wir hatten den Mut, unsere Forderungen in einer viel beachteten Bundespressekonferenz klar und deutlich zu benennen. Und wir haben es wider Erwarten geschafft, dass die Koalition nun einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht hat

findefuchs: Ihr Buch widmen Sie zwischen den Zeilen Ihrer ungeborenen Enkeltochter Marie, wie wichtig ist Ihnen die private Dimension?
Prof. Jutta Allmendinger: Damit verbinde ich die Hoffnung auf eine künftig größere Gleichstellung zwischen den Geschlechtern. Die persönliche Perspektive auf das Thema, auch in den weiteren biografischen Bezügen, war mir wichtig. Ich wollte zeigen dass für eine Frau bislang extrem viel Glück zum Weg an die Spitze gehörte. Denn oft werde ich als Beispiel herangezogen, dass sich Leistung und Anstrengung auch für Frauen lohnt. Damit finde ich mein Leben aber falsch beschrieben. Ich hatte insbesondere das Glück, in eine Familie geboren worden zu sein, die mir sehr viel ermög­licht und sehr viel Selbstvertrauen mit auf den Weg gegeben hat. Daher habe ich mich das erste Mal entschlossen, ein sehr persönliches Buch zu schreiben – und diese persönlichen Erfahrungen mit den Erkenntnissen aus ­meiner Forschung und Statistiken zu verbinden.

findefuchs: Vor dem Hintergrund der CoronaKrise setzen Sie den viel umjubelten Siegeszug des Homeoffice mit einer Niederlage der Gleichstellung und einem Rückfall der Frauen um Jahrzehnte gleich, warum?
Prof. Jutta Allmendinger: Ich stimme dem Jubel über das Homeoffice aus einem einfachen Grund überhaupt nicht zu: Es ist ein Rückzug ins Private. Das ist einer Gesellschaft nicht angemessen, die mit Fremden umzugehen verstehen muss und darauf angewiesen ist, einen öffentlichen Raum zu haben. Frauen haben Jahrhunderte gebraucht, um den öffentlichen Raum auch in Deutschland zugesprochen zu bekommen. Damit meine ich die Erwerbsarbeit außerhalb des Hauses, das Miteinander mit anderen, ein Stück eigenes Leben. Der mit dem Homeoffice verbundene Rückzug ins Haus stärkt das alte Muster, dass es vor allem die Frauen sind, die zu Hause für ihre Kinder und ihre Familie sorgen. Das Homeoffice vergrößert die bestehenden Lücken zwischen Frauen und Männern – die Lücke im Stundenlohn, die Lücke im Monatseinkommen, im Renteneinkommen, die Lücke in der unbezahlten Arbeit oder in Führungspositionen. Insofern verbinde ich mit dem Homeoffice deutliche Rückschritte für die Frauengleichstellung in Deutschland.

findefuchs: Sie haben im vergangenen Herbst von männlichen Journalisten für Ihre These der Retraditionalisierung der Frauen in der Corona-Krise viel Gegenwind bekommen …
Prof. Jutta Allmendinger: Der Gegenwind hat mich gefreut. Dabei sind Artikel nach dem Motto „Von wegen Rabenväter!“ entstanden und es wurde damit argumentiert, dass Männer doch auch mit ihren Kindern auf den Spielplätzen sind oder für die Familie einkaufen gehen. Sie haben damit unbewusst gesagt, dass eine gleichere Verteilung der unbezahlten Arbeit auch für Männer erstrebenswert ist. Insofern fand ich den Gegenwind sogar hilfreich und einen ersten Schritt zur Veränderung.

findefuchs: Halten Sie die These heute für evident?
Prof. Jutta Allmendinger: Meine These lautet, dass sich bei Frauen in der Krise alte Rollenbilder verstärkt haben. Schul- und Kitaschließungen führten zum Entzug der öffentlichen Hilfe, die Grundlage für eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist. Wir haben lange Kämpfe geführt, Kindertagesstätten für unter Dreijährige durchzusetzen. Wir kämpfen nach wie vor für Vollzeitschulen. All das wurde über Nacht zurückgedreht und ist nun wieder in weite Ferne gerückt. Ich teile auch keineswegs diesen Optimismus, dass die Corona-Krise zu einer besseren Verteilung der unbezahlten Arbeit führen wird. Es wurde oft argumentiert, dass Männer in der Krise etwa bei der Betreuung der Kinder oder anderer unbezahlter Arbeit im Haushalt zugelegt hätten. Das hinterfrage ich statistisch und komme zu anderen Erkenntnissen. Man spricht dabei von Grenzlasten, der Tag hat nur 24 Stunden. Frauen waren kaum in der Lage, dem, was sie schon zuvor an unbezahlter Arbeit leisten mussten, noch viel hinzuzulegen. Zudem habe ich hinterfragt, ob man die Verantwortung für die Pflege von Kindern oder Älteren überhaupt in Stunden und Minuten aufrechnen kann. Es geht um all die unsichtbar mitgedachten Aufgaben im Alltag, ein „für alles verantwortlich sein“. Diese Verantwortung kann zu extremen Belastungen führen, die sich in Stress, Schlaflosigkeit und nächtlichem Aufbleiben bis hin zu Burnout-ähnlichen Symptomen äußern. Wir sehen in Studien, dass Männer wesentlich weniger Stressphasen durch den Lockdown erlitten als Frauen. Es sind also viele Gründe, die für eine Retraditionalisierung sprechen.

findefuchs: Sie erteilen in Ihrem Buch dem in Deutschlands Politik verankerten Paradigma der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine klare Absage, warum?
Prof. Jutta Allmendinger: Es geht um die Perspektive. Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss für Frauen und Männer gelten. Die Männer müssen mitgedacht werden, wir brauchen eine größere Verteilung der unbezahlten Arbeit zwischen Männern und Frauen. Solange das Paradigma der Vereinbarkeit allein bei den Frauen liegt, wird auch das Homeoffice als vermeintliche Lösung nur zu einer einseitigen Mehrbelastung für Frauen führen.

findefuchs: Nun steht das „gemeinsam“ im Titel Ihres Buchs klar für mehr Bewegung bei Männern. Warum kein provokantes: „Männer, bewegt euch endlich!“?
Prof. Jutta Allmendinger: Nachdem sich Frauen an männliche Lebensverläufe mehr und mehr herangerobbt haben, müssen wir nun eine grundsätzliche Frage stellen. Wie kann man sich ein Leben vorstellen, das bezahlte und unbezahlte Arbeit gleichmäßig auf Männer und Frauen verteilt und gleichzeitig Engagement und Raum für per­sönliche Weiterentwicklung und Zeit miteinander lässt? Hier komme ich zu dem Ergebnis, dass eine Vollzeit für alle nicht das Ziel sein kann. Erstrebenswert ist eine 32-Stunden-Woche für Männer und Frauen, sodass Männer mit ihrer Arbeitszeit etwas herunter und Frauen etwas nach oben gehen. Es geht um Gemeinsamkeit, ein neues, ausgeglichenes Arbeitszeitmodell. Dieses würde endlich ihrem Wunsch nach Erwerbstätigkeit entsprechen.

findefuchs: Müssten mit diesen Argumenten nicht stärker Männer erreicht werden? Die Kampagne #ichwill blieb sehr stark in der weiblichen Prominenz und Social Media-Community verankert?
Prof. Jutta Allmendinger: Diese Kampagne war auch sehr pragmatisch und allein auf die Frauenquote in den Vorständen von DAX-notierten Unternehmen ausgerichtet. Es ging darum, einen wesentlichen, nicht abgearbeiteten Punkt aus dem Koalitionsvertrag einzufordern. Frauen in Führungspositionen sind ein Signal, ein Vorbild für junge Frauen und sie können in Unternehmen durch Besetzung nachfolgender Führungsebenen Einfluss auf eine neue Unternehmenskultur nehmen. Jetzt kommt es natürlich darauf an, die nächsten Ziele zu definieren. Das Ehegattensplitting ist ein möglicher Punkt. Wir sollten dabei nicht einfach gegen etwas sein, sondern ein sinnvolles Familiensplitting erarbeiten und dafür werben, es umzusetzen. Ohne ein Mitmachen der Männer wird das nicht funktionieren. Die Frauenquote wäre nicht durchgegangen, wenn sich Männer wie Robert Habeck, Olaf Scholz und Markus Söder nicht auch dafür eingesetzt hätten. Insofern haben Männer dabei bereits wichtige Rollen eingenommen.

findefuchs: Sie zeigen im Buch, dass sich in Sachen Gleichstellung auch vor der Corona-Krise jahrelang kaum etwas bewegt hat, kann man den aktuellen Schwung nun aufnehmen, um Geschlechtergerechtigkeit 2021 zu forcieren?
Prof. Jutta Allmendinger: Unsere Kampagne hat bewiesen, dass es geht. Wir haben unser Anliegen im Oktober öffentlich gemacht und bereits im Dezember einigte sich der Koalitionsausschuss auf die Frauenquote. Es ist ein kleiner Schritt. Die bessere Bezahlung systemrelevanter Tätigkeiten, die vorwiegend Frauen leisten, wird nun enorm wichtig. Männer müssen mehr Zeit für Hausarbeit und Kinder­betreuung aufwenden, Arbeitszeiten müssen sich angleichen.

findefuchs: Sie haben 2012 auch ein Buch zum deutschen Bildungssystem verfasst, in dem Sie die Abschaffung des Bildungsföderalismus forderten. Haben Sie das Thema zugunsten der Gleichstellung aufgegeben?
Prof. Jutta Allmendinger: Das Thema habe ich nicht aufgegeben. Ich arbeite aktuell gerade an einem Gutachten zum Bildungsföderalismus und der Mitfinanzierung von Länderangelegenheiten durch den Bund. Es geht um eine Aufweichung des Kooperationsgebots – auch mit Blick auf die schlechten Erfahrungen beim Digitalpakt mit all seiner Bürokratie und dem mangelnden Mittelabruf durch die Länder.

findefuchs: Wir haben ein Bundestagswahljahr und die Gesellschaft bringt meist nur Aufmerksamkeit für ein großes Thema auf. Was müsste sich tun, dass es sich diesmal um die Parität handelt?
Prof. Jutta Allmendinger: Jetzt geht es darum, bestimmte Themen in den nächsten Koalitionsvertrag zu bekommen. Das betrifft beispielsweise das Familiensplitting und eine Verlängerung der Elternzeit für Väter von zwei auf vier Monate. Dazu gehört aber auch das Bildungsthema, das mindestens genauso wichtig ist. Hier geht es um die soziale Kluft, die sich bei den Kindern durch die Monate der Nichtbeschulung in der Corona-Pandemie immens vergrößert hat.

findefuchs: Sie sind bekennendes SPD-Mitglied – wie stark hadern sie mit dem Versagen des politischen Establishments bei zentralen Themen und warum gibt es nicht längst eine Frauenpartei?
Prof. Jutta Allmendinger: Früher haben die jungen Frauen gedacht, Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt käme von alleine; von der Quote wollten sie nichts wissen. Das hat sich interessanterweise im vergangenen Jahr gedreht. Wir haben eine neue, junge Frauengeneration, die bei unserer Kampagne #ichwill maßgeblich und auf Augenhöhe mitgearbeitet hat. Sie wollen nicht länger warten. Für eine Bewegung oder eine Frauenpartei braucht es vor allem junge Frauen, aber auch dieses Miteinander über Generationen. Das ist eine Zeitenwende. Heute könnte eine Frauenpartei tatsächlich viel mehr Erfolg haben als vor 20 oder 40 Jahren.

findefuchs: Das Buch endet mit dem Satz „Wir werden siegen“. Warum siegt am Ende die Zuversicht?
Prof. Jutta Allmendinger: Anfangs schloss das Buch mit „Wir müssen arbeiten“, später wurde daraus ein vorsichtiges „Wir werden sehen“. Und dann kamen die Kampagne, das Miteinander und die Frauenquote. Diesen letzten Satz habe ich ganz am Schluss noch einbauen können, als nach unserem Engagement zur Frauenquote viele Zeichen auf Grün standen. Ich habe gesehen, dass Frauen unterschiedlichster Couleur und Generationen ein Ziel einen kann: Schauspielerin, Fußball-Nationalspielerin, Schriftstellerin, Managerin oder Bloggerin. Vor allem hat mich aber die Zusammenarbeit mit den jungen Frauen begeistert, von denen viele uns „betagte Quotenfrauen“ zuvor kaum kannten. Das waren bislang getrennte Welten, doch wir haben über Themen jetzt zusammengefunden. Wenn das kein Grund zur Zuversicht ist, was dann?

Jutta Allmendinger

Zur Person

Jutta Allmendinger, Jahrgang 1956, war von 2003 bis 2007 Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, seit 2007 ist sie Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie seit 2012 Honorarprofessorin für Soziologie an der Freien Universität Berlin.

Info
In dieser Streitschrift zeigt Jutta Allmendinger fundiert und faktenbasiert, was sich endlich ändern muss, damit wir echte Gleichberechtigung herstellen. Ihr Buch ist ein Fahrplan in die Zukunft, in der Geschlechtergerechtigkeit keine Forderung mehr ist, sondern ein Fakt. Drei Stunden Lesezeit für 107 Seiten, die alle Mütter und Väter in diesem Wahljahr investieren sollten. Für starke Frauen und Männer – für die Zukunft unserer Kinder.

Jutta Allmendinger Es geht nur gemeinsam

Jutta Allmendinger
Es geht nur gemeinsam

107 Seiten, 12 Euro
Verlag: Ullstein

 

 

 

Illustration: @ iStock.com/Angelika Bambina
Foto: © iWZB_David Ausserhofer