Neue Klimahäuser in Schallstadt: Solarpionier Rolf Disch denkt beim Bauen schon an übermorgen Bauen & Wohnen | 14.05.2021 | Lars Bargmann

Weiermatten Eingangsseite Klimahäuser in Schallstadt: „Will man bei den Menschen ein Umdenken erreichen, muss man es vormachen“, sagt Architekt und Bauträger Rolf Disch. 

Wenn der Solar-Architekt Rolf Disch zum Bauträger wird, kommt gleichsam zwangsläufig ein Klimahäuser-Projekt heraus. Aktuell im Bau in Schallstadt. Vier Häuser wachsen dort in die Höhe, im Rohbau sehen sie noch ganz normal aus. Wenn sie fertig sind, haben sie viele unnormale Eigenschaften.

„Architekten und Bauträger treffen eine Wahl: Mit jedem Strich, den sie zeichnen, mit jedem Euro, den sie in die Hand nehmen, heizen sie am Ende entweder das Klima auf oder sie helfen bei der Eindämmung des Klimawandels“, sagt Disch. Der mehrfach ausgezeichnete Solarpionier ist einer, der beim Planen schon an den Klimawandel gedacht hat, als für andere der Begriff noch ein Fremdwort war.

Warum tragen die Plusenergie-Klima-häuser ihren Titel zu Recht? Sie erreichen den ambitionierten KfW-40-plus-Standard – was ganz nebenbei für die Käufer direkt einen 30.000 Euro schweren Tilgungszuschuss bedeutet. Sie speisen zudem ihren eigenen Energiebedarf (Strom, Raumheizung, Warmwasser und Elektromobilität) komplett aus den Solaranlagen, die jedes Jahr 420.000 Kilowattstunden grünen Strom liefern sollen – tagsüber überschüssige Energie wird dabei gespeichert. Und sie sind an ein umweltfreundlicheres Nahwärmenetz angeschlossen, das hier als „Kaltes Nah-
wärmenetz“ wirkt.

„Die üblichen heißen Netze lassen sich nur schwer wirtschaftlich betreiben, wenn der Dämmstandard der Gebäude hoch und der Wärmebedarf entsprechend niedrig ist, also nur wenige Kilowattstunden verkauft werden“, erklärt Disch. Denn das treibe die Anschluss- und Arbeitspreise für die Wärmelieferung in die Höhe. Die Energiedienst AG verbaut für das gesamte Neubaugebiet stattdessen eine kalte, ungedämmte Wasserleitung.

Warum das Sinn macht? Das Neubaugebiet kreuzt ein großer Abwasserkanal, dem wird so viel Wärme entzogen, dass man durchgängig mit 15 bis 17 Grad in der Nahwärmeleitung rechnen kann – was eine effiziente und wirtschaftliche Ausgangstemperatur für die Wärmepumpen in den Gebäuden bedeutet: Der Stromverbrauch der Wärmepumpe bleibt gering, und im Sommer kann die Fußbodenheizung als Kühlung genutzt werden.

Auch beim Warmwasser funktionieren die Häuser intelligent: Legionellen-Filter machen das übliche Aufheizen der Warmwasserleitungen obsolet, das beim Duschen ablaufende Wasser wärmt das zulaufende kalte Wasser über Wärmetauscher-Duschrohre auf – laut Hersteller mit einer Effizienz von über 50 Prozent. Und schließlich kann die Heizwärme per Umlage einfach über die Quadratmeter berechnet werden, denn der Gesetzgeber hat bei KfW-40- oder Passivhausniveau die Messverpflichtung entfallen lassen, weil sonst zu den kleinen Heizkosten hohe Messkosten anfallen. In Schallstadt gibt es für die Raumheizung keine Messkosten, keine Ablesekosten, keinen regelmäßigen Austausch der geeichten Zähler.

Weiermatten Gartenseite

Blick in die Gärten: Bei den Klimahäusern produzieren sogar die Balkonbrüstungen sauberen Strom.

Insgesamt taxiert Disch die Klimaschutzwirkung des Projekts auf mehr als 150 Tonnen CO2-Emissionen jährlich. Die überschüssige Stromernte von rund 200.000 kWh wird übrigens für die Elektromobilität genutzt. Auf die 36 Stellplätze in der Tiefgarage werden ausschließlich E-Autos fahren dürfen. Vier Stellplätze sind zudem für Elektro-Carsharing vorgesehen, auch E-Cargo-Bikes sind ins verpflichtende Sharing-System eingebunden. Dischs jüngstes Projekt ist eher nichts für Familien mit mehreren SUVs.

Aber für Familien, die Flexibilität schätzen: Weil die Statik der Gebäude von einem Säulenraster getragen wird, gibt es bei der Aufteilung innen große Freiheiten – auch noch bei Umnutzungen zu einem späteren Zeitpunkt. Die Grundrisse sind sehr flexibel, Wohneinheiten lassen sich zusammenspannen und später wieder abtrennen. Man kann zum Beispiel nach der Elternphase einen Wohnungsteil abtrennen und verkaufen oder vermieten. Oder die Großmutter zieht dann ein. Oder später eine Pflegekraft.

Disch, der mit dem Heliotrop 1994 das weltweit erste Plusenergiehaus gebaut hatte, versteht unter dem politisch so aufgeheizten Begriff des „bezahlbaren Wohnens“ keineswegs, billig zu bauen. Bei den heutigen Ansprüchen und hohen baurechtlichen Auflagen sei das ohnehin „illusorisch“. -Mittelfristig werde billig bauen „ohnehin teuer, vor allem über die hohen Nebenkosten“. Dass dabei Photovoltaik und hohe Dämmstandards die Kostentreiber seien, „ist schlicht Unfug“.

Der größte Kostentreiber sei die Haustypologie und eine lockere Bebauung. Die Gemeinde Schallstadt hat einen Teil des Neubaugebietes im Bebauungsplan als „urbanes Gebiet“ mit höherer Dichte ausgewiesen, auch das Grundstück der Klimahäuser. Das sei der richtige Ansatz, auch auf dem Land: „Nur so kann der immensen Flächenverschwendung gegengesteuert werden.

Zum Konzept der Klimahäuser zählt auch, dass es in einem Haus ausschließlich Mietwohnungen gibt. Von den Eigentumswohnungen gibt es aktuell nur noch drei. Bei den Klimahäusern kostet ein durchschnittlicher Quadratmeter moderate 4400 Euro. An manchen Stellen in Freiburg gibt es dafür allenfalls einen halben. 

Plusenergie-Klimahäuser:
Grundstück: 4500 m²
Wohn- und Nutzfläche: 7200 m²
4 Häuser mit 83 Wohnungen
KfW-40-plus-Standard
Gepl. Fertigstellung: Juni 2022
klimahaeuser-schallstadt.de

Visualisierungen: © Rolf Disch SolarArchitektur / Renderings: Freidimension