Der Klavierspieler vom Gare du Nord: Brillianter Film über grenzüberwindene Schönheit und die Kraft der Musik Kinonews | 12.06.2019 | Erika Weisser

Eine Pariser Bahnhofshalle zur Rush-Hour: Menschenmassen drängen und drängeln, Lautsprecherdurchsagen mischen sich mit dem untergründigen Lärm der aus- und einfahrenden Züge, hereinströmende Ankommende behindern Eilige, die die bereits abfahrbereite Bahn noch kriegen wollen.

Da hat niemand Zeit und Muße, dem Spiel des sehr jungen Mathieu Malinski zu lauschen, dessen schnelle Finger dem in der Halle aufgestellten öffentlichen Klavier höchst zauberhafte Klänge entlocken. Der Junge und seine virtuos vorgetragene Musik werden von den gestressten, für ihre Umgebung blinden und tauben Passanten nicht einmal wahrgenommen. Nur ein einziger Mann ist mitten im widerströmenden Gedränge stehen geblieben: Pierre Geithner, der Leiter des Pariser Konservatoriums. Fassungslos und aufmerksam betrachtet er das Szenario, kann nicht glauben, was er zu hören bekommt. Er ahnt, dass die Musik für den Jungen überlebensnotwendig ist – wie für ihn. Indessen endet das faszinierende Spiel abrupt: Zwei Uniformierte tauchen auf, Mathieu bricht ab und rennt davon.

Bald darauf begegnen sich die beiden wieder, dieses Mal jedoch nicht zufällig. Geithner, der von Mathieus außergewöhnlichem Talent tief beeindruckt ist, will den Jungen aus der Banlieue fördern und bietet ihm bei der besten Lehrerin des Konservatoriums kostenlosen Unterricht an. Doch der will nichts davon wissen, nimmt nur widerwillig die Visitenkarte des Älteren. Und er ruft ihn auch erst an, nachdem er wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde: Während eines mit seiner Vorstadtgang verübten Einbruchs in einem wohlhabenden Haus setzte er sich ans Klavier, vergaß alles um sich herum – und wurde festgenommen.

Geithner gelingt es, Mathieus Haftstrafe in Sozialstunden an der Musikhochschule umzuwandeln. Fortan geht der völlig undisziplinierte Junge täglich zum Putzen dorthin – und lässt keine Gelegenheit aus, die kostbaren Instrumente auszuprobieren – mit auswendig beherrschten Stücken von Liszt, Rachmaninow, Chopin und anderen.

Angesichts seiner seltenen Fähigkeit, alle Emotionen in die Musik zu legen – und aus ihr herauszuspielen –, bemühen sich der Direktor und die strenge Klavierlehrerin zwar sehr um ihn, doch er bleibt merkwürdig resistent gegenüber ihren Versuchen, seinem großen Talent auch den nötigen theoretischen Schliff zu geben. Erst durch Mitschülerin Anna wird er zugänglicher.
Der Stoff ist nicht neu. Doch Bernard hat die Geschichte, in der Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus aufeinandertreffen und Unmögliches vollbringen, brillant und mitreißend umgesetzt. Mit ausgezeichneten Darstellern und viel Raum für die Musik.

Info

Frankreich 2019
Regie: Ludovic Bernard
Laufzeit: 106 Minuten
Start: 20. Juni

Trailer:

Foto: © Neue Visionen Filmverleih