Kein Game-Changer: Freiburg plant Verpackungssteuer – als Mosaikstein Nachhaltigkeit | 21.06.2024 | Till Neumann
Verstaubt im Regal: Stefan Hirth zeigt die Mehrweg-Pizza-Verpackung der Freiburger Pizza Boxx.Tübingen hat 2022 als erste Kommune in Deutschland eine Verpackungssteuer eingeführt. Einmalverpackungen für Take-Away-Angebote kosten seitdem 50 Cent. Freiburg will 2025 nachziehen. Für Gastronomen und Kund·innen heißt das: umstellen. Im besten Fall wird die Stadt sauberer und die Rathauskasse voller.
2,8 Milliarden Einwegbecher im Jahr
Jede Stunde werden in Deutschland 320.000 Einwegbecher für Heißgetränke genutzt. Das macht laut Deutscher Umwelthilfe (DUH) 2,8 Milliarden Einwegbecher pro Jahr. Ist der Kaffee leer, landen sie auf dem Müll. Um das Problem anzugehen, hat die Bundesregierung Gastronomie-Betriebe 2023 dazu verpflichtet, Mehrwegverpackungen anzubieten.
Gelöst haben sie das Problem nicht: Weiterhin werden in Freiburg täglich rund 4500 Kilo rumliegender Müll gesammelt. Laut einer Littering-Studie der Universität Basel sind 52 Prozent des Straßenmülls Verpackungen. Das soll sich ändern. Der Gemeinderat hat die Stadtverwaltung im April beauftragt, ein Konzept nach dem Tübinger Modell zu entwickeln. Dort werden 50 Cent pro Kaffeebecher oder Plastikschale fällig. 20 Cent sind es für Einweggeschirr. Pro Mahlzeit aber maximal 1,50 Euro.
Pizza wird teurer
Für die Gastronomin Ulrike Hansen-Becker von der Pizza Boxx Freiburg ist die Steuer ein guter Schritt. Die Konsequenz ist klar: „Wir haben überhaupt gar keine andere Wahl, als das umzulegen.“ Pizzen im Einwegkarton werden dann 50 Cent teurer. Kund·innen können sich das sparen, indem sie eine Mehrwegverpackung nehmen.
Mehrweg für Pizza? Hansen-Beckers Filiale an der Habsburgerstraße bietet eine runde Plastikschale von Vytal an (Foto rechts). Zufrieden ist die Chefin damit nicht: „Das sind zwei Plastikwannen, die werden aufeinandergesetzt und geschlossen.“ Die Pizza leide deutlich: „Feuchtigkeit und Wärme werden nicht so abgegeben wie im Karton, das ist eine andere Qualität.“ Auch die Kund·innen haben Hemmungen: „Wir brauchen das einmal im Vierteljahr“, berichtet Hansen-Becker. Die Mehrwegalternative verstaubt im Regal.
Tübingen steigert Mehrwegquote
Mehrweg ist allenfalls langsam auf dem Vormarsch: Laut Bundesverband Pro Mehrweg liegt die Quote im To-go-Bereich bundesweit unter fünf Prozent. Durch höhere Preise könnte sich das signifikant ändern: Tübingen meldet eine Mehrwegquote von fast 50 Prozent. Und führt das auf die Steuer zurück.
Neben dem Vermeiden von Müll könnte sie auch finanziell interessant werden: Laut Freiburger Rathaus könnten „die Steuereinnahmen nur aus dem Verkauf von Kaffee-Einwegbechern bei rund 1,3 Millionen Euro liegen“. Grundlage ist eine Berechnung der Deutschen Umwelthilfe von 2019, wonach jeder Deutsche pro Jahr 34 Kaffee-Einmalbecher verbraucht. Das wären 7,8 Millionen pro Jahr in Freiburg. Mit Einnahmen von rund zwei Millionen Euro pro Jahr rechnet die Verwaltung durch die Steuer insgesamt.
„Nicht die eine Antwort“
Doch sie generiert auch Aufwand: In Tübingen sind ein Jahr vor dem Steuerstart zwei Vollzeitstellen in der Kämmerei besetzt worden. Die Freiburger Verwaltung geht von mindestens vier Vollzeitstellen aus. Sie werden unter anderem Steuererklärungen prüfen: „Erste Erfahrungsberichte aus Tübingen deuten darauf hin, dass viele der abgegebenen Steuererklärungen nicht korrekt sind und daher Kontrollen vor Ort erforderlich werden“, schreibt die Verwaltung.
Hat die Steuer das Potenzial eines Game-Changers? Das Rathaus wiegelt ab: „Die Verpackungssteuer ist nicht die eine (!) Antwort auf die vielen Ursachen und Auswirkungen unserer Wegwerfgesellschaft.“ Sie könne aber einen sichtbaren Beitrag leisten.
Steuer auch für Dönertüten?
So sieht das auch Claudia Hornung von der BUND-Ortsgruppe Freiburg: „Wir halten die Steuer für sinnvoll, wenn sie nach dem Tübinger Modell ausgestaltet wird und materialunabhängig für Einwegverpackungen erhoben wird.“ Sie sei ein Schritt in die richtige Richtung, um die Einwegverpackungs-Flut einzudämmen. Doch ein Game-Changer werde sie eher nicht: „Dafür müssten landes- und bundesweite Regelungen her.“
Viele Details sind für Freiburg noch unklar: Werden auch Döner-Yufka-Papiertüten besteuert? „Wir prüfen intern, welche Take-away-Einwegverpackungen besteuert werden könnten“, meldet das Rathaus. Hansen-Becker findet Sonderregelungen nicht gut: „Die Steuer sollte für alles gelten.“ Wenn man anfange, mit Ausnahmen zu arbeiten, werde es schwierig. Ihre Hoffnung: Wenn die Steuer kommt, findet sich vielleicht auch ein Hersteller, der eine Pizza-Mehrwegverpackung entwirft, die praxistauglich ist.
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Fotos: © Till Neumann & pixabay