Kein ruhiger Fluss – Der Rhein unter 38 Gesichtspunkten Kunst & Kultur | 05.12.2022 | Erika Weisser

Klippe, bewölkter Himmel, Fluss, Haus im Vordergrund

Der Rhein hat zahlreiche Facetten. Der einst schwer umkämpfte Grenzfluss war im Lauf der Zeit einigen Veränderungen und Nutzungen unterworfen. 38 Ausstellungen in Museen von Laufenburg (CH) über Strasbourg bis Bingen thematisieren nun die vielgestaltigen Aspekte.

Ein weiß leuchtendes LED-Band schlängelt sich auf dem Fußboden durch den ganzen Saal. Eingebettet in ein grün gestrichenes Gestade zieht es sich direkt vor den Besuchern von Ost nach West, beschreibt dann eine ziemlich rechtwinklige Kurve und verläuft schließlich, in nördlicher Richtung mäandernd, auf die dem Eingang gegenüberliegende Wand zu. An diese wird ein Film projiziert, der viel strömendes Wasser zeigt. Ganz unterschiedliche Uferzonen zu beiden Seiten des Stroms kommen nach und nach ins Bild: Gestade, Wohnhäuser, Industrieanlagen, ein Hafen, ein einmündender Nebenfluss, außerdem die eine oder andere Brücke. Typische Wasser- und Wasservogelgeräusche sind zu hören. Das Gefühl, auf einem Schiff rheinabwärts zu fahren, drängt sich förmlich auf.

Ein kühner Bogen

Der Schein trügt nicht: Markus Moehring, der Leiter des Dreiländermuseums Lörrach, erzählt, dass der etwa 25-minütige Film tatsächlich im vergangenen Sommer auf „der meistbefahrenen Binnenwasserstraße Europas“ entstand: Um die Aufnahmen für den Ausstellungsfilm zu machen, fuhr das beauftragte Kamerateam mit einem großen Motorboot von der Mittleren Brücke in Basel zur Dreiländerbrücke, die sich zwischen Weil am Rhein und Huningue in einem kühnen Bogen von Ufer zu Ufer spannt. Auf kurzer Strecke streiften sie drei der insgesamt sechs Länder, die an dem knapp 1233 Kilometer langen Weg liegen, den der Strom von seinen Quellen in den Schweizer Alpen bis zu seiner Delta-Mündung in die Niederländische Nordsee zurücklegt.

Drei Länder, sagt Moehring, die sich heute nicht mehr gegeneinander abgrenzen: Die Nordschweiz, das Elsass und Südbaden verstehen sich längst als Region – mit dem Oberrhein als integrierendem Bestandteil, als „gemeinsamer Lebensader“. Das zeige sich nicht zuletzt an vernetzten Kooperationen wie den vom Dreiländermuseum Lörrach koordinierten Ausstellungen zu grenz- und länderübergreifenden Themen. Sie finden im vierjährigen Turnus statt, das Rhein-Projekt ist nach den Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg (2014) und zur Zeitenwende nach dessen Ende (2018) bereits die dritte Zusammenarbeit des Netzwerks Museen, an der sich heuer 37 große und kleine Häuser beteiligen. Dass es so viele sind, liege daran, dass der eigentlich völkerverbindende sagenumwobene Fluss „ein unglaubliches Potential an Themen“ biete.

Innenbereich des Dreiländermuseums mit der Rhein ausstellung

Die Rhein-Schau im Dreiländermuseum, die außerdem eine aufschlussreiche Dauerausstellung zu den Besonderheiten des Flusses und seiner Geschichte beherbergt, gilt als Überblicksausstellung zu den Facetten, die in den anderen Museen vertieft werden. Und hier wird sehr schnell deutlich, dass das erwähnte regionale Zusammengehörigkeitsgefühl nicht immer selbstverständlich war, zumindest nicht in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht: Während der Rhein in Deutschland zum „Vater Rhein“ erklärt, zur Personifikation eines „urdeutschen Flusses“ verklärt und die „Wacht am Rhein“ zur nationalen Aufgabe stilisiert wurde, hatten ihn die beiden Nachbarländer ganz anders im Blick. Frankreich sah seit dem 17. Jahrhundert in der Linie des Flusslaufs die natürliche Ostgrenze des Landes. Und für die Schweiz bildet der Oberrhein, bis auf das Baselbiet und Schaffhausen, die natürliche Nordgrenze. Er ist zudem der längst Fluss des Landes, das er zum Großteil entwässert.

Die Konflikte, die durch diese gegensätzlichen Sichtweisen insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich entstanden und in vernichtende Kriege mündeten, werden anhand von rund 150 Exponaten zur Rheinromantik, zur regionalen Fischerei und Schifffahrt, zur industriellen Nutzungs- und Verschmutzungsgeschichte, zur Darstellung in Kunst und Musik sowie in der Hetzpropaganda anschaulich erläutert. Thematisiert werden aber auch die gemeinsamen Anstrengungen, die gewaltigen Eingriffe wie Begradigung und Kanalisierung durch ökologische Projekte und Renaturalisierungsmaßnahmen zumindest in Teilen zu revidieren.

Die Lörracher Ausstellung ist bis zum 2. Juli 2023 zu besuchen, es gibt ein umfangreiches Begleit- und Exkursionsprogramm.

Fotos: © Dreiländermuseum; Erika Weisser