Weil Bordelle dicht sind, hat sich die Prostitution ins Private und die Illegalität verlagert Gesellschaft | 16.04.2021 | Liliane Herzberg

Villa Deluxe Rotlicht

Seit fast einem Jahr sind die Türen von Bordellen geschlossen. „Solo-Selbstständige-Prostitution“ – ohne Zuhälter oder Bordellbetreiber – hingegen bleibt erlaubt. Für viele Sexarbeitende bedeutet das: Arbeiten in der Schutzlosigkeit etwa fremder (Ferien-)Wohnungen, ohne Hygienemaßnahmen oder Kontrolle.

„Was willst du, du kleines Stück Sklavendreck?“ – pampt Domina Sofia Müller (Name von der Redaktion geändert) ihren Kunden am Telefon an, als er sie um einen Termin bittet. Seit über 20 Jahren ist Müller in der Branche tätig, „ich mache das aus Leidenschaft, mich macht es an, zu führen, zu quälen und die Sklaven zu formen, wie ich sie haben möchte“.

Sie arbeitet – auch vor der Pandemie – im Privaten. Die Domina besucht ihre Kunden zu Hause, hat aber auch ein Zimmer ihrer Wohnung bereitsgestellt, um sie zu empfangen. Die „Sklaven“ werden durch ein Vorgespräch am Telefon selektiert, „ich hatte noch keine schlechten Erfahrungen“. 150 Euro kostet die Stunde mit ihr, Toilettenspiele berechnet sie extra, ihre Leidenschaft gilt dem Sadismus in jeder Form. Grenzen gibt es nahezu keine, außer ein Wunsch würde bleibende Schäden am Körper hinterlassen. Wer die Domina heute besucht, muss aber wissen: Auch bei ihr herrscht Maskenpflicht. Außerdem müssen die Kunden ihre Adressen hinterlegen. Dadurch würden viele abspringen, auch Stammkunden.

High Heels

Keine Gnade: Sofia Müller dominiert ihre „Sklaven“ auch während der Pandemie.

Müller ist angemeldet, wie es das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 vorgibt. Dazu muss sie zu einer jährlichen gesundheitlichen Beratung gehen, sich für jeweils zwei Jahre bei der Stadt Freiburg anmelden, erhält einen Ausweis und kann damit legal arbeiten. Als Steuerzahlerin hat sie Anspruch auf Corona-Hilfen der Bundesregierung – die sie auch bezogen hat. „Das war aber Glück bei mir, nur durch eine Bekanntschaft konnte ich alles beantragen“, so die Domina.

Und das sei der springende Punkt, warum viele aktuell illegal arbeiten würden, obwohl eine Pandemie herrscht und ihnen theoretisch Hilfe zustünde: Der Antrag wird in der Regel bei einem Steuerberater gestellt, diesen hat aber kaum eine Prostituierte, da der Beruf sonst mit einer Tagespauschale nach dem Düsseldorfer Verfahren besteuert wird. „Dafür ist keine fremde Hilfe nötig. Es lässt sich fast kein Steuerberater finden, der dich jetzt als Kundin nimmt, weil die für die Richtigkeit aller Daten einstehen müssen.“

Wie viele Frauen sich in Freiburg prostituieren, lässt sich schwer ermitteln. „Die Stadt Freiburg hat keine belastbaren Zahlen. Das Anmeldeverfahren bietet dazu keinen Ansatz, denn viele Sexarbeiter·innen geben an, bundesweit tätig zu sein“, so Martina Schickle, Pressesprecherin der Stadt Freiburg. 40.369 angemeldete Prostituierte arbeiteten 2019 in Deutschland (2018 waren es 32.799), 4972 in Baden-Württemberg. Die Anzahl der Angebote auf einschlägigen Portalen schwankt in Freiburg zwischen etwa 100 und 150 verschiedenen Frauen. Müller ist keine von ihnen. Eine Annonce zu schalten, ist ihr zu heiß, „die Prostitution ist in Freiburg gerade nur unter vorgehaltener Hand geduldet, man muss sehr vorsichtig sein und alles diskret machen.“ Deshalb treffe sie auch nur ein paar Stammkunden, denen sie wirklich trauen kann. Das melde sie aber weiterhin dem Finanzamt für die Tagessteuer. Den anderen Frauen wünscht sie mehr Mut: „Es gibt keinen Grund, die Arbeit mit der Anmeldung nicht zu legalisieren, es bleibt weiterhin alles diskret und zieht keine Nachteile nach sich. Es erfährt niemand davon, der es nicht wissen soll.“

Fenster Prostitution

Erlaubt ist die sogenannte „Solo-Selbstständigen-Prostitution“ bis zu dem Punkt, an dem eine dritte Person wirtschaftlich partizipiert, erklärt Walter Martin, stellvertretender Leiter des Dezernats für Banden und organisierte Kriminalität im Polizeipräsidium Freiburg. Diese gerade in der heutigen Pandemielage zuzulassen, findet er persönlich falsch. „Die Begründung hierfür, dass ein solcher Eingriff in die Intimsphäre zu weit ginge, eine Intimsphäre, die ab 50 Euro zu kaufen ist, halte ich für realitätsfremd und vor dem Hintergrund der sonstigen aktuellen Beschränkungen für die Bevölkerung schwer nachvollziehbar.“ Seine Erfahrung sei, dass das Geschäft in Ferienwohnungen und sonstigen Beherbergungsbetrieben floriert. „Man mietet sich unter Vorlage gefälschter Arbeitgeber-/Dienstleistungsbescheinigungen ein.“

»Geschäft in Ferienhäusern floriert«

Bis zu 90 Prozent der Prostituierten in Freiburg stammen aus Osteuropa, „sie reisen immer wieder unter dem Radar ein und gehen somit auch nicht in die meist erforderliche Quarantäne“, so Martin. Wöchentlich erreichen Anrufe von erregten Nachbarn die Polizei, doch der sind die Hände gebunden: „In der Regel ist zwar ein Zuhälter involviert, aber der ist oft abwesend, solange der Freier da ist.“ Die Frauen würden auch fast nie aussagen, „weil sie unter quasi Aufsicht der Zuhälter, die oft gleichzeitig ‚Freund‘ oder Ehemann sind, stehen und oftmals ein falsches Bild der hiesigen Polizei aus ihren Erfahrungen aus den Heimatländern verinnerlicht haben.“ Die oft gegebene Sprachbarriere und damit erschwerte Orientierung in Deutschland sei außerdem ein weiteres Kriterium.

Laut Nenad Kekenj-Seke, Betreiber von zwei Freiburger Bordellen sowie einem Escort-Service, sind 80 Prozent der Frauen, die bei ihm arbeiteten, längst zurück in ihre Heimatländer. „Die mussten irgendwie ihr Leben finanzieren, und einen anderen Job auf die Schnelle zu finden, ist schwierig.“ Diejenigen, die weitermachen, arbeiten unter prekären Bedingungen: „Im Privaten gibt es keine Hygienemaßnahmen, keine Rückverfolgung, keine Kontrolle und auch die Polizei kann nichts tun“, so Kekenj-Seke.

Prostitution Call me now!

Das beobachtet auch Edda Grieshaber von der Freiburger Beratungsstelle PINK, die sich an Sexarbeiterinnen in allen Lebenslagen wendet: „Häufig machen die Frauen Hausbesuche, da ist das Risiko enorm. Weil sie aufs Geld angewiesen sind, müssen sie auch die Kunden, die es aktuell gibt, annehmen.“ Immer wieder würden sich die Freier weigern, zu bezahlen oder drohen damit, die Polizei zu rufen.

Manchmal kriege sie auch mit, dass es zu Gewalt oder Bedrohungen durch Kunden komme. „Die Frauen wissen häufig nicht, was sie aktuell dürfen und was verboten ist. Viele sind mit der rechtlichen Situation überfordert und versuchen, möglichst unter dem Radar zu arbeiten.“ Wenige dieser Frauen bekommen staatliche Hilfe, einige seien auch gar nicht leistungsberechtigt, so Grieshaber: „Bei den meisten Frauen geht es wirklich um existenzielle Not, sie leiden auch unter der fehlenden Kundschaft.“

Domina Müller ist froh, dass sie sich nicht in solch prekärer Lage befindet: „Corona hat viel zerstört, finanziell sowie psychisch. Die Frauen sind erpressbar, machen Dinge, die sie freiwillig nicht machen würden.“ Bei ihr reiche es gerade für die Absicherung. „Mit dem Prostituiertenschutzgesetz wurde versucht, Sexarbeiterinnen in ihren Rechten zu stärken. Die Pandemie hat das zunichte gemacht. Jetzt rutscht alles wieder in die Illegalität.“ 

 

Fotos: © Nenad Kekenj-Seke; pixabay.com/ Espressolia, Gerd Altmann;  picture alliance / Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa