Lebendiges Kulturerbe im Écomusée Ungersheim Land & Leute | 15.09.2021 | Frank von Berger

Schlafzimmer Mit viel Liebe zum Detail werden die historischen Räume – wie dieses Schlafzimmer – wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt.

Wie lebte es sich eigentlich im Elsass, bevor das früher ländlich geprägte Gebiet am Oberrhein eine industriell prosperierende Region wurde? Einen lebendigen Blick in die Vergangenheit bietet der Besuch im Écomusée in Ungersheim, dem größten Freilichtmuseum Frankreichs.

Begonnen hat das Projekt „Écomusée“ im Jahr 1971 mit der Gründung des Vereins „Maisons Paysannes d’Alsace“ zur Rettung historischer Bausubstanz im Elsass. Der Grundstein für das Freilichtmuseum wurde mit dem Wiederaufbau des ersten Hauses auf dem heutigen Gelände im Jahr 1980 gelegt. Für die breite Öffentlichkeit ist das Museum seit dem 1. Juni 1984 zugänglich. Der Rundgang durch das weitläufige Ausstellungsgelände ermöglicht inzwischen die Besichtigung von 75 verschiedenen hierher versetzten historischen Gebäuden aus dem gesamten Elsass. Darunter befinden sich unter anderem kleine Bauernkaten, Bürgerhäuser, eine Ölmühle, eine Schule, eine Töpferei und ein Krämerladen mit originaler Einrichtung.

Spuren jüdischen Lebens in der Stube eines Bauernhauses…

Sicher verlieben sich viele Besucherinnen und Besucher gleich zu Beginn des Rundgangs in das kleine Haus mit der Barbierstube und den leuchtend blauen Fensterläden. Hier sieht alles so aus, als wäre der Maître gerade eben zur Kaffepause gegangen. Auch in den anderen Museumsgebäuden finden sich zahlreiche Relikte aus vergangenen Zeiten, die das Leben von damals anschaulich machen.

…ein Krämerladen…

Das zuletzt im Écomusée wiederaufgebaute Haus ist ein kleines, aus dem 18. Jahrhundert datiertes Gebäude aus Rixheim, das so eingerichtet ist, wie damals eine jüdische Familie im ländlichen Elsass gelebt hat. Eigentlich sieht es darin so aus wie in allen anderen Museumshäusern. Aber ein auf dem Tisch abgelegter Tallit (ein jüdischer Gebetsschal), eine Menora (ein siebenarmiger Leuchter) auf dem Schrank in der Ecke sowie rechts oben an den Türpfosten angebrachte Mesusot (Schriftkapseln mit Segenssprüchen) weisen auf den jüdischen Glauben der Bewohner hin.

Originalgetreuer Wiederaufbau aus Ruinen

Beim Anblick des ursprünglichen Zustands des Hauses auf dem historischen Foto auf der Infotafel ist es wirklich bewundernswert, wie die Restauratoren die einstige Ruine aus Rixheim auf dem Gelände des Écomusées originalgetreu wieder auferstehen ließen. In diesem beispielhaften Freilichtmuseum wird nichts einfach mit Beton oder mit Fertigteilen aus dem Baumarkt nachgebaut, sondern es werden alte Techniken in traditioneller Weise zur Wiederherstellung der Exponate angewendet. Zimmerleute arbeiten tatsächlich von Hand an Balken aus massivem Holz. Ocker sowie andere Naturfarben sorgen dafür, dass die Fassaden und die Innenräume der Häuser authentisch wirken. Die vielen liebevoll arrangierten Accessoires, etwa im kruschigen Krämerladen oder in der Töpferei, lassen die Welt von damals ebenfalls überzeugend lebendig wirken. Insgesamt umfasst die Sammlung des Museums rund 40.000 Gegenstände.

…mehr als 75 historische Gebäude geben Einblicke in elsässisches Kulturgut.

Die Infotafeln bei jedem Haus sind übrigens dreisprachig (Französisch, Deutsch und Englisch) und informieren über den ursprünglichen Standort, das Baujahr und die Geschichte der jeweiligen Exponate. Wohltuend beim Rundgang durch das wie ein historisches Dorf anmutende Écomusée: Es gibt keinen digitalen Schnickschnack, alles ist ziemlich analog und deshalb ist es ganz einfach, sich in die damalige Zeit zurückzuversetzen. Dass sich in den Ställen tatsächlich lebendige Tiere befinden, macht die Sache noch authentischer. Hühner und Gänse, gefleckte Vogesen-Rinder, schwarze Schweine, Esel, robuste Ackergäule sowie die vielen Störche, die im Sommer auf fast allen Dächern hocken, tragen dazu bei, dass die Vergangenheit nicht museal, sondern recht lebendig wirkt. Insbesondere für Kinder kann das eine ganz neue Erfahrung sein.

Dass es nicht an jeder Ecke etwas zum Kaufen und Konsumieren gibt, ist ebenfalls erfreulich. Wenn dennoch der Hunger nagt, gibt es Picknickplätze. Und falls niemand beim Aufbruch ins Abenteuer „Vergangenheit“ an Proviant gedacht hat, findet sich sicher ein Platz im historisch gestalteten Restaurant oder in der kleinen Beize am Teich, wo es leckere Snacks gibt. Wenn dann der Rundgang schließlich zu Ende ist, wünschen sich die Besucherinnen und Besucher gewiss, dass noch viele weitere Gebäude eine neue Heimat im Écomusée finden.

Info
Écomusée Ungersheim
Wo:
Chemin Grosswald / F-68190 Ungersheim
Webseite: www.ecomusee.alsace
Öffnungszeiten: bis 7. November tägl. 10–18 Uhr, die Kasse schließt um 17 Uhr
Eintritt: 15 Euro, ermäßigt 12 Euro
Parken: kostenlos auf dem solargedeckten Parkplatz direkt am Eingang

Fotos: © Frank von Berger