Wohnungsnot gefährdet Wettbewerbsfähigkeit – Umfrage von IHK und FSB zeigt „dramatische Ausmaße“ Bauen in Baden | 10.02.2025 | Lars Bargmann

Blickfang im Neubauviertel: Das Büro Netzwerkarchitekten (Darmstadt) hat sich mit diesem Entwurf durchgesetzt. Zusammen mit einem zweiten Gebäude in Kleineschholz realisiert die Stadtbau das Pilotprojekt „Mitarbeiterwohnen Konzern Stadt“. Blickfang im Neubauviertel: Das Büro Netzwerkarchitekten (Darmstadt) hat sich mit diesem Entwurf durchgesetzt. Zusammen mit einem zweiten Gebäude in Kleineschholz realisiert die Stadtbau das Pilotprojekt „Mitarbeiterwohnen Konzern Stadt“.

Der Mangel an Wohnungen wächst sich in der Region mehr und mehr zu einem Standortnachteil aus. Drei von vier Betrieben in der Region sehen in einer aktuellen Umfrage in der Wohnungsnot ein Problem für die Zukunft. „Das sind alarmierende Zahlen“, sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer südlicher Oberrhein (IHK) Alwin Wagner. Immer mehr Unternehmen arbeiten dagegen und investieren aktuell in Mitarbeiterwohnungen. In der halben Republik.

Die ohnehin schwierige Suche nach Fachkräften wird durch den Mangel an Wohnungen noch erschwert. 75 Prozent der teilnehmenden Unternehmen im Südwesten befürchten, dass sie durch die Wohnungsnot in Zukunft Nachteile bei der Gewinnung von Beschäftigten bekommen werden. Mehr als 60 Prozent schätzen dieses Risiko bereits jetzt als „hoch“ oder „sehr hoch“ ein. Das kam bei der Umfrage heraus, die die IHK gemeinsam mit der Freiburger Stadtbau GmbH (FSB) erstellt hat.

Bereits bei der IHK-Standortumfrage 2023 wurde der Wohnungsmangel von den Unternehmen als großer Risikofaktor genannt. „Das war der Anlass für uns, hier nachzuhaken“, schildert Wagner das Motiv zur aktuellen Umfrage „Wohnraum für Mitarbeitende“. Und: „Wir haben selbst schon erleben müssen, dass wir Beschäftigte verloren haben, weil sie in der Region keine Wohnung finden konnten.“

Überall in Deutschland investieren deswegen kommunale und private Unternehmen in neue oder gebrauchte Werkswohnungen. Die Stadtwerke München haben angekündigt, bis 2030 insgesamt 3000 Mitarbeiter-Wohnungen im Bestand zu haben. Aktuell sind es 1400. Die Hamburger Hochbahn, das zweitgrößte Nahverkehrsunternehmen in Deutschland, will auf dem Grundstück des ehemaligen Tram-Depots in Altona mit ihrer Tochter HSG (Hamburger Siedlungsgesellschaft GmbH) bis 2031 rund 400 Werkswohnungen bauen. 2041 hat sie bereits im Bestand.

Vor einer Mammutaufgabe stehen nicht zuletzt die beschäftigungsintensiven Krankenhäuser. In dem Bereich gilt das Stuttgarter Klinikum bundesweit als Vorbild. Für das kommunale Krankenhaus baut die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) aktuell an zwei Standorten fast 600 Wohnungen, die ausschließlich an Beschäftigte vermietet werden. Das Klinikum bezuschusst die Mieten aus dem Verkauf des Grundstücks. Auch die Berliner Charité hat einen ersten Wohnblock mit 76 Wohnungen für ihre Beschäftigten angemietet.

Premiere: Das erste Azubi-Heim der Stadtbau

Premiere: Das erste Azubi-Heim der Stadtbau

Das Berliner Institut RegioKontext hatte im vergangenen März die Studie „Bezahlbares Wohnen wird zum Standortfaktor“ vorgelegt. „Der Wohnungs- und Fachkräftemangel gefährdet den Wirtschaftsstandort Deutschland. Mitarbeiterwohnen wird vor diesem Hintergrund zu einem wichtigen Instrument der Personalpolitik“, sagt Studien-Koordinator Simon Wieland.

„Der Bund unterstützt mit verschiedenen Programmen die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum. Diese Förderprogramme können auch von Arbeitgebern in Anspruch genommen werden“, betont Elisabeth Kaiser, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. „Damit das Mitarbeiterwohnen künftig noch stärker genutzt werden und Fahrt aufnehmen kann, muss die Politik es noch stärker unterstützen und ermöglichen“, fordert indes Ingeborg Esser, die Hauptgeschäftsführerin des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft GdW: „Der Bund sollte einige steuerliche Stellschrauben im Bereich der Lohnsteuer zum Vorteil von mietenden Angestellten nachjustieren, umsatzsteuerliche Nachteile beim Erwerb von Belegungsrechten beseitigen und den Neubau von Mitarbeiterwohnungen fördern.“ Baden-Württemberg hatte Mit­arbeiterwohnungen – als eines der wenigen Bundesländer – schon 2020 in die soziale Mietwohnraumförderung aufgenommen.

Werkswohnungen gehörten mal zur Grundausstattung großer deutscher Unternehmen. Ende der 70er-Jahre gab es rund 450.000. „In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele Werkswohnungen auch großer Firmen wie der Deutschen Bahn verkauft, weil mancher damals glaubte, Werkswohnungen würden nicht mehr benötigt. Eine fatale Fehleinschätzung“, sagt Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes.

Nun korrigiert auch der Bund diese Fehlentwicklung: Bis Ende 2025 will die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) mit dem Bau von 4000 Wohnungen in Ballungsräumen beginnen. In Baden-Württemberg sind Stuttgart, Freiburg und das Dreiländereck die Schwerpunkte. In einem Grundsatzpapier der baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern heißt es: „Die Verfügbarkeit von Wohnraum zählt heute zu einem der wichtigsten Standortfaktoren für Arbeitgeber.“

In der IHK-Umfrage gaben 50 Prozent an, ihre Mitarbeitenden bei der Wohnungssuche zu unterstützen, 30 Prozent locken mit einem flexiblen Arbeitsplatz. 20 Prozent mieten Wohnungen für ihre Mitarbeitenden an und 10 Prozent haben schon eigene Mitarbeiterwohnungen erworben oder bauen lassen. „Die Unternehmen verfolgen nicht das Ziel, mit Mitarbeiterwohnungen Gewinne zu erzielen“, betont Wagner, „es geht um den Fortbestand des Betriebes.“

Kein Interesse an Gewinnen

So will der Europa-Park in Ringsheim ein neues Wohnheim für 300 Mitarbeitende sowie ein Boardinghouse mit 60 Plätzen bauen. Wohnraum, so Europa-Park-Inhaber Jürgen Mack, sei für das Unternehmen ein zentraler Baustein, um Mitarbeitern ein Zuhause in der Nähe ihres Arbeitsplatzes zu bieten. Der Europa-Park hatte unlängst auch das Pflegeheim in Ettenheimmünster gekauft, um dort 120 Mitarbeiterwohnungen einzurichten. Und bereits 129 Mitarbeiterwohnungen am Ruster Ortsrand gebaut. In Winden hat die Chefin des Elztalhotels, Ulrike Tischer, schon vor 20 Jahren den alten Gasthof Lindenhof gekauft, in dem 30 Beschäftigte wohnen. Jetzt will die Familie weitere 30 Wohnungen bauen.

Die Freiburger Stadtbau, die die Umfrage gemeinsam mit der IHK erhoben hat, will auch ihren Teil beitragen. „Die Bauarbeiten für Freiburgs erstes Azubi-Wohnungsprojekt an der Wirthstraße (wir berichteten) haben bereits begonnen“, so die beiden Geschäftsführer Magdalena Szablewska und Matthias Müller. Die 89 Ein- und Zwei-Zimmer-Apartments können voraussichtlich im Sommer 2026 bezogen werden. Im laufenden Jahr wird zudem der Startschuss für das FSB-Projekt „Mitarbeiterwohnen“ erfolgen, bei dem Unternehmen Wohnungen erwerben und an ihre Beschäftigten vermieten sowie die damit verbundenen Steuervorteile nutzen können.

„Der Ausbau von Mitarbeiterwohnungen bedarf einer großen Kraftanstrengung von Unternehmen, Projektleitern und Kommunen“, sagt Alwin Wagner. Baulandreserven müssten aktiviert, Baugenehmigungen beschleunigt und innovative Bauweisen gefördert werden. Kommunen bräuchten dafür den Rückhalt von oben, erklärt Wagner und appelliert an die politischen Entscheidungsträger im Land, über Parteigrenzen hinweg an einer Lösung mitzuwirken: „Wir müssen unseren Standort attraktiv halten.“ Die Zeit dränge: Bis 2035 könnte die Zahl der fehlenden Fachkräfte allein in Baden-Württemberg auf 933.000 steigen.

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