Ende einer Ära: Abriss des Grünen Baums in Denzlingen Land & Leute | 16.06.2021 | Hubert Gemmert

Das Traditionsgasthaus „Zum Grünen Baum“

Das Traditionsgasthaus „Zum Grünen Baum“ nahe des Denzlinger Bahnhofs hat lange das Ortsbild geprägt. Jetzt wurde es abgerissen. Ein Blick zurück auf seine bis ins 17. Jahrhundert reichende Geschichte.

Intensiver Modergeruch empfängt die Besucher, die Augen müssen sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Staub hängt in der Luft und überlagert die noch vorhandene Einrichtung. Die Spinnen scheinen sich hier wohlzufühlen. In jeder Ecke hängen ihre Netze.

Ein Blick in das seit 15 Jahren leerstehende Gebäude des Gasthauses „Zum Grünen Baum“ kurz vor seinem Abriss. Alle Rettungsversuche sind gescheitert, dabei wäre das Anwesen aufgrund seiner Geschichte bestimmt erhaltenswürdig gewesen: Bereits im 17. Jahrhundert wurde es als Wohnhaus erbaut. 1845 kaufte es der Denzlinger Conrad Laibach, der es zum Wirtshaus umbauen wollte. Schließlich lag das Gebäude direkt an der im selben Jahr eröffneten Bahnlinie.

Zimmer des Traditionsgasthaus „Zum Grünen Baum“

Der Blick aus den Zimmern auf die Eisenbahn war einst die Attraktion für die Gäste.

In der damaligen Zeit konnte ein Gasthaus allerdings nur eröffnet werden, wenn der Besitzer eine sogenannte „Schildgerechtigkeit“ besaß. Diese verdankte er dem Niedergang einer weiteren alteingesessenen Wirtschaft, weiß Dieter Geuenich, Professor der Geschichte an der Universität Freiburg. Die „Birke“ lief immer schlechter, sodass der Besitzer seinen Betrieb 1845 stilllegte und das Gebäude versteigerte. Die Chance für Laibach: Er erwarb dessen Schildgerechtigkeit und besaß damit das Beherbergungs- und Bewirtungsrecht. Damit konnte der Ausbau des Gebäudes starten. Der Name des Gasthofs entstand wohl aufgrund des grünen Baums auf dem ehemaligen Schild der Birke, das übernommen und an der Außenwand des Gasthauses angebracht wurde.

1847 war der Ausbau – samt neuer Metzgerei, Waschküche und Pferdestall – beendet. Ein perfekter Zeitpunkt: Kurz zuvor hatte der erste Zug der „Großherzoglichen Eisenbahn“ von Karlsruhe nach Freiburg an der Station „Langendenzlingen“ Halt gemacht, also unmittelbar vor dem Grünen Baum. „Dies war die Attraktion, denn zweimal täglich konnten nun von den Zimmern und der Gaststube die stampfenden Dampflokomotiven bewundert werden“, erzählt Geuenich. 

Rund 160 Jahre lief der Betrieb sehr gut. Selbst ein Brand am 27. Juli 1930 konnte dem Gasthaus nichts anhaben, sondern führte sogar zu weiteren Ausbauten. Unter anderem kam ein großer und prächtiger Festsaal hinzu, der in den 1930er-Jahren Schauplatz zahlreicher NSDAP-Veranstaltungen war. Nach dem Krieg war und blieb er der einzige große und repräsentative Raum in Denzlingen. Bis in die 90er-Jahre stiegen hier Familien- und Vereinsfeiern, Fasnetsveranstaltungen und Bürgerversammlungen, denn eine Festhalle gab es bis zu dieser Zeit nicht.

Jahrzehntelanger Renovierungsstau

Nach mehreren Betreiberwechseln übernahm Rolf Schemmer 1989 den Betrieb, seine Frau Brigitte führte die seit den 1930ern in einem Nebengebäude untergebrachte Metzgerei. Schemmer renovierte sehr viel und führte Verbesserungen ein. Allerdings waren diese Bemühungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Eine grundlegende Renovierung wäre, nach einem rund 50-jährigen Renovierungsstau, dringend notwendig gewesen. Das konnte er finanziell allerdings nicht stemmen.

Der Festsaal von dem Traditionsgasthaus

Der Festsaal, einst der einzige große und repräsentative Raum in Denzlingen.

1998 kam es zu einem weiteren Brand, dem der Dachstuhl zum Opfer fiel. Zudem trug die Eisenbahn – einst einer der wichtigsten Gründe für den erfolgreichen Aufstieg des Gasthauses – nun maßgeblich zu dessen Niedergang bei. Der immer stärker werdende Bahnbetrieb machte aus der einstmaligen Attraktion einen Lärmpegel, der potenzielle Gäste abschreckte. Auch Bürgerversammlungen fanden seit 2003 nicht mehr hier, sondern im neu errichteten Kultur- und Bürgerhaus statt. Mitte 2006 musste Insolvenz beantragt werden. Seitdem stand das Gebäude leer.

Der Zahn der Zeit nagte seither stark an der Bausubstanz, und was Kälte und Feuchtigkeit nicht schafften, erreichte der Vandalismus. Für Jugendliche war das alte Haus über all die Jahre ein Abenteuerspielplatz, für Obdachlose ein willkommener Unterschlupf. Von der einstigen Pracht ist kurz vor dem Abriss nicht viel geblieben: Die Farbe blättert an vielen Stellen ab und die Tapeten hängen von den Wänden. Fliesen liegen auf den Böden, Fenster und Glastüren sind teilweise eingeschlagen.

Und dennoch spürt man, wenn man durch das verfallene Gebäude streift, die Atmosphäre der vergangenen Zeit: Die rauschenden Feste im großen Saal, die gut betuchten Bahnreisenden, die geselligen Stunden auf der Kegelbahn im Keller. Doch das alles ist Geschichte. Der Grüne Baum macht neuen Gebäuden und einer Verbreiterung der Bahnhofsstraße Platz. Damit verschwindet ein weiteres Traditionsgasthaus im Ortsbild von Denzlingen. Das anliegende Areal soll als neue Ortsmitte entwickelt werden. Das Schild wurde abmontiert, um es später eventuell als Erinnerung an geeigneter Stelle aufzuhängen. Damit bliebe ein kleines Stück der glanzvollen Zeit des Grünen Baums für die Zukunft erhalten.

Fotos: © Hubert Gemmert