Bodenlose Bodenpreise Kommentar Bauen & Wohnen | 15.02.2020 | Lars Bargmann

Geldstapel

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Bodenpreisentwicklung. Es ist ein Manifest, das Hans-Jochen Vogel jetzt zwischen zwei schmucklose Buchdeckel* gepresst hat: „Mehr Gerechtigkeit!“, fordert der frühere SPD-Chef und Bundesbauminister – und dafür eine neue Bodenordnung für die Bundesrepublik. Damit Wohnen wieder bezahlbar wird.

39.390 Prozent. Um diese Zahl sind die Bodenpreise in der Stadt München zwischen 1950 und 2017 gestiegen. Bundesweit sind es 2308 Prozent seit 1962 – es gab schon bei weniger krassen Zahlen Reformen oder Reförmchen. Vogel, gerade 94 Jahre alt geworden, bringt ein Thema wieder aufs Tapet, für das er sich schon vor einem halben Jahrhundert als Oberbürgermeister von München eingesetzt hatte. Der Grandseigneur der Sozialdemokratie ist gewiss kein Sozialist, seine Analyse ist nicht ideologisch verbogen, sondern sagt einfach, was ist.

Wie es sein sollte, darüber herrscht in diesen Tagen – nicht nur in München, sondern auch in Freiburg – kein buntes Kaleidoskop von Meinungen: Es fehlt bezahlbarer Wohnraum. Bei der Suche nach den dafür Hauptverdächtigen landet man schnell bei der öffentlichen Hand: Bund, Länder und Kommunen – auch Freiburg – haben Boden jahrzehntelang verkauft, um ihre Haushalte aufzuhübschen. Oder sie haben gleich ihre eigenen Wohnungsbaugesellschaften versilbert. Heute aber wären sie Gold wert. Den Gewinn haben die Käufer von damals gemacht. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht schon 1967 dargelegt, dass „die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist“ es verbiete, „seine Nutzung dem Spiel der freien Kräfte“ zu überlassen. Genau das aber hat die Politik lange getan.

1,2 Millionen Sozialwohnungen hat die Bundesrepublik zwischen 2002 und 2017 verloren. In Freiburg fallen bis 2031 wieder 1800 Einheiten aus der Preisbindung. Fast jeder zweite deutsche Haushalt muss heute mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete ausgeben. Wie kann es sein, fragt Vogel, dass Bodenbesitzer, wenn sie von politischen Entscheidungen (etwa Investitionen in die Infrastruktur) profitieren, nichts abgeben müssen, aber entschädigt werden, wenn sie verlieren? Leistungslose Bodengewinne, ein terminus magneticus im Manifest, müssten abgeschöpft werden.

Leistungslos nennt der einstige SPD-Vorsitzende, wenn Eigentümer mit ihren Grundstücken nichts anstellen, Däumchen drehen, und nach zehn Jahren die Gewinne aus der Preisentwicklung nicht einmal versteuern müssen. Es steht dahin, welche Hebelkraft auf den Mietwohnungsmarkt es hätte, wenn dem nicht so wäre.

Vogel ist auch ein Verfechter von Erbbaurechten: Kommunen dürften ihre Grundstücke nicht mehr verkaufen, sondern nur noch verleihen. Ob das aber zu mehr bezahlbarem Wohnraum führt, darf bezweifelt werden. In Freiburg ist soeben erst ein solches Konzept in Ebnet – vorerst – gescheitert, weil die Belastungen der Bewohner viel zu hoch wären. Zumindest dann, wenn man Bodenwerte von 900 Euro am Stadtrand ansetzt. Am Ende wäre es für Käufer – und damit indirekt auch für Mieter – in Zeiten des billigen Geldes deutlich günstiger, wenn sie kaufen dürften. Denn die, die günstig wohnen sollen, zahlen während der Erbbaurechtszeit das Grundstück gleich mehrfach, bevor es dann an den Profiteur, hier das Rathaus, zurückgeht.

Aber der Gemeinderat hat – neben einem bis heute nahezu wirkungsfreien Beschluss für 50 Prozent sozialen Mietwohnungsbau – im Oktober 2018 auch entschieden, dass keine Grundstücke mehr verkauft werden. Abgesehen davon, dass dem Gremium eine Erfolgskontrolle des Beschlusses aus 2015 zu wünschen ist, darf man gespannt sein, wie diese Melange im Dietenbach zum gewünschten Erfolg führen soll. Denn nicht zuletzt preisen Banken in ihre Kredite Sicherheiten ein. Wenn das Grundstück nur geliehen ist, wird die Finanzierung deutlich teurer. Oder sie klappt gar nicht.

Wer günstige Mietwohnungen will, muss dafür günstige Bedingungen schaffen. 900 Euro für einen Quadratmeter Boden – oder gar als Anteil pro Quadratmeter im Geschosswohnungsbau – ist keine günstige Bedingung. Erbbauzinsen, die vier Prozent vom Bodenrichtwert berechnet werden, auch nicht. Das gilt nicht nur fürs Rathaus, das gilt für die Kirche oder die Stiftungen ebenso. Andernfalls werden die Erbbauzinsen auch zum Gespenst.

Buchcover Mehr gerechtigkeit wir brauchen eine neue bodenordnung nur dann wird auch wohnen wieder bezahlbar

* Hans-Jochen Vogel:
Mehr Gerechtigkeit!
Herder Verlag, Freiburg 2019
80 Seiten, 12 Euro

 

 

 

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