Vorkoster mit Einfluss: Restaurantkritiker Johannes Schweikle Land & Leute | 28.11.2020 | Arwen Stock

Johannes Schweikle

Köche fürchten und lieben sie, Gourmets folgen ihrer Empfehlung: Restaurantkritiker sind kundige Vorkoster mit großem Einfluss. Der gebürtige Freudenstädter Johannes Schweikle ist einer von ihnen. „Lust auf REGIO“ erlaubt er einen Blick hinter die Kulissen.

Die Wege des Herrn sind unergründlich, so die Bibel. Der Weg von Johannes Schweikle hatte zunächst ein geistliches Ziel: 1960 in Freudenstadt geboren, zog es ihn nach dem Abitur zum Studium der Evangelischen Theologie, zuerst in Tübingen, dann in Jerusalem. Später begann er in München als Studijob für die Süddeutsche Zeitung zu schreiben – und entdeckte die Hochküche für sich.

„Das war mein Missionszelt“, erinnert er sich an das Gourmet-Restaurant in München, in das ihn ein Freund eingeladen hatte. Nach dem Examen in Tübingen gönnte er sich mit seiner Freundin ein Abendessen in Harald Wohlfahrts „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn. Noch heute schwärmt er von der ästhetischen Qualität der Gänge des Spitzenkochs: „Es hat wehgetan, da mit Messer und Gabel ranzugehen.“

Der Einstieg als Restaurantkritiker gelang ihm in Hamburg: Nach dem Volontariat beim Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt blieb er dort als Redakteur sowie Seminarleiter an der Akademie für Publizistik und kam in Kontakt mit dem Feinschmecker-Magazin und dem Zeit-Ressort Essen & Trinken.

Für Restaurantkritiken musste er oft zurück in den Südwesten. Seit 2011 lebt er wieder im Ländle, in Tübingen, und ist glücklich, näher an der kulinarisch reichen REGIO zu sein: Er bewundert den Aufstieg der Sterne-Tempel in Baiersbronn, einer Waldarbeitergemeinde, in der die Familien Bareiss und Finkbeiner nach dem Krieg kulinarisch durchgestartet sind. Ihnen schloss sich Jörg Sackmann an. Doch er schätzt auch viele andere Restaurants hierzulande.

Schweikle

Restaurantkritiker Johannes Schweikle.

Inkognito oder „outen“?

Wenn er für den Feinschmecker oder die Zeit testet, reserviert Schweikle den Tisch unter eigenem Namen. Doch er schreibt auch für Auftraggeber, die er nicht nennen darf und für deren Kritiken er im Restaurant einen falschen Namen angeben muss.

„Am liebsten esse ich in Begleitung. Wenn ein Mann allein am Tisch sitzt, gehen bei den Köchen die Alarmlampen an“, erzählt er. Bei der Bestellung achtet er auf den Schwerpunkt der Küche und darauf, dass es ihm schmeckt. Die angebotene Weinbegleitung nimmt er gerne dazu – so weiß er, wie der Sommelier tickt.

Meist ist Schweikle in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs. Doch seine Aufträge haben ihn schon quer durch Europa, nach Asien und Amerika geführt. Sein Spektrum reicht vom bodenständigen Gasthof über die Entdeckung der malaysischen Hochküche im Urwald bis hin zum edlen Drei-Sterne-Restaurant.

Wie kann er sich bei einem Sieben-Gänge-Menü – dem „ganz großen Protokoll“ – alle Punkte merken? „Die Unart, mit dem Handy sein Essen zu fotografieren“, komme ihm entgegen. Und manchmal macht er seine Notizen auf der Toilette. Nach dem Hauptgang „outet“ er sich bei Kritiken für den Feinschmecker und die Zeit und fragt nach dem Küchenchef. Beim Interview kann er sich nun offiziell Notizen zu dessen Werdegang, Prägung und Stil machen. Wichtig sei es, die Leistung zu honorieren, die erbracht wird.

Steinbutt

Steinbutt im Salzteig mit Austern und Kaviar – ein Klassiker von Torsten Michel, Chefkoch der Schwarzwaldstube in Baiersbronn.

„Köche sind toll, die meisten freuen sich, wenn jemand kommt, um über sie zu schreiben“, berichtet er. Und nach welchen Kriterien vergibt er die Bewertungen? Da gibt es klare Vorgaben. Wenn nicht, vergleicht Schweikle das zu bewertende Restaurant mit solchen, die er kennt, und orientiert sich an deren Bewertung. Es freut ihn, wenn er jüngere Köche und Gastronomen entdeckt, die mit Leidenschaft und Hingabe an die Spitze wollen. Umgekehrt schmerzt es ihn, wenn einem richtig guten Koch die Inspiration abhanden gekommen ist.

„Es ist fantastisch, die Chance zu haben, sich so durch die Welt zu essen“, blickt er auf rund 30 Jahre Erfahrung als Kritiker zurück. Sicher, das Honorar sei bescheiden, doch in der Regel wird die Restaurantrechnung übernommen und die Mischkalkulation passt: Schweikle ist auch als Reporter in anderen Ressorts, als Dozent und Buchautor gefragt.

Und was ist sein Lieblingsessen? Handgeschabte Spätzle mit einer guten Soße und Rindfleisch oder im Gourmettempel foie gras, Gänsestopfleber. Der gebürtige Freudenstädter erinnert sich an seine Kindheit, die Küche seiner Mutter und lacht: „Bei Spätzle mit Soß’ versteht der Schwabe genauso wenig Spaß wie der Badener.“

 

Fotos: © Thomas Müller, Rene Riis