Diebische Solidarität: „Shoplifters Familienbande“ zeigt die Ränder der Leistungsgesellschaft Kinonews | 26.12.2018 | Erika Weisser

Die Dunkelheit des Abends legt sich mit klirrender Kälte über die Stadt. Auf den leeren Straßen eines Wohngebiets sind zwei Menschen unterwegs: Osamu Shibata und sein Sohn Shota, die nach einer erfolgreichen Ladendiebstahlstour auf dem Weg nach Hause sind.

Sie freuen sich auf die Wärme der armseligen und engen Behausung, die sie sich mit Osamus Frau Nobuyo, deren Schwester Aki und der Großmutter Hatsue teilen. Als sie die Liste der erledigten „Einkäufe“ checken, bemerken sie ein kleines Mädchen, das allein und frierend auf einem Balkon sitzt; die Tür zur Wohnung ist verschlossen.

Sofort spürt Osamu die Einsamkeit und das Leid des Kindes; der sonst so fröhliche und sorglose Mann beschließt, es für ein warmes Essen mit nach Hause zu nehmen. Doch die anderen Familienmitglieder sind nicht begeistert von dieser Idee – insbesondere Nobuyo. Zwar tut ihr das völlig verschüchterte und irgendwie schuldbewusst, ängstlich und unterwürfig wirkende Mädchen leid, zumal es nicht viel mehr sagen kann als seinen Namen: Yuri. Doch sie fürchtet, dass Yuris Eltern ihre Tochter als vermisst melden und die Polizei einschalten könnten – und diese dann bei ihnen aufkreuzen würde.

Zwar entdeckt Nobuyo Brandwunden und andere Spuren von Misshandlungen an Yuris Armen, doch das hält sie nicht davon ab, sie zurückzubringen. Als sie aber mit dem Mädchen vor dessen Wohnhaus steht und hört, wie der Vater brüllt und seine Frau schlägt, weigert sie sich, das Kind wieder dieser Gewalt auszuliefern und nimmt sie kurzerhand in die Familie auf. Obwohl sie weiß, dass es schwierig wird, ein weiteres Familienmitglied zu ernähren: Ihr bescheidenes Büglerinnen-Gehalt, Hatsues kleine Rente, Osamus geringe Einkünfte aus gelegentlichen Aushilfsjobs auf dem Bau und Akis spärliche Einnahmen aus ihrer Arbeit in einem Stripclub reichen nicht einmal für die bisher fünfköpfige Lebensgemeinschaft.

Dennoch gehört Yuri von nun an dazu – und sie blüht sichtlich auf in der Familie, deren Angehörige solidarisch miteinander umgehen, alles miteinander teilen und denen es an allem mangelt, nur nicht an Liebe. Yuri ist glücklich – und geht bald mit Shota auf die täglichen Streifzüge durch die Geschäfte. Doch irgendwann wird klar, dass es bei den Shibatas Geheimnisse und Selbstbetrügereien gibt. Und bald darauf bricht das ziemlich wackelige Kartenhaus zusammen.

Ein schöner Film über die Würde und den Zusammenhalt der Menschen, die von der gnadenlosen Leistungsgesellschaft an den Rand gedrängt werden. Goldene Palme der Internationalen Filmfestspiele in Cannes 2018.

Shoplifters Familienbande
Japan 2018
Regie: Hirokazu Kore-eda
Mit: Lily Franky, Sakura Ando Mayu Matsuoka, Kirin Kiki u.a.
Verleih: Wild Bunch Germany
Laufzeit: 121 Minuten
Start: 27. Dezember 2018
Trailer:

Fotos: © Wild Bunch Germany