Naturstimmen als Soundtrack: Beeindruckende Verfilmung eines großartigen Romans Kinonews | 08.12.2019 | Erika Weisser

Cover des Films Pferde stehlen

Pferde werden in Hans Petter Molands Verfilmung von Per Pettersons Roman ebenso wenig gestohlen wie im Buch selbst. Bei „Pferde stehlen“ handelt es sich lediglich um ein Spiel, das der junge Trond mit seinem Freund Jon in den unfassbar schönen Gebirgs- und Flusslandschaften Ost-Norwegens spielt.

Dort verbringt er den Sommer 1948 mit seinem Vater. Ein Sommer, nach dem, wie sich später herausstellen wird, nichts mehr so ist wie davor. Ein Sommer, an den sich der von Stellan Skarsgård gleichermaßen einfühlsam wie routiniert verkörperte alte Trond zunächst nur bruchstückhaft erinnert. Eigentlich will er sich gar nicht erinnern: Die mehr als 50 Jahre zurückliegenden Ereignisse schmerzen den jüngst verwitweten Mann, der sich in die Einsamkeit eines kleinen Dorfs im Wald zurückgezogen hat, immer noch sehr.

Als er aber in einer Winternacht einem ebenso einsamen Mann begegnet und in ihm den jüngeren Bruder seines damaligen Gefährten erkennt, beginnt er doch, sich eingehender mit der verdrängten Vergangenheit zu beschäftigen. Denn dieser Lars erinnert ihn nicht nur an Jon, den er seit jenem zunächst glücklichen Tag, da sie auf dem Rücken der vom Nachbarhof „ausgeliehenen“ Pferde über Stock und Stein jagten, nie wieder gesehen hat.

Dieser Lars ist auch der Mensch, der damals alle Steine ins Rollen brachte: Von Jon unbeaufsichtigt, erschoss er im Spiel versehentlich seinen Zwillingsbruder Odd, was die Auflösung der Familie zur Folge hatte. Und nicht nur seiner. Auch die Familie Tronds gab es bald nicht mehr. Der Vater, ganz ausgezeichnet dargestellt vom gebürtigen Freiburger Schauspieler Tobias Santelmann, trennt sich von der Mutter, um mit Lars’ Mutter zu leben, mit der ihn seit der Zeit, da sie verfolgte Widerstandskämpfer aus dem von den Nazis besetzten Norwegen nach Schweden schmuggelten, eine heimliche Liebe verband.

Pärchen im Gespräch

Trond hat auch ihn in jenem Nachkriegssommer zum letzten Mal gesehen. Und gedenkt nun seiner in „Erinnerungen, die das Bewusstsein fluten und den Schmerz bringen“. Doch gemäß der Lebensmaxime dieses Vaters entscheidet er nun selbst, „wie stark dieser Schmerz empfunden wird“.

Ein großartiger Film, ausgezeichnet mit dem Silbernen Bären für „herausragende künstlerische Leistung“ und dem Preis der Frankfurter Buchmesse 2019 für die beste internationale Literaturverfilmung.

Die Lektüre des 2003 erschienenen Romans versteht sich nach diesem Film mit seinem eindrücklichen Soundtrack aus Naturstimmen und -geräuschen von selbst.

Pferde stehlen
Norwegen/Schweden/Dänemark 2019
Regie: Hans Petter Moland
Mit: Stellan Skarsgård, Bjørn Floberg, Tobias Santelmann, Jon Ranes, Danica Curcic u. a
Verleih: MFA
Laufzeit: 122 Minuten
Start: 21. November 2019

Fotos: ©  MFA