Verordnetes Schweigen: Über die Wirkung von falscher Loyalität Kinonews | 07.09.2019 | Erika Weisser

verordnetes Schweigen

Mitten in der Nacht betritt ein Mann den Raum, in dem seine Frau am Bett seiner schlafenden Tochter sitzt und die Ereignisse des Tages notiert. Der Vater will dem Kind wenigstens noch seine Geburtstagsglückwünsche ins Ohr flüstern. Das kostet ihn das Leben: Gerhard und Antonia Berger sind wegen angeblicher Spionage gegen die Sowjetunion im sibirischen Straflager Workuta inhaftiert. Frauen und Männer sind in getrennten Baracken untergebracht – und auf dem Rückweg wird Gerhard von den Wachen erschossen. Obwohl er auch Kommunist ist.

Sie schleppen ihn zu Antonia, die seinen natürlichen Tod bestätigen muss. Verzweifelt und von mehr als zehn Jahren strenger Zwangsarbeit zermürbt, denkt sie an Suizid. Doch die Liebe zu der gerade elfjährigen Lydia hält sie am Leben. Und die Überzeugung, dass Stalin für seine willkürliche Auslegung der sozialistischen Idee zur Rechenschaft gezogen werde und dann der Aufbau einer gerechten Welt möglich sei – trotz allem. Zudem machen ihr auch ihre Mitgefangenen Susanne und Irma Mut; sie haben ein Rehabilitationsgesuch an die DDR-Botschaft in Moskau geschickt.

Das kommt Wilhelm Piecks Sohn Arthur zu Ohren, der an den Vater appelliert, sich als Präsident der DDR für die drei Genossinnen einzusetzen. „Es hätte damals jeden von uns treffen können, für nie begangene Verbrechen in den Gulag gesteckt zu werden. Das weißt du doch“, erinnert er ihn an dessen eigenes Exil in Moskau, während der Nazizeit. Und Pieck gibt nach.

Kurz darauf, im Winter 1952, treffen Antonia, Susanne und Irma mit der schwerkranken Lydia in Berlin ein, wo das Mädchen sofort medizinisch versorgt wird. Für die Rückkehrerinnen stehen Wohnungen, Geld, Lebensmittelmarken und gute Arbeitsstellen bereit. Dafür müssen sie sich jedoch verpflichten, den wahren Grund ihres langen Aufenthalts in der ruhmreichen Sowjetunion zu verschweigen. „Was hinter euch liegt“, sagt Parteisekretär Leo Silberstein, „hat mit Kommunismus nichts zu tun.“ Doch die Kenntnis über so viele unschuldig Inhaftierte im Bruderland könne der jungen DDR „großen Schaden zufügen“.

Susanne setzt sich ab, die beiden an– deren bleiben. Und wagen nicht, über ihre traumatischen Erfahrungen zu sprechen: Zu dem Vorwurf ihrer Mutter, dass sie nie von sich habe hören lassen, weint Antonia nur. Und ihrem neuen Freund, Lydias Arzt Konrad, tischt sie über Gerhards Tod Lügen auf. Erst als Stalin stirbt und sie glaubt, dass die Stunde der Wahrheit gekommen sei, gibt sie ihm ihr Notizbuch zu lesen.

Doch es ist zu früh: Als Konrad bei Silbermann nachfragt, ob die russischen Kommunisten wirklich ihre eigenen Genossen eingesperrt und ermordet hätten, lässt dieser Antonia erneut verhaften. Denn der Personenkult überdauert den Tod des Diktators. Eine eindringliche Studie über falsche Loyalität und Machtmissbrauch in der finsteren Epoche der stalinistischen Tyrannei.

Foto: © Neue Visionen Filmverleih